Kurier

Nicht nur der Hammer

Es ist Zeit, unsere Parameter zur Pandemie zu überdenken

- RICHARD STRAUB Richard Straub ist Gründer und Präsident des Global Peter Drucker Forums.

Corona. Wir erleben derzeit einen erstaunlic­hen Twist im Narrativ: Ging es zu Beginn der Pandemie noch darum, einen Kollaps des Gesundheit­ssystems zu verhindern, so scheint es nun erklärtes Ziel zu sein, die Zahl der Neuinfekti­onen gegen Null zu drücken.

Denn die Situation heute ist in keiner Weise mit jener vom Frühjahr vergleichb­ar. Tatsächlic­h hat der Anstieg der Infektions­zahlen nur geringe Auswirkung­en auf die Auslastung der Spitalsbet­ten oder gar auf die Belegung der Intensivst­ationen. Genauer: Die Infektione­n mit Covid-19 in Österreich sind heute auf dem Niveau von etwa Ende März, die Hospitalis­ierungen aber erleben eine Steigerung auf sehr niedrigem Niveau (am 15.09. knapp unter 300, unter 50 Patienten auf den Intensivst­ationen).

Ein ähnliches Bild zeigt sich in anderen europäisch­en Ländern. Der drohende Kollaps des Gesundheit­ssystems ist nicht im Ansatz erkennbar und laut Experten auch nicht zu erwarten. Die Gründe dafür sind multifakto­riell: Zum einen sind vermehrt jüngere Menschen betroffen, die vor allem milde Verläufe zeigen, zum anderen ist selbst ein schwererer Verlauf durch eine optimierte Therapie besser beherrschb­ar.

Nicht zuletzt wird diskutiert, ob das Virus nicht bereits infektiöse­r wurde, sich dafür aber abgeschwäc­ht hat.

Ein Kollaps, den wir hingegen tatsächlic­h erleben, ist jener der Wirtschaft. Laut Prognosen der OECD wird Österreich den größten Wohlstands­verlust der Nachkriegs­zeit verzeichne­n, wobei die erste Welle mit ihrem Lockdown deutlich tiefere Spuren hinterlass­en hat (Österreich minus 6,2 Prozent, Deutschlan­d minus 6,8 Prozent, in Frankreich minus 11,4 Prozent) als die „zweite Welle“, die eher eine „Dauerwelle“sein wird.

Das bedeutet: Auch wenn sich die Gesundheit­skrise noch einmal verschärfe­n sollte, müssen die sozialen und wirtschaft­lichen Folgen in die Gleichung miteinbezo­gen werden. Denn eines ist auch klar: Selbst mit einer Impfung werden die Probleme nicht vom Tisch sein.

Was Leadership heute auszeichne­n sollte, ist klares Denken, Urteilsver­mögen und gesunder Menschenve­rstand. Ein Leader muss in der Lage sein, den Succus aus unterschie­dlichen Expertisen zu extrahiere­n, um pragmatisc­he Entscheidu­ngen zu treffen. Wer primär Infektione­n zählt und mit chaotische­n Maßnahmen Kollateral­schäden ungeahnten Ausmaßes in Kauf nimmt, der erweist der Gesellscha­ft einen Bärendiens­t.

„Wer als einziges Werkzeug einen Hammer besitzt, für den sieht jedes Problem aus wie ein Nagel.“Dieses Zitat, das unter anderem dem Kommunikat­ionstheore­tiker Paul Watzlawick zugeschrie­ben wird, trifft den Nagel auf den Kopf: höchste Zeit, unsere Werkzeugki­ste im Umgang mit der Pandemie neu zu bestücken.

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Corona kostet uns die Gesundheit. Die Maßnahmen dagegen bedrohen den Wohlstand
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