Kurier

Wien bleibt Wien – und lässt sich nicht unterkrieg­en

Die Sondereinh­eit WEGA neutralisi­erte den Attentäter binnen neun Minuten. Eine „Fabelzeit“, sagt WEGA-Chef Ernst Albrecht. Plus: Warum er vor dem verletzten Streifenpo­lizisten „den Hut zieht“

- IDA METZGER FOTOS: FRANZ GRUBER

Nach dem Terror.

Vier Menschen gestorben, zahlreiche verletzt, dazu der Terrorist von der Spezialein­heit WEGA erschossen – die Stadt Wien hat seit dieser Woche viele Wunden, die nicht so schnell heilen werden. Wir haben Bewohner und Geschäftsl­eute der Innenstadt, wo der Anschlag stattfand, gefragt, wie sie mit dieser Situation umgehen. Die Botschaft ist klar: Ein echter Wiener geht nicht unter. Was Sie in unserem Schwerpunk­t noch finden: einen Text des Autors Michael Köhlmeier zu Witz und Pathos in einer solchen Situation, Interviews mit WEGAChef Ernst Albrecht, Ministerin Susanne Raab und Psychiater­in Adelheid Kastner über das Profil des Täters sowie Protokolle des einstigen Prozesses.

Kalt-Warm gibt es derzeit für die Polizei. Da die Helden der Terrornach­t, die den Attentäter innerhalb von neun Minuten „neutralisi­erten“. (Für die beiden Schützen der Sondereinh­eit WEGA gab es von Kanzler Sebastian Kurz das Goldene Verdienstz­eichen). Dort die Beamten des Verfassung­sschutzes, die zwei Hinweise vom slowakisch­en und deutschen Verfassung­sschutz nicht ordnungsge­mäß weiterverf­olgten, die das Attentat mit vier Opfern und 22 Verletzten hätten verhindern können. Ein Albtraum für das Innenminis­terium. Im KURIER-Interview erzählt WEGA-Chef Ernst Albrecht, wie er die Terrornach­t erlebte.

KURIER: Herr Albrecht, wie fühlt man sich, wenn man als Held bezeichnet wird und gleichzeit­ig vier unschuldig­e Menschen getötet und 22 Menschen verletzt wurden?

Ernst Albrecht: Diese traurige Tatsache wirft einen Schleier über den Erfolg. Wenn man ein reflektier­ter Mensch ist, dann entwickelt sich natürlich keine Euphorie. Man kann sich nicht überschwän­glich in Helden-Epen ergehen, wenn es auf der anderen Seite Hinterblie­bene von Opfern gibt.

Bei einem Einsatz wie am 2. November steht jeder Polizist zwischen der Angst und der Verantwort­ung gegenüber der Gesellscha­ft. Wie schaltet man die Angst in diesen Minuten aus?

Es ist gar nicht gut, wenn man die Angst ausschalte­t. Die Angst bewirkt Stress im Körper, und der löst körperlich­e Reaktionen aus, die überlebens­fähig machen. Das Sehen wird unter Umständen eingeschrä­nkt, aber dafür sieht man fokussiert­er. Die Muskulatur des Oberkörper­s wird durch körpereige­ne Vorgänge gestärkt, die auch von der Angst mitausgelö­st werden. Wenn aber der erste Schritt im Einsatz gemacht wird, dann sind die Reaktionen fast wie ein Selbstläuf­er. Hier werden alle eintrainie­rten Abläufe abgerufen. Erst wenn Pausen entstehen, gibt es die ersten Freiräume zum Nachdenken.

Neun Minuten bis zum Ausschalte­n des Attentäter­s ist im internatio­nalen Vergleich rekordverd­ächtig. Wie war das möglich?

Das war in erster Linie deswegen möglich, weil mit den ersten Schussabga­ben gleich drei sogenannte Sektorfahr­zeuge entsandt wurden – der erste Einsatzwag­en braucht selten länger als fünf Minuten zum Einsatzort. Schnell gab ein Kollege mit entspreche­nder Tonlage über Funk durch: „Schüsse werden abgegeben“. Kurz darauf kam es bereits zur Eskalation und zum Schusswech­sel mit den Streifenpo­lizisten, die den Terroriste­n verfolgt haben. Vor diesen Kollegen ziehe ich den Hut, denn sie hatten eine bewaffnete Unterlegen­heit. Da braucht man schon viel Herz und einen guten Magen, dass man hier nachsetzt, wenn der Täter mit einer Kalaschnik­ow unterwegs ist. Es ist zwar die Ausbildung­svorgabe, Druck auf den Täter zu machen. Aber das ist die Theorie. Die Kollegen haben uns das genaue Bewegungsp­rofil des Attentäter­s übermittel­t. Deswegen sind meine WEGA-Kollegen punktgenau an die Örtlichkei­t gekommen, wo sich der Attentäter aufgehalte­n hat. So kam – wie man es im Sport nennt – diese Fabelzeit von neun Minuten zustande. Internatio­nal wurde diese Zeit noch nicht erreicht. Wir haben Gratulatio­nen von Sondereinh­eiten etwa aus den USA bekommen. Aber wir sind sehr demütig und wissen,

dass sich bei diesem Einsatz sehr viele Rädchen in die richtige Richtung gedreht haben. Da war auch viel Glück dabei.

Anfangs gab es den Verdacht, dass mehrere Attentäter in der Stadt unterwegs sind. Wie kam es zu dieser Einschätzu­ng?

Wir hatten zahlreiche Meldungen etwa von einem Mann mit Gewehr in der U-Bahn, Schüssen auf der Mariahilfe­r Straße oder einer Geiselnahm­e in einem asiatische­n

Lokal. Da dachten wir, jetzt haben wir einen Terroransc­hlag ähnlich wie in Paris: Mehrere Täter, mehrere Örtlichkei­ten – oder mit einem Wort: ein Albtraum. In dieser Situation ist es wichtig, die Situation schnell zu verifizier­en: Sind die Meldungen echt? Sind es Mystifikat­ionen? Oder sind es Scherzanru­fe, wovon es leider zahlreiche gab. Insgesamt hatten wir in der Terrornach­t 50 Fake-Einsätze verstreut über ganz Wien. Diese Fake-Meldungen behindern die Polizeiarb­eit.

Wie unterschei­det sich ein Anti-Terror-Einsatz in der Methodik von einer üblichen Polizeiaus­bildung?

Das Motiv, ob der Attentäter einen Propheten anbetet oder zum Amokläufer wird, weil er den Schulstres­s nicht aushält, ist für unseren Einsatz de facto irrelevant. Das Ziel der Täter ist in beiden Fällen, einen größtmögli­chen Schaden in kurzer Zeit zu verursache­n. Normalerwe­ise ist es die Aufgabe der Polizei, die Dynamik aus einer Situation herauszune­hmen und zu deeskalier­en. Bei Anti-Terror-Einsätzen gibt es einen Paradigmen­wechsel. Je früher wir Druck auf einen Attentäter machen, um so weniger Schaden passiert. Damit zerstört man den Plan des Terroriste­n und seiner Organisati­on. Dadurch gewinnen wir Zeit. Im Pariser Konzertsaa­l Bataclan hat man gesehen, dass immer dann Geiseln erschossen wurden, wenn die Polizei die Attentäter nicht beschäftig­te – auch wenn dafür nur auf ein Fenster im Theater geschossen wurde. Der Sukkus daraus ist: Die Polizei muss sich in solchen Situatione­n präsentier­en und dem Attentäter signalisie­ren: „Nimm mich“. Da der Terrorist nicht auf die Sondereinh­eiten wartet, werden auch die Streifenpo­lizisten auf diese Methode trainiert.

Auch wenn es ein Terrorist war, hat Ihr Kollege einen Menschen erschossen. Welche Unterstütz­ung bekommt er?

Beide Kollegen sind schon längere Zeit bei der Polizei. Der unmittelba­re Schütze ist schon seit 15 Jahren bei der WEGA. Er ist ein sehr erfahrener Mann. Wenn man sich nicht komplett der Realität verschließ­t, dann muss man in einer Sondereinh­eit damit rechnen, dass es zum Schusswaff­engebrauch kommt. Ich will mich jetzt nicht zu weit hinauslehn­en, aber ich habe den Eindruck, dass es ihnen angemessen geht. Sie gehen mit der Situation sehr realistisc­h und reflektier­t um. Aber es ist keineswegs so wie im Film. Es gibt kein „Gimme five“von den anderen Kollegen am Gang. Es wird nach so einem Einsatz auch nicht im Irish-Pub abgefeiert.

Binnen weniger Minuten waren 190 Cobra- und über 100 WEGABeamte in der City. Ex-FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl behauptet, dieses Aufgebot sei deswegen im Dienst gewesen, weil am nächsten Tag Razzien bei Islamisten stattfinde­n hätten sollen. War das so?

Die Anzahl der Einsatzkrä­fte war deswegen so groß, weil unsere Kollegen die Nachrichte­n gehört haben und freiwillig zum Einsatz gekommen sind. Die Polizisten wissen, dass in solchen Situatione­n jeder Mann gebraucht wird.

Die WEGA bekommt Anerkennun­g für den Einsatz. Der Verfassung­sschutz muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er das Attentat hätte verhindern können. Wäre das möglich gewesen?

Auf wienerisch würde ich sagen, das ist alles „hätti, wari, täti“. Das Buch von hinten zu lesen, ist immer leichter. Wir sind eine operative Einheit und haben da zu wenig Einblick. CHECKPOINT mit Ida Metzger Anschlag in Wien: WEGA Kommandant, Oberst Ernst Albrecht, über die Terrornach­t, Fehlinform­ationen und die AntiTerror Ausbildung der Polizei. Heute, Sonntag, um 11.30 Uhr auf schauTV und KURIER.at

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APA/HELMUT FOHRINGER Einschussl­och in einer Hausmauer in der Wiener Seitenstet­tengasse: Trauernde haben eine Rose hineingest­eckt
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WEGA-Chef Oberst Ernst Albrecht: „Je früher wir Druck auf einen Attentäter machen, um so weniger Schaden passiert“
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Albrecht zieht den Hut vor dem verletzten Streifenpo­lizisten
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