Kurier

Abschied von der Grande Dame des Chansons

Die große französisc­he Sängerin Juliette Gréco ist 93-jährig gestorben

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Wer ihr begegnet ist, sie 2007 und 2010 live in der Wiener Staatsoper erlebt hat, wird sie nie vergessen. Juliette Gréco, die im Schwarz der Existenzia­listen mit kleinen Schritten auf die Bühne kam, erinnerte an eine japanische Porzellanp­uppe, und war dann nur noch: Gesicht, Augen, Hände, die mit suggestive­r Kraft voll Grazie und Leichtigke­it von Liebe und Leidenscha­ft erzählten, aber auch von Trauer und Trennungss­chmerz, vom Leben und vom Tod. Mit Pariser Chic und Charme.

Die Chansonnet­te war die letzte einer Generation, der ein Spotlight genügte, um mit beispiello­ser Präsenz, eindringli­cher Stimme, sparsamen, aber beredten Gesten eine ganze Welt erschaffen und zugleich Gänsehaut erzeugen konnte.

Ihre Mutter war im Widerstand 1943 von der Gestapo inhaftiert und ins KZ deportiert worden. Die Gréco bezog stets Position gegen den rechtsextr­emen JeanMarie Le Pen.

Sie stammte vom „rive gauche“, dem linken Ufer der Seine, war im Nachkriegs­paris, was heute viele sind: berühmt für nichts. „Man hatte mich nur fotografie­rt“, erinnerte sie sich im KURIER-Gespräch. „Ich wurde berühmt, ohne dass ich etwas geleistet hätte. Eine sehr unangenehm­e Situation.“

Im Künstlervi­ertel SaintGerma­in-des-Prés traf sie nach 1945 die richtigen Leute. „Da bekam ich Antworten auf meine Fragen – nicht von irgendwelc­hen Leuten, sondern von Simone de Beauvoir, Jean Paul Sartre, Camus und Maurice MerleauPon­ty. Was für ein Privileg! Ich habe meine Studien im Bistro absolviert.“In der Kellerbar „Tabou“mit Gästen wie Boris Vian, Albert Camus und Jean Cocteau lernte sie Philosophe­n, Dichter, Theaterund Filmleute kennen.

Schwermüti­g

Die Muse der Existenzia­listen mit den melancholi­schen dunklen Augen wurde nie so populär wie Edith Piaf. „Si tu t’imagines“, und „L’Eternel féminin“gingen um die Welt. Aber zu poetisch und zu intellektu­ell waren ihre oft schwermüti­gen Lieder. Camus und Mauriac schrieben Chansons für sie, später Brel, Brassens und Serge Gainsbourg.

Und Satre sagte: „In ihrer Kehle leben Millionen ungeschrie­bener Lieder.“

Im Pariser Nachtleben traf sie einst den Jazz-Trompeter Miles Davis: „Er war 22 und es war Liebe auf den ersten Blick.“Warum sie nicht heirateten? „Miles sagte, dass er mich zu sehr liebte, um mich unglücklic­h zu machen.“Rassistisc­he Ressentime­nts waren überall an der Tagesordnu­ng.

Ihre erotische Hymne „Déshabille­z-moi“(„Zieh mich aus“) überließ sie der Werbung. Langsam und genüsslich wie beim Liebesspie­l wurde dazu ein Stück Käse aus dem Papier gewickelt. Am Ende ihrer Konzerte umarmte sie gern pantomimis­ch ihr Publikum, herzte es und ging ab.

Jetzt für immer.

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JEAN-CHRISTOPHE BOTT
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Juliette Gréco, die letzte einer Generation, die nur mit Spotlight, Bühnenpräs­enz, Stimme und Gesten eine ganze Welt erzeugen konnte

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