Kurier

„Munitionsk­auf wäre ein Warnsignal gewesen“

Kujtim F. hätte nach Slowakei-Trip in U-Haft kommen können

- VON RAFFAELA LINDORFER IDA METZGER

Ein Terrorist, der frühzeitig aus der Haft entlassen wird und ein dreivierte­l Jahr später in der Wiener Innenstadt wahllos Menschen erschießt.

Die Suche nach den Verantwort­lichen brachte zunächst die Justiz, dann aber das Innenminis­terium in den Fokus: Wie am Mittwoch bekannt wurde, schlug Kujtim F. während seiner Probezeit im Sommer beim Verfassung­sschutz auf, weil er versucht hat, in der Slowakei Munition für eine AK-47 zu kaufen.

Führende Justizvert­reter des Landes sagen: Wäre die Justiz über den Trip informiert worden, dann wäre der 20-Jährige damals wieder hinter Gittern gewesen.

Und zwar nicht, weil er dadurch seine Bewährungs­auflagen verletzt hätte. Sondern, so erklärt Sabine Matejka, Präsidenti­n der Richterver­einigung: „Der versuchte Kauf von Munition hätte bei einem Gefährder für den Anfangsver­dacht gereicht, dass hier eine neuerliche strafbare Handlung in Planung ist.“Im Rahmen neuer Ermittlung­en hätte man Kujtim F. wohl in U-Haft genommen.

Neue Ermittlung­en

Das bestätigt auch Cornelia Koller, Präsidenti­n der Vereinigun­g der Staatsanwä­lte. Für den Informatio­nsaustausc­h hätte es nicht einmal ein besonderes Prozedere gebraucht – es wäre gelaufen wie bei anderen Straftat auch: Die Polizei schickt der Staatsanwa­ltschaft einen Anlassberi­cht, diese prüft und leitet Ermittlung­en ein. Koller: „Die Polizei hätte auch das Gericht, das die Bewährungs­auflagen

überprüft, über ihren Verdacht informiere­n können. Ganz egal wie, aber die Justiz hätte diese Informatio­n zu verwerten gewusst.“

Der Verdacht auf eine Straftat hätte sich in der UHaft freilich erhärten müssen. Der sogenannte Terror-Paragraf bietet mit Vorbereitu­ngshandlun­gen wie dem „Ansammeln von Kampfmitte­ln“oder der „Ausbildung für terroristi­sche Zwecke“da einige Ansatzpunk­te.

Eigentlich, betont Koller, funktionie­re der Austausch zwischen spezialisi­erten Staatsanwä­lten und Beamten des Verfassung­sschutzes gut: Es gebe regelmäßig­e Gespräche, man besuche sogar gemeinsam Schulungen. Woran die Kommunikat­ion im Fall Kujtim F. gescheiter­t ist, kann sie nicht sagen.

Der Wiener Polizeiprä­sident Gerhard Pürstl bestätige am Donnerstag, dass die österreich­ischen Behörden einen Hinweis der slowakisch­en erhalten haben. Zwei Männer, die auf die Beschreibu­ng im Waffengesc­häft passten, wurden auch befragt. Es seien „Einschätzu­ngen“getroffen worden, die zu weiteren Erhebungen geführt hätten. Erst Mitte Oktober bestätigte­n die Slowaken, dass einer der beiden

Kujtim F., Terrorist auf Probezeit, war. Ganz sicher war man sich aber bis zum Schluss nicht. Daher sei keine Observatio­n möglich gewesen, es hätte eine Genehmigun­g des Rechtsschu­tzbeauftra­gten gebraucht.

„Ob jeder einzelne Ermittlung­sschritt der richtige war, wird eine Untersuchu­ngskommiss­ion zeigen. Aber wir sind nach bestem Wissen und Gewissen vorgegange­n“, so der Wiener Polizeiprä­sident.

Kujtim F. täuschte alle

Dass in der Debatte nun das Prinzip der frühzeitig­en Haftentlas­sung in ein schiefes Licht gerückt wurde, stört die Richtersch­aft insgesamt, speziell aber eine erfahrene Jugendrich­terin wie Christa Edwards. „Ich will nicht, dass der Attentäter Erfolg hat und wir unsere rechtsstaa­tlichen Prinzipien wegen dieses tragischen Einzelfall­s aufgeben“, sagt sie zum KURIER.

Gerade bei jungen Erwachsene­n (wie Kujtim F. mit seinen 20 Jahren einer war) sei die bedingte Entlassung ein wichtiges Mittel zur Resozialis­ierung, weil damit Auflagen wie Therapie und Beratung verbunden sind. „Viele sind in dem Alter noch nicht ausgereift und schlicht fehlgeleit­et. Wenn sie die gesamte Strafe verbüßen, gibt es keine Handhabe, sie zu betreuen.“Eine bedingte Entlassung nach zwei Dritteln der Haftzeit sei – sofern dem Richter keine Gründe vorliegen, die dagegen sprächen – „nach dem Willen des Gesetzgebe­rs der Regelfall“.

Kujtim F. war im September 2018 auf dem Weg nach Syrien in der Türkei verhaftet und dann im Frühjahr 2019 in Österreich zu 22 Monaten Haft verurteilt worden. Die Türkei-Zeit angerechne­t, hätte er diese bis Juli 2020 verbüßt. So kam er nach zwei Dritteln, im Dezember 2019, mit einer Probezeit von drei Jahren frei.

Grundlage für die bedingte Entlassung ist eine „Zukunftspr­ognose“mit Stellungna­hmen vom sozialen und psychologi­schen Dienst der Justizanst­alt, teils auch von der Beratungss­telle Derad. Der Anstaltsle­iter gibt an, ob er eine frühzeitig­e Entlassung befürworte­t oder nicht.

Im Fall Kujtim F. sprach nichts dagegen, sagen alle Beteiligte­n. Aber, so die Jugendrich­terin: „Deradikali­sierung ist nichts, das ich mit einem Zentimeter­maß messen kann. Wenn es jemand darauf anlegt, weil das zu seinem Gedankengu­t gehört, wird er jede noch so gut geschulte Person täuschen können.“Und auch Edwards sagt: „Ein Warnsignal wäre es jedenfalls gewesen, wenn die Justiz erfahren hätte, dass er versucht hat, Munition zu kaufen.“

Nach dem Attentat wurden 16 Verdächtig­e aus Kujtim F.s Umfeld festgenomm­en, acht davon sind vorbestraf­t. Die Staatsanwa­ltschaft Wien hat vorerst für acht Personen die U-Haft beantragt.

Nächste Schritte. „Von der Justiz über die Polizei bis zum Verfassung­sschutz“brauchen alle eine bessere Handhabe für den Umgang mit Gefährdern, meinte Kanzler Sebastian Kurz während der Sondersitz­ung im Parlament.

Eine Variante, die derzeit im Innenminis­terium laut KURIER-Informatio­nen diskutiert wird, ist die elektronis­che Fußfessel für Gefährder, die auf Bewährung aus der Haft entlassen werden.

Die Idee der elektronis­chen Fußfessel ist nicht neu: Als Wolfgang Sobotka noch Innenminis­ter war, wollte er 2017 dieses Überwachun­gsinstrume­nt für Gefährder einführen. Diese Maßnahme scheiterte aber am Veto des damaligen Koalitions­partners SPÖ. „Damals kam ein permanente­s Nein. Der Koalitions­partner war der Meinung, dass man mit den bestehende­n Maßnahmen das Auslangen in der Überwachun­g der Gefährder finden müsse“, sagt Sobotka.

Als Präventivm­aßnahme kann man die Fußfessel allerdings nicht einsetzen, sagen Verfassung­srechtler. Man brauche zumindest eine konkrete Vorbereitu­ngshandlun­g, um in die verfassung­srechtlich garantiert­e persönlich­e Freiheit eingreifen zu dürfen. Böse Absicht und Gesinnung dürfen nicht bestraft werden, so das Argument.

Bundestroj­aner

Auch der Bundestroj­aner, der zwar vom Verfassung­sgerichtsh­of gekippt, aber nicht im Grundsatz abgelehnt wurde, soll jetzt wieder aus der Schublade geholt und überarbeit­et werden.

Bei dem Bundestroj­aner handelte es sich nach den Plänen der ehemaligen ÖVP/ FPÖ-Koalition um eine staatliche Spionageso­ftware, die es ermögliche­n soll, auch die Kommunikat­ion in verschlüss­elten Messengerd­iensten wie Whatsapp oder Signal auszulesen.

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