Contact Tracing: Auf der Suche nach neuen Spurensuchern
Mehr Neu-Infektionen, mehr Kontaktpersonen: Personal gebraucht
Telefonjob in der Krise. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Österreich steigt. Das bedeutet auch, dass die Zahl der zu ermittelnden Kontaktpersonen steigt. Und während Niederösterreich und Tirol das Bundesheer um Unterstützung beim Contact Tracing gebeten haben, stellen Wien und Oberösterreich sogar extra Personal dafür ein. Wien kooperiert mit dem AMS und stellt auch Arbeitslose über 50 Jahren an; Oberösterreich buhlt um Studenten und ist in eine Debatte um faire Entlohnung geschlittert: Während Wien seinen neuen Contact Tracern 1.800 brutto bezahlt (Vollzeit), will man in Oberösterreich nur 1.100 Euro zahlen. Neos und Grüne schäumen. Wer glaubt, dass Contact Tracing der Arbeit von Ermittlern und Detektiven allzu sehr ähnelt, der irrt. Es geht vor allem ums Telefonieren.
Feingefühl
Zu unterschätzen ist das nicht. Contact Tracer müssen die richtigen Fragen im richtigen Moment stellen, auch wenn das Gegenüber nicht zur Kooperation bereit ist.
Es gibt Anrufe, über die man sich ehrlich freut. Dann gibt Anrufe, die hält man möglichst kurz. Und dann sind da noch diese Anrufe, die man eigentlich unter keinen Umständen annehmen will. Aber weil man um ihre Brisanz Bescheid weiß, tut man es dann doch.
Anrufe von Behörden fallen in die dritte Kategorie.
Grüßgott. Vienna Contact Tracing hier. So klingt es, wenn einem ein Contact Tracer der Stadt Wien auf der Spur ist. Contact Tracer sind jene Menschen, die im Auftrag der Gesundheitsbehörden die Sozialkontakte von Corona-Infizierten ausforschen.
Und die Contact Tracer haben jüngst noch größere Bedeutung bekommen. Weil die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Österreich steigt (am Mittwoch waren es 681), steigt auch die Zahl der Kontaktpersonen. In Wien etwa hat eine corona-infizierte Person derzeit im Schnitt 10 (oder mehr) Kontaktpersonen, im Mai und im Juni waren es 3 bis 4. In den vergangenen 14 Tagen wurden in Wien bei 3.464 Neuinfektionen insgesamt 27.712 Kontaktpersonen ersten Grades und 4.614 Kontaktpersonen zweiten Grades identifiziert.
Das bedeutet auch: Es braucht mehr Personal. Und während in anderen Branchen die Sorge um den Arbeitsplatz wächst, wird nach Arbeitskräften, die für die Kontaktsuche herangezogen werden können, sogar gesucht.
Soldaten und Telefonisten
In Wien erfolgt das Contact Tracing durch Mitarbeiter des Magistrats, in Niederösterreich über die Bezirkshauptmannschaften. Dort und in Tirol unterstützt aktuell sogar das Bundesheer, weil die Kapazitäten knapp geworden sind. Aber – wie so oft – ist Wien auch diesmal anders. Die Stadt stellt 500 neue Contact Tracer an und kooperiert dafür mit dem AMS – um der Arbeitslosigkeit in der Krise entgegenzuwirken. Wiens Contact Tracer werden bei Bewerbungsgesprächen ausgewählt, eingeschult, angeleitet. Ihre Anstellung ist auf zehn Monate befristet, bezahlt werden 1.800 Euro brutto. Polizisten werden nicht herangezogen, die haben Anderes zu tun, heißt es aus dem Büro des zuständigen GesundheitsstadtContact rats Peter Hacker (SPÖ). Auch das Land Oberösterreich ist auf der Suche nach Contact Tracern. Dort will man für eine 40Stunden-Anstellung allerdings nur 1.100 Euro bezahlen. Das hat Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) eine Debatte um faire Entlohnung eingebrockt. Die 1.100 Euro sind nämlich jenes Gehalt, das der Kollektivvertrag für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Callcentern vorsieht. Denn Telefonieren, das ist des Contact Tracers Kernarbeit.
Und die stößt am anderen Ende der Leitung nicht immer auf Gegenliebe. „Ihr Trotteln. Corona gibt’s ja gar nicht!“– auch Schimpftiraden von Corona-Leugnern müssen sich die
Tracer mitunter anhören, sagt Walter Hillerer, Chef der Gruppe für Sofortmaßnahmen am Wiener Magistrat. In Hillerers Obhut fallen derzeit 350 Spurensucher, mit den 500 neuen werden es bald 850 sein.
Contact Tracer sind die Schlüsselfiguren der Krise. Sie müssen herausfinden, wer, mit wem Kontakt hatte, wer wen angesteckt haben könnte. Und das müssen sie auch, wenn das Gegenüber nicht kooperieren will. Denn das, was einem die Contact Tracer am Telefon sagen, hört keiner gern.
Das ist entweder: Sie wurden positiv auf Corona getestet. Oder: Sie sind eine Kontaktperson ersten Grades. Dann wird 10 Tage Quarantäne ausgesprochen, danach geht es noch immer ans Eingemachte. Die Contact Tracer stellen Frage um Frage. Zunächst geht es um die harten Fakten: Wohnsituation, Arbeitgeber (denn auch der muss informiert werden). Dann um das soziale Leben.
Wer keine Antwort auf die Frage Können Sie sich vorstellen, wo Sie sich angesteckt haben? hat, dem helfen die Contact Tracer weiter: Waren Sie auf einer Kultur-Veranstaltung? Bei einem Sport-Event? Auf einer Hochzeit, Taufe, Geburtstagsfeier? Haben Sie jemanden auf die Wange geküsst? Hat Sie jemand auf die Wange geküsst?
Wie Ermittler in einem Krimi darf man sich die Tracer aber nicht vorstellen. Sie sind keine Detektive, tragen keine langen, beigen Trenchcoats, schreiben nicht in kleine, schwarze Notizblöcke. Sie sitzen in Büros, stellen ihre Fragen anhand eines Leitfadens und tragen die aufgenommen Daten in ein Computerprogramm ein.
„Die einzige Detektivarbeit ist, bei den Corona-Schutzanzügen die richtigen Ausgänge für Hände und Füße zu finden“, sagt Walter Hillerer. Wenn die Daten zu den gesuchten Personen nämlich nicht vollständig sind, müssen die Contact Tracer in voller Montur ausfahren. Und dann ist es schon ein kleines bisschen Detektivarbeit.