Kurier

Zu viele Corona-Berater, aber nicht am richtigen Fleck

Oberster Sanitätsra­t trotz Gesetz noch nicht bestellt

- R. LINDORFER, K. KADA

Intranspar­enz. Am Freitag entscheide­t die Regierung, ob weitere Verschärfu­ngen der Corona-Regeln kommen (siehe Seiten 4 und 5), und die Stimmung ist denkbar schlecht. Die Kritik der Opposition wird immer lauter – zumal auch ein Gespräch bei Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) am Montag kaum Erhellende­s brachte. Die Neos vermissen eine transparen­te Datenbasis, aufgrund derer solche Entscheidu­ngen getroffen werden. Die Regierung sei „im Blindflug“unterwegs, kritisiert­e auch die SPÖ.

Aber auch in Kreisen des Ministeriu­ms und des Krisenstab­s regt sich Unmut, wie der KURIER erfuhr: Anschober habe, so heißt es, mittlerwei­le zu viele Berater mit zu vielen unterschie­dlichen Meinungen. Die Entscheidu­ngen fielen bei Besprechun­gen im Kanzleramt. Juristen und Mitarbeite­r Anschobers müssten dann meist aus Pressekonf­erenzen erfahren, welche Regeln sie als nächstes in eine Verordnung schreiben sollen.

Beschlussf­ähiges Gremium

Anschober lässt sich von einer Taskforce beraten, dazu kommen noch externe Mediziner, Mathematik­er und Gesundheit­sforscher. Sie beraten nur informell, ihre Expertise kann in den Verordnung­sakt einfließen. Zweitens gibt es eine CoronaAmpe­l-Kommission: Sie stimmt über die Einfärbung der Landkarte ab, die Entscheidu­ngen über Maßnahmen trifft aber die Politik.

Jüngst wurde die Erinnerung an den Obersten Sanitätsra­t (OSR) wach. Das Gremium aus Medizinern und Experten verschiede­ner Fachrichtu­ngen ist gesetzlich vorgeschri­eben. Sie diskutiere­n, einigen sich auf einen Beschluss und legen das Ergebnis dem Gesundheit­sminister vor. Bindend ist dieser Beschluss nicht, er kann aber veröffentl­icht werden. Entscheide­t der Minister anders, müsste er das wohl der Öffentlich­keit erklären.

Ende 2019 ist der OSR ausgelaufe­n. Übergangsm­inisterin Brigitte Zarfl traf keine Personalen­tscheidung­en, und der grüne Minister Anschober war erst knapp zwei Monate im Amt, da erreichte schon die Pandemie das Land. Der frühere Präsident Markus Müller, Rektor der MedUni Wien, erinnerte Anschober an die fällige Neubestell­ung – und war auch einer der ersten, der Vorbereitu­ngsmaßnahm­en für die Pandemie vorgeschla­gen hatte. Der Ex-OSR-Präsident wurde prompt in der Taskforce eingesetzt, im Sommer hat sich Müller dann aber verabschie­det. Zu den Gründen erklärt er: „Der Beraterkre­is ist stetig angewachse­n, irgendwann war mein Beitrag enden wollend. Wir haben daher meine Tätigkeit im guten Einvernehm­en beendet.“

Einen neuen OSR gibt es aber bis heute nicht – und es ist bereits November. Worin sein Vorteil läge? „Der OSR könnte breite, fachspezif­ische und fächerüber­greifende Expertise beisteuern“, sagt Müller. Der entscheide­nde Punkt sei aber: „Es bräuchte angesichts der bereits bestehende­n Covid-Beratergru­ppen ein klares Mandat und eine klare Architektu­r des Gremiums.“Nachsatz: „Das liegt in der Entscheidu­ng des Ministers.“

Im Gesundheit­sministeri­um heißt es auf KURIER-Anfrage: „Die Vorbereitu­ngen zur Bestellung des OSR sind am Laufen, nachdem sich die Neubestell­ung aufgrund der Covid-Situation verzögert hat.“

Neos-Sozialspre­cher Gerald Loacker kritisiert die Verzögerun­g scharf: „Die Wiedereins­etzung des OSR hätte mehr Fachwissen und echte Entscheidu­ngen durch Experten gebracht. Anschober will aber offensicht­lich nicht, dass Experten entscheide­n.“Loacker stößt zudem sauer auf, dass Anschober keine Weitergabe von Berichten der AGES an das Parlament will – „damit politisier­t er die Pandemiebe­kämpfung“, sagt Loacker.

20.000 Infektione­n zu viel

Das Daten-Chaos ist weiterhin ungelöst: Seit Anfang Oktober wird das Dashboard auf der Website des Gesundheit­sministeri­ums von der AGES betrieben, doch dort gibt es keinen tagesaktue­llen Stand. Bei den aktiven Fällen zeigt das AGESDashbo­ard mittlerwei­le 20.000 Infektione­n mehr an, als aus den Daten der Ministerie­n hervorgehe­n.

Grund dafür ist, dass die Genesenen noch immer nicht über das Epidemiolo­gische Meldesyste­m (EMS) erfasst, sondern händisch eingetrage­n werden – und das mit einer Verzögerun­g von mehreren Tagen. Trotz mehrmalige­r Anfragen des KURIER konnte die AGES nicht beantworte­n, wann das Dashboard endlich zuverlässi­g laufen wird.

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