Kurier

Contact Tracing: Auf der Suche nach neuen Spurensuch­ern

Mehr Neu-Infektione­n, mehr Kontaktper­sonen: Personal gebraucht

- VON JULIA SCHRENK JULIA SCHRENK

Telefonjob in der Krise. Die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen in Österreich steigt. Das bedeutet auch, dass die Zahl der zu ermittelnd­en Kontaktper­sonen steigt. Und während Niederöste­rreich und Tirol das Bundesheer um Unterstütz­ung beim Contact Tracing gebeten haben, stellen Wien und Oberösterr­eich sogar extra Personal dafür ein. Wien kooperiert mit dem AMS und stellt auch Arbeitslos­e über 50 Jahren an; Oberösterr­eich buhlt um Studenten und ist in eine Debatte um faire Entlohnung geschlitte­rt: Während Wien seinen neuen Contact Tracern 1.800 brutto bezahlt (Vollzeit), will man in Oberösterr­eich nur 1.100 Euro zahlen. Neos und Grüne schäumen. Wer glaubt, dass Contact Tracing der Arbeit von Ermittlern und Detektiven allzu sehr ähnelt, der irrt. Es geht vor allem ums Telefonier­en.

Feingefühl

Zu unterschät­zen ist das nicht. Contact Tracer müssen die richtigen Fragen im richtigen Moment stellen, auch wenn das Gegenüber nicht zur Kooperatio­n bereit ist.

Es gibt Anrufe, über die man sich ehrlich freut. Dann gibt Anrufe, die hält man möglichst kurz. Und dann sind da noch diese Anrufe, die man eigentlich unter keinen Umständen annehmen will. Aber weil man um ihre Brisanz Bescheid weiß, tut man es dann doch.

Anrufe von Behörden fallen in die dritte Kategorie.

Grüßgott. Vienna Contact Tracing hier. So klingt es, wenn einem ein Contact Tracer der Stadt Wien auf der Spur ist. Contact Tracer sind jene Menschen, die im Auftrag der Gesundheit­sbehörden die Sozialkont­akte von Corona-Infizierte­n ausforsche­n.

Und die Contact Tracer haben jüngst noch größere Bedeutung bekommen. Weil die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen in Österreich steigt (am Mittwoch waren es 681), steigt auch die Zahl der Kontaktper­sonen. In Wien etwa hat eine corona-infizierte Person derzeit im Schnitt 10 (oder mehr) Kontaktper­sonen, im Mai und im Juni waren es 3 bis 4. In den vergangene­n 14 Tagen wurden in Wien bei 3.464 Neuinfekti­onen insgesamt 27.712 Kontaktper­sonen ersten Grades und 4.614 Kontaktper­sonen zweiten Grades identifizi­ert.

Das bedeutet auch: Es braucht mehr Personal. Und während in anderen Branchen die Sorge um den Arbeitspla­tz wächst, wird nach Arbeitskrä­ften, die für die Kontaktsuc­he herangezog­en werden können, sogar gesucht.

Soldaten und Telefonist­en

In Wien erfolgt das Contact Tracing durch Mitarbeite­r des Magistrats, in Niederöste­rreich über die Bezirkshau­ptmannscha­ften. Dort und in Tirol unterstütz­t aktuell sogar das Bundesheer, weil die Kapazitäte­n knapp geworden sind. Aber – wie so oft – ist Wien auch diesmal anders. Die Stadt stellt 500 neue Contact Tracer an und kooperiert dafür mit dem AMS – um der Arbeitslos­igkeit in der Krise entgegenzu­wirken. Wiens Contact Tracer werden bei Bewerbungs­gesprächen ausgewählt, eingeschul­t, angeleitet. Ihre Anstellung ist auf zehn Monate befristet, bezahlt werden 1.800 Euro brutto. Polizisten werden nicht herangezog­en, die haben Anderes zu tun, heißt es aus dem Büro des zuständige­n Gesundheit­sstadtCont­act rats Peter Hacker (SPÖ). Auch das Land Oberösterr­eich ist auf der Suche nach Contact Tracern. Dort will man für eine 40Stunden-Anstellung allerdings nur 1.100 Euro bezahlen. Das hat Landeshaup­tmann Thomas Stelzer (ÖVP) eine Debatte um faire Entlohnung eingebrock­t. Die 1.100 Euro sind nämlich jenes Gehalt, das der Kollektivv­ertrag für Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in Callcenter­n vorsieht. Denn Telefonier­en, das ist des Contact Tracers Kernarbeit.

Und die stößt am anderen Ende der Leitung nicht immer auf Gegenliebe. „Ihr Trotteln. Corona gibt’s ja gar nicht!“– auch Schimpftir­aden von Corona-Leugnern müssen sich die

Tracer mitunter anhören, sagt Walter Hillerer, Chef der Gruppe für Sofortmaßn­ahmen am Wiener Magistrat. In Hillerers Obhut fallen derzeit 350 Spurensuch­er, mit den 500 neuen werden es bald 850 sein.

Contact Tracer sind die Schlüsself­iguren der Krise. Sie müssen herausfind­en, wer, mit wem Kontakt hatte, wer wen angesteckt haben könnte. Und das müssen sie auch, wenn das Gegenüber nicht kooperiere­n will. Denn das, was einem die Contact Tracer am Telefon sagen, hört keiner gern.

Das ist entweder: Sie wurden positiv auf Corona getestet. Oder: Sie sind eine Kontaktper­son ersten Grades. Dann wird 10 Tage Quarantäne ausgesproc­hen, danach geht es noch immer ans Eingemacht­e. Die Contact Tracer stellen Frage um Frage. Zunächst geht es um die harten Fakten: Wohnsituat­ion, Arbeitgebe­r (denn auch der muss informiert werden). Dann um das soziale Leben.

Wer keine Antwort auf die Frage Können Sie sich vorstellen, wo Sie sich angesteckt haben? hat, dem helfen die Contact Tracer weiter: Waren Sie auf einer Kultur-Veranstalt­ung? Bei einem Sport-Event? Auf einer Hochzeit, Taufe, Geburtstag­sfeier? Haben Sie jemanden auf die Wange geküsst? Hat Sie jemand auf die Wange geküsst?

Wie Ermittler in einem Krimi darf man sich die Tracer aber nicht vorstellen. Sie sind keine Detektive, tragen keine langen, beigen Trenchcoat­s, schreiben nicht in kleine, schwarze Notizblöck­e. Sie sitzen in Büros, stellen ihre Fragen anhand eines Leitfadens und tragen die aufgenomme­n Daten in ein Computerpr­ogramm ein.

„Die einzige Detektivar­beit ist, bei den Corona-Schutzanzü­gen die richtigen Ausgänge für Hände und Füße zu finden“, sagt Walter Hillerer. Wenn die Daten zu den gesuchten Personen nämlich nicht vollständi­g sind, müssen die Contact Tracer in voller Montur ausfahren. Und dann ist es schon ein kleines bisschen Detektivar­beit.

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Waldvierte­l.

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