Wien bleibt Wien – und lässt sich nicht unterkriegen
Die Sondereinheit WEGA neutralisierte den Attentäter binnen neun Minuten. Eine „Fabelzeit“, sagt WEGA-Chef Ernst Albrecht. Plus: Warum er vor dem verletzten Streifenpolizisten „den Hut zieht“
Nach dem Terror.
Vier Menschen gestorben, zahlreiche verletzt, dazu der Terrorist von der Spezialeinheit WEGA erschossen – die Stadt Wien hat seit dieser Woche viele Wunden, die nicht so schnell heilen werden. Wir haben Bewohner und Geschäftsleute der Innenstadt, wo der Anschlag stattfand, gefragt, wie sie mit dieser Situation umgehen. Die Botschaft ist klar: Ein echter Wiener geht nicht unter. Was Sie in unserem Schwerpunkt noch finden: einen Text des Autors Michael Köhlmeier zu Witz und Pathos in einer solchen Situation, Interviews mit WEGAChef Ernst Albrecht, Ministerin Susanne Raab und Psychiaterin Adelheid Kastner über das Profil des Täters sowie Protokolle des einstigen Prozesses.
Kalt-Warm gibt es derzeit für die Polizei. Da die Helden der Terrornacht, die den Attentäter innerhalb von neun Minuten „neutralisierten“. (Für die beiden Schützen der Sondereinheit WEGA gab es von Kanzler Sebastian Kurz das Goldene Verdienstzeichen). Dort die Beamten des Verfassungsschutzes, die zwei Hinweise vom slowakischen und deutschen Verfassungsschutz nicht ordnungsgemäß weiterverfolgten, die das Attentat mit vier Opfern und 22 Verletzten hätten verhindern können. Ein Albtraum für das Innenministerium. Im KURIER-Interview erzählt WEGA-Chef Ernst Albrecht, wie er die Terrornacht erlebte.
KURIER: Herr Albrecht, wie fühlt man sich, wenn man als Held bezeichnet wird und gleichzeitig vier unschuldige Menschen getötet und 22 Menschen verletzt wurden?
Ernst Albrecht: Diese traurige Tatsache wirft einen Schleier über den Erfolg. Wenn man ein reflektierter Mensch ist, dann entwickelt sich natürlich keine Euphorie. Man kann sich nicht überschwänglich in Helden-Epen ergehen, wenn es auf der anderen Seite Hinterbliebene von Opfern gibt.
Bei einem Einsatz wie am 2. November steht jeder Polizist zwischen der Angst und der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Wie schaltet man die Angst in diesen Minuten aus?
Es ist gar nicht gut, wenn man die Angst ausschaltet. Die Angst bewirkt Stress im Körper, und der löst körperliche Reaktionen aus, die überlebensfähig machen. Das Sehen wird unter Umständen eingeschränkt, aber dafür sieht man fokussierter. Die Muskulatur des Oberkörpers wird durch körpereigene Vorgänge gestärkt, die auch von der Angst mitausgelöst werden. Wenn aber der erste Schritt im Einsatz gemacht wird, dann sind die Reaktionen fast wie ein Selbstläufer. Hier werden alle eintrainierten Abläufe abgerufen. Erst wenn Pausen entstehen, gibt es die ersten Freiräume zum Nachdenken.
Neun Minuten bis zum Ausschalten des Attentäters ist im internationalen Vergleich rekordverdächtig. Wie war das möglich?
Das war in erster Linie deswegen möglich, weil mit den ersten Schussabgaben gleich drei sogenannte Sektorfahrzeuge entsandt wurden – der erste Einsatzwagen braucht selten länger als fünf Minuten zum Einsatzort. Schnell gab ein Kollege mit entsprechender Tonlage über Funk durch: „Schüsse werden abgegeben“. Kurz darauf kam es bereits zur Eskalation und zum Schusswechsel mit den Streifenpolizisten, die den Terroristen verfolgt haben. Vor diesen Kollegen ziehe ich den Hut, denn sie hatten eine bewaffnete Unterlegenheit. Da braucht man schon viel Herz und einen guten Magen, dass man hier nachsetzt, wenn der Täter mit einer Kalaschnikow unterwegs ist. Es ist zwar die Ausbildungsvorgabe, Druck auf den Täter zu machen. Aber das ist die Theorie. Die Kollegen haben uns das genaue Bewegungsprofil des Attentäters übermittelt. Deswegen sind meine WEGA-Kollegen punktgenau an die Örtlichkeit gekommen, wo sich der Attentäter aufgehalten hat. So kam – wie man es im Sport nennt – diese Fabelzeit von neun Minuten zustande. International wurde diese Zeit noch nicht erreicht. Wir haben Gratulationen von Sondereinheiten etwa aus den USA bekommen. Aber wir sind sehr demütig und wissen,
dass sich bei diesem Einsatz sehr viele Rädchen in die richtige Richtung gedreht haben. Da war auch viel Glück dabei.
Anfangs gab es den Verdacht, dass mehrere Attentäter in der Stadt unterwegs sind. Wie kam es zu dieser Einschätzung?
Wir hatten zahlreiche Meldungen etwa von einem Mann mit Gewehr in der U-Bahn, Schüssen auf der Mariahilfer Straße oder einer Geiselnahme in einem asiatischen
Lokal. Da dachten wir, jetzt haben wir einen Terroranschlag ähnlich wie in Paris: Mehrere Täter, mehrere Örtlichkeiten – oder mit einem Wort: ein Albtraum. In dieser Situation ist es wichtig, die Situation schnell zu verifizieren: Sind die Meldungen echt? Sind es Mystifikationen? Oder sind es Scherzanrufe, wovon es leider zahlreiche gab. Insgesamt hatten wir in der Terrornacht 50 Fake-Einsätze verstreut über ganz Wien. Diese Fake-Meldungen behindern die Polizeiarbeit.
Wie unterscheidet sich ein Anti-Terror-Einsatz in der Methodik von einer üblichen Polizeiausbildung?
Das Motiv, ob der Attentäter einen Propheten anbetet oder zum Amokläufer wird, weil er den Schulstress nicht aushält, ist für unseren Einsatz de facto irrelevant. Das Ziel der Täter ist in beiden Fällen, einen größtmöglichen Schaden in kurzer Zeit zu verursachen. Normalerweise ist es die Aufgabe der Polizei, die Dynamik aus einer Situation herauszunehmen und zu deeskalieren. Bei Anti-Terror-Einsätzen gibt es einen Paradigmenwechsel. Je früher wir Druck auf einen Attentäter machen, um so weniger Schaden passiert. Damit zerstört man den Plan des Terroristen und seiner Organisation. Dadurch gewinnen wir Zeit. Im Pariser Konzertsaal Bataclan hat man gesehen, dass immer dann Geiseln erschossen wurden, wenn die Polizei die Attentäter nicht beschäftigte – auch wenn dafür nur auf ein Fenster im Theater geschossen wurde. Der Sukkus daraus ist: Die Polizei muss sich in solchen Situationen präsentieren und dem Attentäter signalisieren: „Nimm mich“. Da der Terrorist nicht auf die Sondereinheiten wartet, werden auch die Streifenpolizisten auf diese Methode trainiert.
Auch wenn es ein Terrorist war, hat Ihr Kollege einen Menschen erschossen. Welche Unterstützung bekommt er?
Beide Kollegen sind schon längere Zeit bei der Polizei. Der unmittelbare Schütze ist schon seit 15 Jahren bei der WEGA. Er ist ein sehr erfahrener Mann. Wenn man sich nicht komplett der Realität verschließt, dann muss man in einer Sondereinheit damit rechnen, dass es zum Schusswaffengebrauch kommt. Ich will mich jetzt nicht zu weit hinauslehnen, aber ich habe den Eindruck, dass es ihnen angemessen geht. Sie gehen mit der Situation sehr realistisch und reflektiert um. Aber es ist keineswegs so wie im Film. Es gibt kein „Gimme five“von den anderen Kollegen am Gang. Es wird nach so einem Einsatz auch nicht im Irish-Pub abgefeiert.
Binnen weniger Minuten waren 190 Cobra- und über 100 WEGABeamte in der City. Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl behauptet, dieses Aufgebot sei deswegen im Dienst gewesen, weil am nächsten Tag Razzien bei Islamisten stattfinden hätten sollen. War das so?
Die Anzahl der Einsatzkräfte war deswegen so groß, weil unsere Kollegen die Nachrichten gehört haben und freiwillig zum Einsatz gekommen sind. Die Polizisten wissen, dass in solchen Situationen jeder Mann gebraucht wird.
Die WEGA bekommt Anerkennung für den Einsatz. Der Verfassungsschutz muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er das Attentat hätte verhindern können. Wäre das möglich gewesen?
Auf wienerisch würde ich sagen, das ist alles „hätti, wari, täti“. Das Buch von hinten zu lesen, ist immer leichter. Wir sind eine operative Einheit und haben da zu wenig Einblick. CHECKPOINT mit Ida Metzger Anschlag in Wien: WEGA Kommandant, Oberst Ernst Albrecht, über die Terrornacht, Fehlinformationen und die AntiTerror Ausbildung der Polizei. Heute, Sonntag, um 11.30 Uhr auf schauTV und KURIER.at