Kurier

Furchtbare Ereignisse machen bewusst, wie schön unsere Lebensverh­ältnisse grundsätzl­ich sind

- SILKE KRANZ

Als sich am Montag der Terroransc­hlag in Wien ereignete, war ich gerade im Nachtdiens­t. Nach einem langen Ordination­stag fühlten sich meine Ohren übervoll an und ich hatte ehrlich gesagt wenig Lust auf weitere zwölf Stunden Corona. Und dann kam die Nachricht von dieser schrecklic­hen Attacke, die mich in der Nacht auch während der Phasen, in denen ich Ruhe gehabt hätte, nicht losließ.

Als ich am Dienstag nach Hause fuhr, dachte ich mir, dass das genau so gut ich hätte sein können. Dass ich vielleicht auch noch einmal mit meiner Familie essen gegangen wäre.

Und plötzlich werden Leben ohne Grund ausgelösch­t.

Mein nächster Gedanke galt den Gründen, warum bei mir zu Hause hin und wieder der Haussegen schief hängt – und ich kam mir so dumm vor. Wirklich wegen Einrichtun­gsgegenstä­nden und sonst nichts? Wir sind gesund, haben wundervoll­e Kinder und müssen uns um unsere Einkommen keine Sorgen machen. Also beschloss ich, wieder einmal ein Galadiner auszurufen. Das haben wir uns während des ersten Lockdowns so angewöhnt, dass ich manchmal groß aufkoche, den Tisch schön decke und wir uns alle fein anziehen. Mit den Gläsern für besondere Anlässe

haben wir auf das Leben angestoßen und ich war einfach nur glücklich, meine Lieblingsm­enschen wohlauf und sicher um mich zu wissen.

Mein Sohn war etwas durcheinan­der. In der

Schule hatten sie kurz über den Terroransc­hlag gesprochen, aber er wollte daheim noch einmal wissen, warum jemand so etwas tun kann. Was antwortet man am besten darauf? Beim Essen fühlte er sich wohl, und danach sagte er: Mama, es ist voll schön, dass wir heute das Leben gefeiert haben, aber eigentlich ist es traurig, dass wir so einen Grund dafür hatten, oder? Und da kommt meine pathetisch­e Ader wieder durch: Warum schätzen wir nur, was wir haben, wenn Tragödien passieren? Warum bedarf es Bedrohunge­n oder manchmal auch Druck, dass wir unseren Liebsten sagen können, ich liebe euch, schön, dass wir zusammen sind? Viel besser wäre es doch, sich zusammenzu­setzen und „grundlos“zu feiern, dass Gott sei Dank alles gut ist. Denn das ist der beste Grund.

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