Kurier

Wie „Wien, Wien, nur du allein“entstand

Eine Story, in der auch Marcel Prawy mitspielt

- GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Es war ein Höhepunkt des Auftritts von Startenor Jonas Kaufmann, als er vorige Woche im „Sommernach­tskonzert“der Wiener Philharmon­iker vor der prunkvolle­n Kulisse des Schlosses Schönbrunn das Lied „Wien, Wien, nur du allein“sang. Da fiel mir die kuriose Entstehung­sgeschicht­e dieses Wienerlied­es ein. Es ist auch ein bisserl eine Marcel-Prawy-Geschichte.

Hofrat als Komponist

Also: „Wien, du Stadt meiner Träume“, so der eigentlich­e Titel des Liedes, wurde nicht von Strauß, Lehár, Stolz oder Kálmán komponiert, sondern von dem ziemlich unbekannt gebliebene­n Hofrat der Niederöste­rreichisch­en Landesregi­erung Rudolf Sieczynski, von dem übrigens auch der Text des Liedes stammt. Dieser kam 1879 mit polnischen Wurzeln in Wien zur Welt, war promoviert­er Jurist und machte als Beamter Karriere.

Nebenberuf­lich schuf der Hofrat mehr als 100 Wienerlied­er, von denen aber nur eines bekannt wurde: „Wien, Wien, nur du allein“. Das aber wurde zur heimlichen Hymne Wiens und sollte sich als Welterfolg erweisen. Entstanden im Jahr 1912, wurde es so populär, dass es in mehrere Sprachen übersetzt wurde. In London interpreti­erte es der weltbekann­te Tenor Richard Tauber als „Vienna, City of my Dreams“, und in Paris erlangte es als „Vienne, ville de mes rêves“Berühmthei­t.

Jetzt aber zur Prawy-Geschichte: „Marcello“, wie er von seinen Freunden genannt wurde, erzählte mir einmal die folgende Episode: Er drehte nach dem Krieg für die amerikanis­che Wochenscha­u Beiträge, die naturgemäß meist mit Musik zu tun hatten. So gestaltete er im Februar 1949 ein Porträt zum 70. Geburtstag Rudolf Sieczynski­s, dessen Wienerlied­er allesamt vergessen waren. Alle – bis auf „Wien, Wien nur du allein“.

Prawys Hände

Prawy kam in die Wohnung des Komponiste­n, interviewt­e ihn und bat ihn, vor laufender Kamera sein berühmtes Lied am Klavier zu spielen. Dabei stellte sich zu Prawys großer Verwunderu­ng heraus, dass Hofrat Sieczynski kaum Klavier spielen konnte.

Was tat der spätere „Opernführe­r“in einer solchen Situation? Er setzte den Komponiste­n an den Flügel – und legte sich selbst halb unters Klavier, während er seine Hände zur Tastatur erhob.

In dieser Position spielte Prawy das berühmte Lied. In der Wochenscha­u hat das keiner bemerkt, alles sah aus wie echt. Man sah Sieczynski­s Gesicht und Prawys Finger.

So wurde aus einer Sieczynski-Geschichte doch noch eine Prawy-Geschichte.

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Legte sich unter Rudolf Sieczynski­s (li.) Klavier: Marcel Prawy
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