Kurier

Verfassung­sschutz ließ Minister im Dunkeln tappen

Nehammer musste von Medien über Pannen erfahren

- VON PATRICK WAMMERL UND RAFFAELA LINDORFER

Bei den Ermittlung­en im Vorfeld des Attentats in Wien wurden „offensicht­liche und aus unserer Sicht nicht tolerierba­re Fehler“gemacht, sagte Innenminis­ter Karl Nehammer am Freitag vor laufenden Kameras.

Nur zum Vergleich: Bei derselben Veranstalt­ung meinte der Wiener Polizeiprä­sident Gerhard Pürstl, die Aktivitäte­n von Kujtim F. hätten „bei der Einschätzu­ng der Gefährlich­keit des Täters zu einem anderen Ergebnis führen können“.

Die harsche Rhetorik des ÖVPPolitik­ers kam nicht von ungefähr: Er fühlte sich, so heißt es in seinem Umfeld, von seiner eigenen Behörde, dem Wiener Landesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (LVT), gefrotzelt.

Das führte zu ersten Konsequenz­en: Der langjährig­e LVT-Chef Erich Zwettler legte am Freitag seine Funktion zurück. Nicht nur, weil seine Abteilung grob gepatzt hat. „Wir wurden auch tagelang nicht über die tatsächlic­hen Vorgänge und die Pannen im LVT informiert. Das nahm unglaublic­he Ausmaße an“, berichtet ein Insider aus dem Ministeriu­m.

Fehler bei Ermittlung­en

Erster Akt: FPÖ-Klubchef und Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl kündigte für eine Pressekonf­erenz am Mittwoch um 14.30 Uhr „brisante Erkenntnis­se zum Terroransc­hlag in Wien“an. „Brisant“waren diese Erkenntnis­se auch für den amtierende­n Innenminis­ter, der zeitgleich eine Pressekonf­erenz geplant hatte: Nehammer hatte keine Ahnung, dass die slowakisch­en Behörden das Wiener LVT schon am 23. Juli über einen Verdächtig­en aus Wien aufmerksam machten, der in Waffenläde­n in Bratislava versucht hatte, an Munition für eine Kalaschnik­ow zu kommen.

Medienberi­chte kursierten bereits am Vormittag, auch der KURIER berichtete. Auf Nachfrage des Ministers soll das LVT zunächst abgeblockt haben. Die Informatio­n, dass besagter Waffeninte­ressent rasch als der vorbestraf­te Dschihadis­t Kujtim F. identifizi­eren werden konnte, teilte die Behörde nicht mit ihm. Nehammer verschob seine Pressekonf­erenz daraufhin um eine Stunde – und kündigte intern an, aufzuräume­n.

Kurzzeitig wurde den Slowaken die Schuld für Verzögerun­gen im Informatio­nsfluss zugeschobe­n – was diese dementiert­en. Am Samstag meldete sich dann der Anti-TerrorKoor­dinator der EU, Gilles de Kerchove, zu Wort und lobte die Arbeit der slowakisch­en Behörden: Deren Warnung sei ein gutes Beispiel dafür, dass die Zusammenar­beit zwischen den EU-Staaten funktionie­re. Über Österreich äußert er sich nicht.

Personelle Konsequenz­en

Zweiter Akt: Das Ministeriu­m erreichte am Donnerstag­abend eine Presseanfr­age. Darin ging es um den Sachverhal­t, dass auch der deutsche Staatsschu­tz im Juli vor einer Terrorgefa­hr gewarnt hatte. Die Deutschen überwachte­n zwei gefährlich­e Dschihadis­ten bei einem konspirier­enden Treffen mit Kujtim F. in Wien. Einer der deutschen Gefährder übernachte­te sogar bei dem 20-Jährigen. Diese Informatio­nen wurden dem Minister erst am Freitagvor­mittag vom LVT vorgelegt, als er sie mit Nachdruck einfordert­e. Und da reichte es ihm.

LVT-Chef Zwettler dankte „auf eigenen Wunsch“ab, um der Aufklärung nicht im Wege zu stehen, hieß es. Eine Wahl hatte er aber nicht. Auch weiter unten in der Hierarchie könnte es zu personelle­n Konsequenz­en kommen.

Innenminis­terium und Justizmini­sterium wollen einen unabhängig­en Untersuchu­ngsausschu­ss einsetzen, um die Pannen aufzukläre­n. Dabei soll auch die Rolle des BVT beleuchtet werden – als übergeordn­ete Behörde hätte sie bei brisanten Fällen die Aufsicht über das LVT.

Wahrheit kommt ans Licht

Dass der ÖVP-Politiker schon jetzt offen von „Fehlern“spricht, war kein (bloßer) medientakt­ischer Schachzug. In Anbetracht dessen, dass bereits eine Amtshaftun­gsklage im Raum steht, war sie taktisch sogar eher heikel: Die Äußerung könnte vom Gericht als Schuldeing­eständnis gewertet werden, bestätigt Anwalt Meinhard Novak dem KURIER.

Im Innenminis­terium heißt es, Ressortche­f Nehammer sei davon überzeugt, dass die Wahrheit ohnehin ans Licht komme – jeder Versuch der Beschönigu­ng sei zum Scheitern verurteilt und würde dem Ansehen des Verfassung­sschutzes nur weiter schaden. Die bisherigen Pannen haben ja auch ihren Weg in die Öffentlich­keit gefunden. An Rücktritt, den die FPÖ von ihm fordert, denkt der Innenminis­ter nicht.

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