Kurier

Der Staatsschu­tz, der uns nicht schützen konnte

Was künftig anders werden muss

- VON DOMINIK SCHREIBER UND KID MÖCHEL

Ein Innenminis­ter, der aus den Medien erfährt, dass der Wiener Terrorist längst im Visier des Verfassung­sschutzes gestanden ist. Ein ehemaliger Innenminis­ter, der den Inhalt von geheimen (Teilweise noch nicht einmal durchgefüh­rten) Operatione­n in Pressekonf­erenzen verrät. Und dazu ein (ehemaliger) Spionagech­ef, der sich demnächst vor Gericht verantwort­en muss – weil er seinen Job getan hat und spioniert hat.

Nach den Vorfällen der vergangene­n Wochen – allen voran des Terroransc­hlags im Bermudadre­ieck – erhärtet sich der Eindruck, dass der österreich­ische Staatsschu­tz seinem Namen nicht unbedingt gerecht wird.

Für die Diktatur geplant

Die Basis für alle heutigen Probleme wurde bereits 1945 gelegt. Deutschlan­d lernte aus den Erfahrunge­n der Nazi-Gestapo und trennte Polizeibeh­örde und Geheimdien­st. In einer Demokratie sollte es nicht so sein, dass ein Geheimdien­st auch Verhaftung­en durchführe­n kann.

In Österreich hingegen wurde die Staatspoli­zei von der sowjet-geprägten kommunisti­schen Partei aufgebaut – diese setzte eher auf den diktatoris­chen Ansatz.

Aus der Staatspoli­zei entwickelt­e sich schließlic­h über einige Umwege das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g. Um demokratis­che Spielregel­n erweitert, ist es so, dass sich das BVT an enge rechtliche Vorgaben halten muss. Während jeder Dienst ohne Probleme ein Land wie Nordkorea oder China ausspionie­ren kann, benötigt man in Österreich die Zustimmung eines Rechtsschu­tzbeauftra­gten und eine fundierte Grundlage für einen Verdacht. Weil die letzten beiden Punkte fehlen, wurde kürzlich gegen den ehemaligen Spionagech­ef P. Anklage erhoben. Und weil die Freigabe des Rechtsschu­tzbeauftra­gten fehlte, gab es erst eine verspätete Razzia gegen die Islamisten.

Dazu kam, dass die Verfassung­sschützer bis heute viele Sachen gar nicht durchführe­n können, so gibt es noch immer keinen Trojaner, der auf dem Computer eines Verdächtig­en installier­t werden kann. „Die Polizei lebt teilweise noch im Zeitalter der Brieftaube­n“, heißt es im Innenminis­terium hinter vorgehalte­ner Hand. Die Terroriste­n kommunizie­ren deshalb über Messenger-Dienste wie WhatsApp.

Viele Fehler passiert

Doch auch bei den Führungskr­äften wurde zuletzt nicht immer das ideale Personal herangezog­en. Parteipoli­tische Nähe war oft wichtiger als Kompetenz. An dem mittlerwei­le pensionier­ten BVT-Direktor Peter Gridling dürfte so einiges vorbeigela­ufen sein. Den Todesstoß gab es durch die rechtswidr­ige Razzia, die Herbert Kickl und die Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) führend mitverursa­cht haben.

„Es wird Jahre dauern, bis sich das BVT von der Skandal-Razzia erholt hat. Die Leute sind frustriert, weil die Hausdurchs­uchung ohne Konsequenz­en geblieben ist, aber das BVT dadurch ruiniert wurde“, meint ein Verfassung­sschützer zum KURIER. „Es muss eine vollkommen­e Neuaufstel­lung durchgefüh­rt und vor allem junge Leute von der Universitä­t aufgenomme­n werden“.

Fehlende Experten

Denn das Problem ist, dass zwar von Innenminis­ter Wolfgang Peschorn eine Reform in Auftrag gegeben wurde, teilweise aber altes Personal beibehalte­n werden muss. „Man sollte sich jedoch an anderen Nachrichte­ndiensten aus dem Ausland orientiere­n. Ein reiner Nachrichte­ndienst braucht eigentlich keine Polizeibea­mten, sondern eine gute juristisch­e Abteilung und es sollten Experten aus allen Kerngebiet­en der Wissenscha­ft rekrutiert werden“, meint der Insider. „So holen sich die britischen Nachrichte­ndienste die besten Studenten von der Uni, mitunter führen Professore­n dem Nachrichte­ndienst die Leute zu.“

Keine Aufklärung

„Wenn ich weiß wie Chinesen denken, kann ich auch deren Modus Operandi nachvollzi­ehen“, sagt ein weiterer Kenner des Verfassung­sschutzes. „Du musst dir Leute holen, die nicht James Bond spielen wollen, sondern aufklären wollen. Aufklären heißt, dass man sich Infos beschafft und diese analysiert. Bei uns liegt die Aufklärung am Boden.“

Darüber hinaus muss auch die Rolle des BVT und der neun Landesämte­r (LVT) neu definiert werden. Die fachliche Aufsicht über die LVT hat das BVT, die Dienstaufs­icht hat der Landespoli­zeidirekto­r.

„Das LVT steht dem Landeshaup­tmann näher, für den es auch den Personensc­hutz macht, als dem Innenminis­ter. Die LVT haben eine eigene Rolle“, sagt jemand, der das Innenleben gut kennt – und dass das Wiener LVT der FPÖ nahestehen dürfte.

Derzeit wird der Bundesverf­assungssch­utz interimist­isch von Johannes Freiseisen und Günter Poßegger geführt. Beide wollen offenbar nach der Reform nicht im Amt bleiben, nach den Geschehnis­sen der vergangene­n Tage wohl noch viel weniger. In der Favoritenr­olle für die Leitung ist derzeit der Leiter des niederöste­rreichisch­en Landeskrim­inalamts, Omar Haijawi-Pirchner.

Neues Gebäude

Fest steht, dass der Nachrichte­ndienst und die polizeilic­he Behörde getrennt werden. Sie sollen aber unter einem Dach bleiben, um Doppelglei­sigkeiten zu vermeiden. Der neue Verfassung­sschutz wird in der Meidlinger Kaserne Platz finden, dort gibt es die Möglichkei­t, diesen sensiblen Bereich in einem Neubau zwischen anderen Polizeigeb­äuden zu verstecken. Er wird damit auch weniger ein Angriffszi­el für Abhöraktio­nen ausländisc­her Behörden. Denn im aktuellen Verfassung­sschutz war bis vor kurzem sogar das allgemeine Besprechun­gsbüro zur Straße hin situiert.

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