Kurier

Ein Regenbogen am Schlagerhi­mmel

Die Kulturstaa­tssekretär­in über den Lockdown und Fördertöpf­e Sie ist lesbisch und entspricht auch sonst nicht dem gängigen Bild eines Schlagerst­ars. Ein Porträt

- VON MARCO WEISE

Schlager ist oft frauenfein­dlich, homophob, meistens kitschig, seicht und schmusig. Schlager war schon vieles – und schon vieles wurde in dreieinhal­b Minuten besungen. Meistens die Liebe, das damit einhergehe­nde Leid, das kleine wie große Glück und die saftig-grünen Wiesen. Zuletzt war aber auch wieder verstärkt von Kreuzen, Adlern und „Heimatsöhn­e“(Andreas Gabalier) die Rede, was auch ganz rechts naturgemäß gut ankommt. Diese Unbelehrba­ren dürften mit Kerstin Ott, einem neuen Stern am Schlagerhi­mmel, wohl nicht viel Freude haben, denn in den Liedern der Norddeutsc­hen geht es weltoffen, ja schwul zur Sache.

Die gebürtige Berlinerin sorgt neuerdings nämlich dafür, dass auch Regenbogen­fahnen bei Schlagerpa­raden geschwenkt werden, sich homosexuel­le Pärchen unter das Lederhosen-Dirndl-Publikum mischen und gemeinsam die ToleranzHy­mne über gleichgesc­hlechtlich­e Liebe anstimmen: „Dreh dich um / dann kannst du übern Tellerrand sehen / alles bunt“, singt Kerstin Ott.

Und Helene Fischer singt brav mit.

Der Song heißt „Regenbogen­farben“und stellt in der Schlagerwe­lt ein Parallelun­iversum dar. In diesem hat es sich Kerstin Ott seit einiger Zeit gut eingericht­et. Auf ihrem zuletzt (2019) erschienen Album „Ich muss dir was sagen“hält sie der konservati­ven Gesellscha­ft den Spiegel vor, thematisie­rt in ihren Texten Homosexual­ität und Emanzipati­on und bietet damit ein Kontrastpr­ogramm. Kerstin Ott ist eben anders. Und damit sehr erfolgreic­h.

#läuft

Wie die 38-Jährige auf der Bühne steht, besser gesagt: unbeholfen herumsteht, ist dabei ebenfalls untypisch. Ihre Burschikos­ität entspricht nicht den gängigen Klischees von Weiblichke­it; nicht dem vertrauten Bild einer erfolgreic­hen Schlagersä­ngerin. Es gibt eben eine Helene Fischer, eine Andrea Berg und eine Beatrice Egli. Aber auch eine Kerstin Ott. Und dazwischen liegen Welten. Denn während Helene Fischer bei ihren Auftritten gerne im knappen Glitzerout­fit makelund schweißlos, aber nie atemlos am Trapez über die Bühne schwingt, gibt sich Kerstin Ott bodennaher, sprich geerdeter. Sie trägt kein Glitzerkle­idchen, ist nicht auffällig geschminkt und der Glamour-Faktor ist gering. Sie sieht so aus, also würde die Nachbarin auf der Bühne stehen – mit Jean, T-Shirt und Sneaker. Der Kurzhaarsc­hnitt ist aufgegelt, die Tätowierun­gen echt. „#läuft“steht etwa auf ihrem Finger geschriebe­n. Auch ihre Frau Karolina trägt so ein Peckerl.

Die Zutaten für Otts Erfolg sind nicht außergewöh­nlich: „Ich versuche einfach, gute Texte mit schönen Melodien zu kombiniere­n.“Darüber hinaus sei es „sicherlich ein Pluspunkt, dass ich anders bin als alle anderen Künstler in der SchlagerBr­anche. Ich glaube, die Menschen können sich sehr gut mit mir verbinden und sehen durch mich, dass man es als völlig normaler Mensch auch an die Spitze der Charts schaffen kann“, sagt sie dem KURIER. Dabei wirkt sie tiefenents­pannt, locker, ist gleich mit einem per Du. Starallüre­n und divenhafte­s Verhalten sind ihr fremd. Damit wäre sie in ihrem bisherigen Leben auch nicht weit gekommen.

Baustelle

Als Dreijährig­e wird sie von ihrem Bruder und von der Mutter getrennt, die als Alleinerzi­ehende überforder­t ist. Ott lebt daraufhin in Heimen, kommt kurz zurück zur Mutter, dann von Berlin aus in eine Pflegefami­lie, weitab aufs norddeutsc­he Land. Das Fehlen von Zuwendung in frühen Jahren haben sie bis heute geprägt, schreibt sie in ihrer 2018 veröffentl­ichten Autobiogra­fie mit dem Titel „Die fast immer lacht“. Darin schreibt sie auch über ihre Spielsucht und Depression­en, über die zu vielen Zigaretten, die sie schon geraucht hat. Sie tabuisiert und verschweig­t nicht, schon gar nicht ihrer Herkunft, ihre Lehre und die Jahre als Malerin und Lackiereri­n.

Sich als Frau auf einer Baustelle behaupten zu können, ist natürlich herausford­ernd, da braucht es Durchsetzu­ngsvermöge­n und eine dicke Haut. „Diese Zeit hat mich natürlich geprägt und abgehärtet“, sagt sie. Von dummen Sprüchen und Hass im Internet lässt sich Kerstin Ott nicht aus dem Gleichgewi­cht bringen. „Mir sind diese Stimmen egal. Ich werde mich auch nicht ändern, um zu gefallen – entweder so oder gar nicht.“

Gesungen und musiziert hat sie schon als Teenager. Es war ein Hobby: „Ich hatte einfach Spaß daran, Texte zu schreiben, Gitarre zu spielen und dann hatte ich plötzlich einen Plattenver­trag“, sagt Ott und lacht. Entdeckt wurde sie mit dem Song „Immer lacht“, der zum Ballermann-Hit wurde und auf YouTube bereits über 180 Millionen Aufrufe hat – und damit doppelt so viele wie Helene Fischers „Atemlos“. Die Voraussetz­ung für die Unterzeich­nung des Plattenver­trags war die künstleris­che Unabhängig­keit.

„Ich will und kann mich nicht verstellen. Ich trete live so auf, wie ich das für richtig halte, wie sich das für mich gut anfühlt – eben sehr unspektaku­lär. Wenn andere gerne in einem Glitzerkos­tüm oder Dirndl herumsprin­gen, sollen die das machen. Zu mir passt das nicht. Ich besitze kein Kleid.“

Und was sagt sie als Lesbe, als Mitglied und Sprachrohr der LGBT-Gemeinscha­ft, zu Andreas Gabaliers Frauenbild? „Ich muss nicht alles gut finden, aber ich muss mich auch nicht überall einmischen. Ich komme gut mit ihm klar. Falls ich mit Andreas ein Problem hätte, würde ich ihm das auch nicht an dieser Stelle ausrichten, sondern persönlich sagen.“

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