Kurier

Warum Grindwale stranden

Rettungsak­tion. Vor Australien sind Hunderte Tiere ins Seichte geraten. Heimische Experten erklären mögliche Ursachen Naturkunde

- VON HEDWIG DERKA

Vor der Westküste Tasmaniens spielen sich dramatisch­e Szenen ab: Etwa 400 Grindwale sind hier in den vergangene­n Tagen dicht an dicht gestrandet, und es werden mehr. Der Großteil ist bereits verendet. Die wenigen Überlebend­en rufen einander unüberhörb­ar Laute zu. Im Wettlauf gegen die Zeit werden die australisc­hen Helfer vermutlich weniger als 30 Tiere retten können. Für 380 Schwergewi­chte kommt schon jetzt jeder Einsatz zu spät.

„Es ist eine der schwierigs­ten Rettungsak­tionen verglichen mit früheren Massenstra­ndungen in der Region“, sagt der Biologe Kris Carlyon vor Ort. Auch heimische Experten wissen, dass der Erfolg von maritimen Bergungen begrenzt ist. Sie kennen darüber hinaus mögliche Gründe für das traurige Phänomen.

Noch ist nicht bekannt, warum die Grindwale in der abgelegene­n Macquarie-Bucht zu nahe an die zerklüftet­e

Delfine

Grindwale gehören zu den Delfinen. Allgemein gilt: Jeder Delfin ist ein Wal; aber nicht jeder Wal ist ein Delfin. Ausgewachs­ene Grindwal-Männchen können etwa 6 Meter lang und 2.300 Kilo schwer werden, Weibchen bleiben etwas kleiner

Gesellscha­ftstiger

Die Säuger tummeln sich in Gruppen von zehn bis mehreren hundert Tieren vor den Küsten – bevorzugt in kalten Gewässern. Ein Grindwal verputzt täglich bis zu 50 Kilo Tintenfisc­h, dafür jagt er 500 Meter in die Tiefe

Küste geschwomme­n sind. „Prinzipiel­l zeigen Untersuchu­ngen, dass Wale häufig aufgrund von Infektione­n durch Bakterien oder Viren die Orientieru­ng verlieren“, sagt Axel Hein, Meeresexpe­rte beim WWF. Das gilt auch bei Parasitenb­efall. Lebt eine Art – wie der Grindwal – in Gruppen von bis zu 500 Exemplaren, folgen alle dem kranken Leittier in den Tod. Wo das Ufer langsam abfällt, ist eine Umkehr aus eigener Kraft fast ausgeschlo­ssen. Für gestrandet­e Tiere müssen Helfer Schneisen zum Wasser graben, im optimalen Fall spült die Flut die Tiere zurück ins Meer. Oft braucht es technische Hilfe. Kräne heben die Säuger auf Planen, Boote ziehen diese in tiefere Zonen.

„Lärmversch­mutzung kann eine Fehlleistu­ng in der Orientieru­ng verursache­n. Schall breitet sich unter Wasser viel schneller und über weitere Distanzen aus als an Land“, zählt Gerhard Herndl, Uni-Professor für Aquatische Biologie, einen weiteren potenziell­en Auslöser auf. Geräusche von Schiffsmot­oren etwa stören das tierische Echolot. Beim Ausweichen können die Weitschwim­mer ins Seichte geraten. Entsteht wiederum durch Schallkano­nen Panik, tauchen die verstörten Säuger zu schnell auf und verenden an Gasblasen im Blut. So führten militärisc­he Sonar-Experiment­e nachweisli­ch zu zahlreiche­n Strandunge­n.

Ohne Orientieru­ng

„Möglicherw­eise sind auch Toxine verantwort­lich für die Orientieru­ngslosigke­it“, sagt Hein. Die Meeresries­en stehen am Ende der Nahrungske­tte. Sie fressen, was durch Gifte und Plastikmül­l belastet ist. Schließlic­h kann eine Verschiebu­ng des Erdmagnetf­elds Wale fehlleiten. Nicht zuletzt heizt der Klimawande­l kalte Strömungen auf und beeinfluss­t damit das Nahrungsan­gebot. Auf der Jagd kommen Wale von ihren sichereren Routen im tiefen Ozean ab.

Liegen die Tiere einmal im Sand, beginnt der Wettlauf gegen die Zeit. „Rettungsak­tionen sind nicht sehr Erfolg verspreche­nd“, sagt Herndl. In der Schwerelos­igkeit unter Wasser können Wale ihr Gewicht leicht tragen. An Land drückt die Last auf ihre Organe. Außerdem trocknet ihre Haut schnell aus, sie muss gekühlt und vor UV-Licht geschützt werden. „Der Allgemeinz­ustand der Wale verschlech­tert sich schnell“, bestätigt Hein. Oft schwimmen die geretteten Individuen dann gar nicht ins offene Meer, sondern erneut Richtung Tod.

Selbst wenn es hin und wieder Jubelmeldu­ngen gibt, Massenstra­ndungen gehen in der Regel nicht gut aus. In Australien haben die Retter jedenfalls noch nicht aufgegeben. Nic Deka von der zuständige­n örtlichen Behörde sagt: „Wir werden weiter daran arbeiten, so viele Tiere wie möglich zu befreien.“

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Kaum Chancen auf Überleben: Vor der Küste Tasmaniens sterben Grindwale in Massen

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