„Munitionskauf wäre ein Warnsignal gewesen“
Kujtim F. hätte nach Slowakei-Trip in U-Haft kommen können
Ein Terrorist, der frühzeitig aus der Haft entlassen wird und ein dreiviertel Jahr später in der Wiener Innenstadt wahllos Menschen erschießt.
Die Suche nach den Verantwortlichen brachte zunächst die Justiz, dann aber das Innenministerium in den Fokus: Wie am Mittwoch bekannt wurde, schlug Kujtim F. während seiner Probezeit im Sommer beim Verfassungsschutz auf, weil er versucht hat, in der Slowakei Munition für eine AK-47 zu kaufen.
Führende Justizvertreter des Landes sagen: Wäre die Justiz über den Trip informiert worden, dann wäre der 20-Jährige damals wieder hinter Gittern gewesen.
Und zwar nicht, weil er dadurch seine Bewährungsauflagen verletzt hätte. Sondern, so erklärt Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung: „Der versuchte Kauf von Munition hätte bei einem Gefährder für den Anfangsverdacht gereicht, dass hier eine neuerliche strafbare Handlung in Planung ist.“Im Rahmen neuer Ermittlungen hätte man Kujtim F. wohl in U-Haft genommen.
Neue Ermittlungen
Das bestätigt auch Cornelia Koller, Präsidentin der Vereinigung der Staatsanwälte. Für den Informationsaustausch hätte es nicht einmal ein besonderes Prozedere gebraucht – es wäre gelaufen wie bei anderen Straftat auch: Die Polizei schickt der Staatsanwaltschaft einen Anlassbericht, diese prüft und leitet Ermittlungen ein. Koller: „Die Polizei hätte auch das Gericht, das die Bewährungsauflagen
überprüft, über ihren Verdacht informieren können. Ganz egal wie, aber die Justiz hätte diese Information zu verwerten gewusst.“
Der Verdacht auf eine Straftat hätte sich in der UHaft freilich erhärten müssen. Der sogenannte Terror-Paragraf bietet mit Vorbereitungshandlungen wie dem „Ansammeln von Kampfmitteln“oder der „Ausbildung für terroristische Zwecke“da einige Ansatzpunkte.
Eigentlich, betont Koller, funktioniere der Austausch zwischen spezialisierten Staatsanwälten und Beamten des Verfassungsschutzes gut: Es gebe regelmäßige Gespräche, man besuche sogar gemeinsam Schulungen. Woran die Kommunikation im Fall Kujtim F. gescheitert ist, kann sie nicht sagen.
Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl bestätige am Donnerstag, dass die österreichischen Behörden einen Hinweis der slowakischen erhalten haben. Zwei Männer, die auf die Beschreibung im Waffengeschäft passten, wurden auch befragt. Es seien „Einschätzungen“getroffen worden, die zu weiteren Erhebungen geführt hätten. Erst Mitte Oktober bestätigten die Slowaken, dass einer der beiden
Kujtim F., Terrorist auf Probezeit, war. Ganz sicher war man sich aber bis zum Schluss nicht. Daher sei keine Observation möglich gewesen, es hätte eine Genehmigung des Rechtsschutzbeauftragten gebraucht.
„Ob jeder einzelne Ermittlungsschritt der richtige war, wird eine Untersuchungskommission zeigen. Aber wir sind nach bestem Wissen und Gewissen vorgegangen“, so der Wiener Polizeipräsident.
Kujtim F. täuschte alle
Dass in der Debatte nun das Prinzip der frühzeitigen Haftentlassung in ein schiefes Licht gerückt wurde, stört die Richterschaft insgesamt, speziell aber eine erfahrene Jugendrichterin wie Christa Edwards. „Ich will nicht, dass der Attentäter Erfolg hat und wir unsere rechtsstaatlichen Prinzipien wegen dieses tragischen Einzelfalls aufgeben“, sagt sie zum KURIER.
Gerade bei jungen Erwachsenen (wie Kujtim F. mit seinen 20 Jahren einer war) sei die bedingte Entlassung ein wichtiges Mittel zur Resozialisierung, weil damit Auflagen wie Therapie und Beratung verbunden sind. „Viele sind in dem Alter noch nicht ausgereift und schlicht fehlgeleitet. Wenn sie die gesamte Strafe verbüßen, gibt es keine Handhabe, sie zu betreuen.“Eine bedingte Entlassung nach zwei Dritteln der Haftzeit sei – sofern dem Richter keine Gründe vorliegen, die dagegen sprächen – „nach dem Willen des Gesetzgebers der Regelfall“.
Kujtim F. war im September 2018 auf dem Weg nach Syrien in der Türkei verhaftet und dann im Frühjahr 2019 in Österreich zu 22 Monaten Haft verurteilt worden. Die Türkei-Zeit angerechnet, hätte er diese bis Juli 2020 verbüßt. So kam er nach zwei Dritteln, im Dezember 2019, mit einer Probezeit von drei Jahren frei.
Grundlage für die bedingte Entlassung ist eine „Zukunftsprognose“mit Stellungnahmen vom sozialen und psychologischen Dienst der Justizanstalt, teils auch von der Beratungsstelle Derad. Der Anstaltsleiter gibt an, ob er eine frühzeitige Entlassung befürwortet oder nicht.
Im Fall Kujtim F. sprach nichts dagegen, sagen alle Beteiligten. Aber, so die Jugendrichterin: „Deradikalisierung ist nichts, das ich mit einem Zentimetermaß messen kann. Wenn es jemand darauf anlegt, weil das zu seinem Gedankengut gehört, wird er jede noch so gut geschulte Person täuschen können.“Und auch Edwards sagt: „Ein Warnsignal wäre es jedenfalls gewesen, wenn die Justiz erfahren hätte, dass er versucht hat, Munition zu kaufen.“
Nach dem Attentat wurden 16 Verdächtige aus Kujtim F.s Umfeld festgenommen, acht davon sind vorbestraft. Die Staatsanwaltschaft Wien hat vorerst für acht Personen die U-Haft beantragt.
Nächste Schritte. „Von der Justiz über die Polizei bis zum Verfassungsschutz“brauchen alle eine bessere Handhabe für den Umgang mit Gefährdern, meinte Kanzler Sebastian Kurz während der Sondersitzung im Parlament.
Eine Variante, die derzeit im Innenministerium laut KURIER-Informationen diskutiert wird, ist die elektronische Fußfessel für Gefährder, die auf Bewährung aus der Haft entlassen werden.
Die Idee der elektronischen Fußfessel ist nicht neu: Als Wolfgang Sobotka noch Innenminister war, wollte er 2017 dieses Überwachungsinstrument für Gefährder einführen. Diese Maßnahme scheiterte aber am Veto des damaligen Koalitionspartners SPÖ. „Damals kam ein permanentes Nein. Der Koalitionspartner war der Meinung, dass man mit den bestehenden Maßnahmen das Auslangen in der Überwachung der Gefährder finden müsse“, sagt Sobotka.
Als Präventivmaßnahme kann man die Fußfessel allerdings nicht einsetzen, sagen Verfassungsrechtler. Man brauche zumindest eine konkrete Vorbereitungshandlung, um in die verfassungsrechtlich garantierte persönliche Freiheit eingreifen zu dürfen. Böse Absicht und Gesinnung dürfen nicht bestraft werden, so das Argument.
Bundestrojaner
Auch der Bundestrojaner, der zwar vom Verfassungsgerichtshof gekippt, aber nicht im Grundsatz abgelehnt wurde, soll jetzt wieder aus der Schublade geholt und überarbeitet werden.
Bei dem Bundestrojaner handelte es sich nach den Plänen der ehemaligen ÖVP/ FPÖ-Koalition um eine staatliche Spionagesoftware, die es ermöglichen soll, auch die Kommunikation in verschlüsselten Messengerdiensten wie Whatsapp oder Signal auszulesen.