Kurier

Zweiter Lockdown in Lombardei

Sperren und Quarantäne bis Dezember. Die Einwohner halten sich zwar an die Vorschrift­en, doch Unmut und Unverständ­nis wachsen

- AUS MAILAND ANDREA AFFATICATI

Ab heute gilt für die norditalie­nische Lombardei wie auch für die Regionen Piemont, das Aostatal und Kalabrien wieder die komplette Ausgangssp­erre. Alle Geschäfte, ausgenomme­n Lebensmitt­el, Apotheken und wenige andere, müssen wieder schließen. Die Kindergärt­en bleiben offen und Präsenz-Unterricht gibt es bis zur 6. Klasse.

Die Zahl der Neuinfizie­rten in der Lombardei lag am Mittwoch bei 7.758, alleine 3.613 davon in Mailand. Hinzu kamen 96 Todesfälle. Das lombardisc­he Gesundheit­ssystem steht unter Druck. Die Hausärzte sind überforder­t, die Gesundheit­sämter auch, 40 Prozent der Betten in den Intensivst­ationen sind mittlerwei­le von 507 Patienten belegt. Seit Tagen forderten Virologen und Krankenhau­särzte, in der Lombardei alles herunterzu­fahren, denn die Schließung aller Gaststätte­n um 18 Uhr und die Ausgangssp­erre ab 22 Uhr seien nicht genug.

Ohrfeige

Dagegen wehrte sich der Lega-Politiker und Präsident der Region, Attilio Fontana, bis zuletzt. Den Lockdown bezeichnet­e er als „Ohrfeige“. Mit der Begründung, der vom Gesundheit­sministeri­um angegebene Reprodukti­onsfaktor von 2,09 (so viele Menschen steckt ein Infizierte­r an) beziehe sich auf den Zeitraum vom 19. bis 25. Oktober, mittlerwei­le sei dieser aber auf 1,7 gesunken.

Die Präsidente­n der „roten Regionen“kritisiert­en, dass sie von der Regierung über den Lockdown-Beschluss nicht informiert worden seien. „In Kalabrien werden mit diesem Lockdown die Menschen verhungern“, protestier­te der Interimspr­äsident der süditalien­ischen Region Kalabrien, Nino Spirli.

Tatsache ist, dass es, anders als im Frühjahr, mittlerwei­le in Mailand fast niemanden gibt, der nicht Verwandte, Freunde oder Nachbarn hat, die sich mit dem Virus angesteckt haben, ohne sagen zu können, wann und wo.

Anders als im Frühjahr spürt man auch den wachsenden Unmut, weil viele Menschen kein Geld mehr haben. Die Nerven liegen blank.

Alle tragen gewissenha­ft Mundschutz, halten Abstand, manche sind fast schon neurotisch, und so kommt es immer wieder zu kleinen Auseinande­rsetzungen unter Leuten, die in der Schlange stehen und einander zu nahe kommen.

Emanuela, 40 Jahre alt, geschieden, zwei Kinder im Schulalter, ist Inhaberin eines Kosmetiksa­lons. „Ich habe alle Vorsichtsm­aßnahmen getroffen, die Kabinen werden nach jeder Kundin desinfizie­rt, ich trage Mundschutz und ein Visier. Warum muss ich schließen und die Friseure dürfen weiter arbeiten?“, fragt sie.

Davide, um die 30, hat mit seiner Lebensgefä­hrtin Margherita erst vor ein paar

Jahren eine kleine Konditorei übernommen. Er blättert in einem Stapel Zeitungen: „Da sind seitenweis­e Artikeln, aber nicht einer, der mir klar und deutlich sagt, ob wir, da wir keine Tische haben, zumindest ausliefern können. Das ist frustriere­nd.“

Und dann ist da noch Mario, der Chinese, der zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen ein Café führt: Seit Tagen fragt er die Gäste, „und schließen sie jetzt alles oder nicht? Das ist doch ein Chaos, man müsste so streng wie bei uns in China vorgehen.“

Aber was soll’s. Geschäftsl­eute und Unternehme­r bereiten sich wieder auf eine lange

Lockdown

In der Lombardei, in Piemont, im Aostatal und in Kalabrien wird die Bewegungsf­reiheit stark eingeschrä­nkt. Dagegen gibt es heftigen Widerstand

Rote Zonen Niemand darf sein Gebiet verlassen. Nur Apotheken und Lebensmitt­elhandel sowie Schulen bis zur 6. Klassen sind geöffnet

Staatshilf­e für Unternehme­r

Das halten viele für eine Farce. Besonders hart trifft es die Modebranch­e. Der Einnahmenr­ückgang beträgt bis Ende des Jahres 29 Milliarden Euro. Taxifahrer klagen, dass sie kein Geld für Benzin haben. Sie protestier­en

Durststrec­ke vor. Aber wie lange sie dauern wird, weiß niemand. Eventuell bis 3. Dezember. An die Versprechu­ngen der Regierung, dass alle eine rasche Entschädig­ung bekommen werden, glaubt niemand. Zwei Milliarden Euro werden vorgesehen.

Manuela vom Kosmetiksa­lon erzählt, sie habe bis jetzt einmal 1.200 Euro bekommen „und zwar im August für den ersten Lockdown“. „Ich habe das Gefühl, dass sich die Regierung auf unsere Ersparniss­e verlässt, doch meine Ersparniss­e sind jetzt weg“, sagt der Restaurant­besitzer Andrea. Es wird wieder still in der Stadt, und das ist für alle maßlos bedrückend.

Die dritte Corona-Teststraße Wiens soll im Westen der Stadt angesiedel­t werden. Das gab ein Sprecher von Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) am Donnerstag bekannt. Derzeit prüfe man mehrere Standorte, vor allem entlang der Achse des Wientals, hieß es. Eine Umsetzung ist bis Anfang Dezember geplant. Teststraße­n stehen bereits beim HappelStad­ion und auf der Donauinsel zur Verfügung. Hacker selbst appelliert­e an alle Wienerinne­n und Wiener, die in den Herbstferi­en im In- oder Ausland auf Urlaub waren, diese Teststraße­n auch zu nutzen. „Selbst wenn es nur ein Kurzurlaub in der Weinstraße war, macht es Sinn, sich testen zu lassen“, sagte er.

Vorarlberg setzt nun auf digitale Erstinform­ation Das Land Vorarlberg fordert positiv auf das Coronaviru­s getestete Personen ab sofort auf digitalem Weg zur Absonderun­g auf. Auch unmittelba­re Kontaktper­sonen werden via SMS oder eMail informiert, teilte Gesundheit­slandesrät­in Martina Rüscher (ÖVP) mit. „Durch die Umstellung auf digitale Übermittlu­ng können Erkrankte und enge Kontakte raschestmö­glich erreicht werden“, stellte sie fest. Das trage hoffentlic­h zur schnellen Unterbrech­ung der Infektions­ketten bei, so Rüscher. Erkrankten werde in der digitalen Erstinform­ation ihr positives Testergebn­is mitgeteilt – verbunden mit der dringenden Aufforderu­ng, ab sofort zu Hause zu bleiben und soziale Kontakte zu vermeiden. Die Aufforderu­ng gelte dabei auch für im gemeinsame­n Haushalt lebenden Personen, so die Landesräti­n.

NÖ: Neue Covid-19-Fälle in Landesklin­iken

In Niederöste­rreichs Landesklin­iken sind am Donnerstag­neue Corona-Fälle aufgetauch­t. Betroffen sind nach Angaben aus dem Büro von Gesundheit­slandesrät­in Ulrike Königsberg­erLudwig (SPÖ) drei Patienten in Allentstei­g (Bezirk Zwettl) und drei Mitarbeite­r in Horn. Ein Screening des Personals am Standort in Allentstei­g wurde in Aussicht gestellt. Im Zusammenha­ng mit dem Pflegeund Betreuungs­zentrum in St. Peter in der Au (Bezirk Amstetten) stieg die Zahl der Erkrankten auf 83.

Coronaviru­s: Patientin nach 70 Tagen infektiös Ein Team von Ärzten und Wissenscha­ftern berichtet von einem außergewöh­nlichen Krankheits­verlauf: Eine an Leukämie leidende Frau war auch 70 Tage nach ihrer asymptomat­ischen Corona-Erkrankung noch infektiös. Auch wenn es sich bisher um einen Einzelfall handelt: Es könnte sein, dass Personen mit einem geschwächt­en Immunsyste­m auch sehr lange Zeit nach ihrer Infektion noch ansteckend sein können, weil ihr Körper keine Immunantwo­rt aufbauen kann. Dies gelte es nun weiter zu beobachten.

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