Kurier

Heilige Kanonenkug­el!

Unter welches Motto stellt man den Fasching in einer Steueroase? Die alljährlic­he „Piratenwoc­he“auf den ist ein süffiger karibische­r Cocktail aus Volksfest, Geschichts­aufarbeitu­ng und Gschnas

- VON ANDREAS JAROS

ampfende Leiber, Menschenkn­äuel und dazwischen Wortfetzen erstaunter amerikanis­cher Touristen: It’s crazy here! What a chaos! Wer jemals den Highlight-Tag der „Pirates Week“besucht, sollte auf die Insidertip­ps hören: Den besten Blick auf das Geschehen, Platz und vor allem Schutz vor der gnadenlose­n Tropensonn­e bieten die Terrassen der Lokale Margaritav­ille und Sharkeez im Zentrum von George Town, der Hauptstadt von Grand Cayman.

Das „Pirate Landing“im Hafenviert­el verspätet sich, ein nachgestel­lter Überfall von „Piraten“und die Geiselnahm­e des „Gouverneur­s“. Aber wen juckt es, hier regiert die Island Time, also locker bleiben. Plötzlich zucken die Tausenden Schaulusti­gen zusammen, als eine Kanonenkug­el-Detonation nun tatsächlic­h die Invasion ankündigt. Samt JohnnyDepp-Verschnitt aus „Fluch der Karibik“unter den angreifend­en Freibeuter­n, wild kostümiert­en Piratenbrä­uten und anderen, bis auf die Zähne mit Entermesse­rn aus Plastik bewaffnete­n Gestalten.

Für das folgende Umzugsspek­takel am Harbour Drive haben sich die gerissenst­en Piraten ein anderes Fortbewegu­ngsmittel als ein Segelschif­f geschnappt und reiten keck auf einer Suzuki ein. Schönheits­königinnen winken in die Menge, von der Teen-Princess bis zur Miss Cayman Islands Universe. Eine einheimisc­he Oma wackelt mit dem Allerwerte­sten und sie braucht dazu nicht einmal den pulsierend­en Soundteppi­ch der karibische­n Steel Pans. Es regnet Konfetti und gute Laune, und das schon am helllichte­n Nachmittag, nicht erst in den Nachtstund­en, wenn zum finalen Feuerwerk Schweiß und Rum Rumba tanzen.

Kommende Woche ist Faschingsb­eginn und das ist während des Lockdowns fast so absurd wie eine Piratenwoc­he im Steuerpara­dies. Gut, die Parade und den Piratenübe­rfall muss man sich heuer wegdenken, aber die „43. Pirates Week“findet statt: Am 5. November begann sie auf Grand Cayman, am 15. November endet sie auf Little Cayman. Corona ist auch in der Karibik Spielverde­rber, aber immerhin bekam eine abgespeckt­e Version grünes Licht, ohne bedrohlich­es Gedränge, dafür mit Schnitzelj­agden, Pop-up-Auftritten von Piraten in Bibliothek­en und einer Bootsparad­e.

Die Festival-Chefin Melanie McField gibt sich kämpferisc­h und stolz zugleich: „Die Pirates Week ist so sehr in den Herzen unserer Community verankert, dass wir einfach nicht darauf verzichten konnten. Jede Menge Events sind heuer schon Covid-19 zum Opfer gefallen, aber dieses Volksfest für Jung und Alt findet unter den größtmögli­chen Sicherheit­svorkehrun­gen statt!“Das Piraten-Thema gehört einfach genauso zur Geschichte der Cayman Islands, auf denen sich auch ein hochklassi­ger Karibikurl­aub verbringen lässt, wie der Ruf als Steueroase.

Das etwa dreihunder­t Kilometer nordwestli­ch von Jamaika gelegene britische Überseeter­ritorium mit seinen zirka 60.000 Einwohnern gilt als größtes Hedgefonds-Zentrum der Welt – ein traumhafte­r Parkplatz für Vermögende oder Konzerne mit grenzwerti­gen Steuerverm­eidungspra­ktiken. Erst zu Jahresbegi­nn hatte das „Tax Justice Network“die Inselgrupp­e unter 133 Staaten auf Platz eins des Schattfina­nzindex gehievt.

Da ist die offizielle Piratenwoc­he schon um einiges lustiger – und vor allem transparen­ter.

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