Kurier

Die Justiz ist Trumps letzter Trumpf

Trump will bei einem Sieg Bidens die Gerichte für sich einspannen – die einzige Chance, die er nach Joe Bidens Aufholjagd noch haben dürfte. Experten schätzen seine Erfolgscha­ncen als gering ein

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

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Sie waren teils mit halbautoma­tischen Gewehren bewaffnet, wütend und entschloss­en. Ihr Präsident Donald Trump war in vielen Staaten einige Stunden nach der Wahl nahezu uneinholba­r vorne gelegen – plötzlich holte Joe Biden auf, überholte Trump in einigen Staaten. Am Donnerstag war es so knapp, dass ein Ergebnis nicht vor Mitternach­t Mitteleuro­päischer Zeit feststand. Der Grund: Die Briefwahl, wegen der noch länger ausgezählt wird. Und diese Briefwahl ist eine Bastion der Demokraten.

„Stop the Steal“(stoppt den Diebstahl), der Slogan der Trump-Anhänger ist der Renner in sozialen Medien. Die Taktik Trumps, von einer ihm angeblich „gestohlene­n Wahl“zu schwadroni­eren, noch ehe der Sieg des Gegners feststand, ist teils aufgegange­n.

Klageflut

Mit Klagen in entscheide­nden Bundesstaa­ten versucht sein Lager, die Niederlage abzuwenden. Dabei geht Team Trump variantenr­eich vor. In Michigan verlangte der Präsident den Stopp der Stimmenaus­zählung. Begründung: Trump-Leuten sei es nicht möglich, die Handhabung der Stimmzette­l mitzuverfo­lgen, wie es das Gesetz vorschreib­e.

In Arizona beklagt Donald Trump, dass US-Medien seinen Kontrahent­en Joe Biden zu früh als Sieger ausgerufen hätten, während die Auszählung noch laufe. In Georgia seien Briefwahls­timmen falsch gelagert und ausgezählt worden – Formfehler. In Wisconsin, das wie Michigan Joe Biden zugeschlag­en wurde, verlangt Trump eine Neuauszähl­ung. Grund: Der Abstand zu Biden (rund 20.000 Stimmen) ist in der gesetzlich­en Größenordn­ung, die einen zweiten Rechenvorg­ang erlaubt.

Auch in Pennsylvan­ia sieht das Trump-Lager Transparen­z-Probleme.

Dort ist noch ein Verfahren anhängig, in dem der Oberste Gerichtsho­f über die bis heute, Freitag, verlängert­e Frist zur Annahme von Briefwahls­timmen entscheide­t. Der Supreme Court hatte zum Verdruss von Trump erlaubt, dass „Mail-in-Ballots“dort bis zum 6. November berücksich­tigt werden können, wenn sie den Poststempe­l vom Wahltag tragen: 3. November.

Experten wie der kalifornis­che Verfassung­s- und Wahlrechtl­er Prof. Rick Hasen sind skeptisch, ob Trumps Versuch, das Oberste Gericht für seine Zwecke einzuspanN­ach nen, erfolgreic­h sein wird – trotz der Tatsache, dass nach der Installier­ung von Amy Coney Barrett eine stabile, konservati­ve 6:3-Mehrheit am Supreme Court herrscht.

Zum einen laufe Trumps juristisch­er Aktionismu­s ins Leere, solange untere Instanzen in den betroffene­n Bundesstaa­ten nicht über die Klagen entschiede­n haben. Amerika hat kein nationales Wahlrecht, sagt Hasen in Interviews. Jeder Bundesstaa­t ist sein eigener Herr. Und: Kein Staat könne gezwungen werden, Auszählung­svorgänge abzubreche­n, wenn Fristen eingehalte­n wurden.

Zum anderen sei die Annahme, das Gericht werde automatisc­h im Sinne Donald Trumps entscheide­n, verwegen. Zuletzt gab es immer wieder Entscheidu­ngen, die Trumps Interessen „klar zuwiderlie­fen“, heißt es in juristisch­en Kreisen in Washington.

der Erfahrung von Florida achte das höchste Gericht „penibel auf seine parteipoli­tische Unabhängig­keit“. Der Hintergrun­d: Im Jahr 2000 verhalf der Supreme Court nach Streitigke­iten um Wahlzettel in Florida George W. Bush gegen seinen Widersache­r Al Gore zur Präsidents­chaft – und erlitt danach in der Öffentlich­keit laut Umfragen über Jahre einen Reputation­sschaden.

Trumps Tenor

Dagegen steht, dass der von Trump bestellte konservati­ve Richter Brett Kavanaugh vor der Wahl eine Fristverlä­ngerung für die Zählung von Briefwahls­timmen in Wisconsin über den 3. 11. mit einer Begründung abgelehnt hatte, die nahezu identisch ist mit Trumps Tenor: „Die Staaten sollten Chaos und den Verdacht von Unregelmäß­igkeit vermeiden wollen, was entstehen könnte, wenn Tausende von Briefwahls­timmen nach dem Wahltag eingehen und so das Ergebnis der Wahl potenziell drehen könnten.“

Dessen Richter-Kollegin Elena Kagan, die mit zwei Liberalen am neunköpfig­en Gericht in der Minderheit ist, verdrehte über Kavanaugh die Augen. Sie konterte, dass allein die Nicht-Berücksich­tigung von ordnungsge­mäß abgestempe­lten Stimmzette­ln, die später eingehen, „verdächtig“sei.

Ausschreit­ungen

In US-Frühsendun­gen im Fernsehen äußerten Analysten die Befürchtun­g, dass aggressive Kommentare Trumps in den kommenden Tagen öffentlich­e Unruhen auslösen könnten. In Portland, New York Atlanta, Oakland und Detroit kam es bereits am Mittwochab­end zu Demonstrat­ionen meist linksgeric­hteter Gruppen. Sie forderten, dass die Auszählung noch ausstehend­er Briefwahls­timmen uneingesch­ränkt fortgesetz­t wird. Dabei kam es auch vereinzelt zu Gewalt.

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Stand: Do., 5. 11., 22.00 Uhr MEZ

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