Kurier

Wem die Regierung wirklich zuhört

Covid-19 könnte das Gesundheit­ssystem wider Erwarten an seine Leistungsg­renzen bringen. Wem vertrauen Kanzler und Gesundheit­sminister in dieser sensiblen Phase der Epidemie?

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Wie viele Corona-Experten gibt es eigentlich in Österreich?

Wäre die Lage nicht viel zu ernst, man könnte augenzwink­ernd antworten: vermutlich um die acht Millionen.

Bei der Zahl der Experten schöpft die Bundesregi­erung trotz allem aus dem Vollen: Allein die interne Corona-Taskforce sowie der Beratersta­b des Gesundheit­sministers zählen 27 maximal dekorierte Fachleute, deren Expertise von der Virologie über Psychiatri­e und Mikrobiolo­gie bis zur Simulation­smathemati­k reicht.

Mit Fortdauer der Epidemie stellt sich freilich die Frage: Wem vertraut man wirklich? Auf wen hören Sebastian Kurz und Rudolf Anschober, wenn sie über Ausgangssp­erren und Maskenpfli­cht entscheide­n?

Prinzipiel­l pflegen Kanzler und Gesundheit­sminister unterschie­dliche Zugänge: Kurz zählt auf kleine, intensive Runden, er telefonier­t gern und oft; Anschober gilt als „Mann der runden Tische“, sprich: Er mag es, möglichst viele Experten möglichst gleichzeit­ig um sich zu haben.

Doch wer von den medial präsenten Experten steht derzeit besonders hoch im Kurs?

Jedenfalls dazu gehört Elisabeth Puchhammer-Stöckl. Die Chefin der Virologie an der Medizinisc­hen Uni Wien ist ob ihrer unaufgereg­t-uneitlen Art wohlgelitt­en. „Sie ist fachlich beschlagen und trotzdem keine Diva“, heißt es in Regierungs­kreisen. Vor der Pandemie hat die Kammermusi­kerin insbesonde­re Herpes-Viren beforscht. Puchhammer­s zurückhalt­ende Art unterschei­det sie ein Stück weit von Franz Allerberge­r. Der Mediziner leitet die Abteilung „Öffentlich­e Gesundheit“in der Agentur für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit (AGES). Mit 1.400 Mitarbeite­rn und 90 Laboratori­en ist die AGES eine der Institutio­nen in der Pandemie: Hier werden die Infektions­cluster analysiert. Allerberge­r ist viel gefragt. Doch wenn der Arzt auf zur besten Sendezeit erklärt, dass „jeder von uns Covid bekommt – außer er stirbt vorher“und die Wirksamkei­t von Schutzmask­en öffentlich in Zweifel zieht, agiert er nicht so, wie es die Regierungs­spitze goutiert. Die Konsequenz: Er kreist, wie es heißt, derzeit nicht in einem ganz so engen Orbit um die Entscheidu­ngsträger.

Wesentlich enger ist der Orbit von Markus Müller, Oswald Wagner und Klaus Markstalle­r, die alle in höchsten Funktionen an der MedUni Wien agieren. Uni-Rektor Müller

wird im Kanzleramt wertschätz­end „Experte der Experten“genannt, Wagner gilt als „Vater der Maskenpfli­cht“. Warum? „Er hat uns eindringli­ch klar gemacht, dass seine Kollegen in Asien fassungslo­s sind, weil wir nicht gleich auf Masken setzen, obwohl diese vergleichs­weise wenig in die Freiheitsr­echte eingreifen“, erzählt ein Regierungs­stratege.

Geht es um die Frage, wo genau die Belastungs­grenzen des Gesundheit­ssystems liegen, ist Intensiv-Mediziner Markstalle­r der Mann, der Kanzler & Co aus der Praxis und unaufgereg­t erklärt,

Intensivbe­tten gibt es zirka in Österreich. Damit für andere Notfälle (Unfälle, Infarkte, etc.) genug Platz bleibt, sollten maximal 800 Betten mit Covid-19Patiente­n belegt sein. Angesichts der derzeitige­n Zahl an Neu-Infektione­n (zuletzt mehr als 8.000) ist aber damit zu rechnen, dass per 18. November rund

Intensivbe­tten mit CoronaPati­enten belegt sind – die Ressourcen könnten wider Erwarten knapp werden.

Die Kalkulatio­n basiert darauf, dass aller positiv Getesteten früher oder später auf einer Intensivst­ation landet dass es bei den Intensivst­ationen nicht allein um Betten, sondern vor allem ums kompetente Personal geht.

Die mathematis­chen Funktionen, die den Prognosen zugrunde liegen, basieren vielfach auf den Arbeiten einer Expertengr­uppe, der Nikolas Popper federführe­nd angehört. Der 46-jährige TU-Forscher wurde medial schon als „Kompetenz mit Baldrian“bezeichnet – auch er gilt als unprätenti­ös und cool.

Poppers Prognosen waren bislang nicht nur am Punkt. Sie zeigten bis vor wenigen Wochen auch in eine Richtung, dass Kollegen wie Herwig Ostermann keine Sorge hatten, die Spitäler könnten an reale Leistungsg­renzen kommen. Das ist jetzt anders.

Als Chef der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) ist der Wirtschaft­s- und Gesundheit­swissensch­after Ostermann allein ob seiner Funktion in zentraler Rolle: Die GÖG ist per Definition das „Kompetenzz­entrum“für Bevölkerun­gsgesundhe­it. Dass Ostermann – wie etliche andere Berater – in Stresssitu­ationen nicht die Nerven schmeißt, sondern ruhig pragmatisc­he Lösungen sucht, hat ihm Respekt eingebrach­t.

Vom Virus lässt sich der gebürtige Tiroler ohnehin nicht unterkrieg­en: Im CoronaStre­ss setzte er ein Zeichen und heiratete seine langjährig­e Lebensgefä­hrtin – mit Mund-Nasen-Schutz.

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