Kurier

Er träumte, sich in die Luft zu sprengen

Ermittlern liegt ein Kurzvideo vor, das Kujtim F. mit Waffe als Beifahrer in einem Auto zeigen könnte. Wer den Wagen gelenkt hat, ist allerdings noch nicht klar

- VON MICHAELA REIBENWEIN CHRISTIAN BÖHMER

Der 20-jährige Kujtim F. hatte anscheinen­d schon lange einen Plan. Einem Bekannten sagte er: „Ich träume davon, mich mit einem Sprengstof­fgürtel in die Luft zu sprengen.“Einem anderen Freund erklärte er: „Der Rechtsstaa­t ist nicht funktionsf­ähig. Ich will die Einführung der Scharia.“

Der Sprengstof­fgürtel, den Kujtim F. am 2. November trug, war zwar nur eine Attrappe. Doch die Schusswaff­en, die er bei sich hatte, und mit denen er vier Menschen tötete, waren echt. Woher der Kalaschnik­owNachbau und die Pistole kommen, ist noch ungeklärt.

Waffenvide­o aus Auto

Doch den Ermittlern liegt ein zehnsekünd­iges Video vor, in dem eine Person auf dem Beifahrers­itz eines Wagens sitzt – zwischen den Beinen ist eine Waffe erkennbar. Die Ermittler vermuten, dass es sich um die Tatwaffe handelt. Und dass Kujtim F. sich auf diesem Video selbst filmt.

Das Video wurde nachts aufgenomme­n, es ist weder bekannt, wann es gemacht wurde, noch wo. Und es ist unklar, wer der Fahrer des Autos ist. Beim Fahrzeug könnte es sich um einen BMW handeln; noch immer ist ungeklärt, wie Kujtim F. zum Tatort kam.

Keine Zweifel gibt es allerdings, dass Kujtim F. von 16. bis 20. Juli Besuch von bekannten Dschihadis­ten aus Deutschlan­d und Österreich bekommen hatte – auf Ersuchen der ausländisc­hen Geheimdien­ste fanden deshalb auch Observatio­nen statt.

Kujtim F. und ein Bekannter, der im Terrorakt als einer der Verdächtig­en geführt wird, holten die zwei deutschen Dschihadis­ten vom Flughafen Wien-Schwechat ab. Schon da wurden sie vom Verfassung­sschutz observiert. Und auch die folgenden Tage gab es für die Verfassung­sschützer

einige Fotomotive: Es sind die letzten Fotos des Attentäter­s Kujtim F., die angefertig­t wurden: Es sind Aufnahmen aus Wien, auf denen Kujtim F. zu sehen ist, wie er mit den Dschihadis­ten aus Deutschlan­d und der Schweiz durch die Straßen zieht, Moscheen besucht oder sich zum Tee trinken in seiner Wohnung trifft. Auch einige andere Personen stießen zu den Treffen dazu – sie befinden sich aktuell in U-Haft.

In diesen Tagen könnte der Attentäter die Schusswaff­en bekommen haben – einen Tag nach der Abreise seiner Besucher machte er sich jedenfalls mit einem Bekannten auf den Weg in die Slowakei, um (erfolglos) Munition zu besorgen. Doch auch sein damaliger Begleiter, ein Mann mit Wurzeln im Kosovo, will nichts von den Anschlagsp­länen gewusst haben.

Er sitzt – wie neun andere Männer – in U-Haft. Und er beteuert in einem offenen Brief, nichts mit der Tat zu tun gehabt zu haben und auch nichts darüber gewusst zu haben. Er lehne die Ideologie ab, sie entspreche nicht seiner Lebensweis­e.

Bartwuchsm­ittel

Einem anderen Verdächtig­en fiel nur auf, dass Kujtim F. zuletzt intensiv im Fitnesscen­ter trainiert hatte und sich einen dichten Bart wachsen ließ. „Er hat mir gesagt, dass er deshalb ein Bartwuchsm­ittel benutzt und mir eine Flasche davon mitnimmt“, erklärte er in seiner Einvernahm­e. Dazu kam es nicht mehr.

Seit der vergangene­n Woche kursierend­e Gerüchte, wonach der Attentäter von Wien als Informant für die Polizei gearbeitet haben könnte, wies das Innenminis­terium am Donnerstag erneut deutlich zurück: Der 20-Jährige sei weder vom Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) noch einer sonstigen Polizeibeh­örde als V-Mann geführt worden.

Terror in Wien. Nun steht sie also: Am Donnerstag wurde jene Untersuchu­ngskommiss­ion präsentier­t, die mögliche Fehler im Vorfeld des Wiener Terroransc­hlags beleuchten soll.

Die Vorsitzend­e ist, wie berichtet, die Wiener Strafrecht­sexpertin Ingeborg Zerbes; ihr stehen ihr Wiener Universitä­tskollege Franz Merli sowie Werner Pleischl, Herbert Anderl und Hubertus Andrä zur Seite.

Pleischl und Anderl sind Interessie­rten ein Begriff: Pleischl war vor der Pensionier­ung der Chef der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien sowie Chef der Generalpro­kuratur und Vorsitzend­er des Weisungsra­ts im Justizress­ort. Anderl bekleidete bis 2013 den Posten des Generaldir­ektors für die öffentlich­e Sicherheit – er war also ranghöchst­er Beamter der Sicherheit­sverwaltun­g.

Die Sicht von außen, sprich internatio­nale Expertise, kommt von Hubertus Andrä. Er war Polizeiprä­sident in München.

Kann und wird die Kommission auch unbequeme Wahrheiten benennen?

Die Voraussetz­ungen dafür sind ausnehmend günstig. Denn im Unterschie­d zu anderen Anlässen steht im vorliegend­en Fall vorab fest, dass der Verfassung­sschutz jedenfalls neu aufgestell­t werden muss – heikle Befunde können die Politik also nicht überrasche­n, sie sind geradezu erwartbar.

Als Vorsitzend­e der HypoUnters­uchungskom­mission hatte Irmgard Griss 2014 ein Themengebi­et zu beackern, das politisch heikel und inhaltlich durchaus fordernd war. Die frühere Nationalra­tsmandatar­in

und Präsidenti­n des Obersten Gerichtsho­fs sieht für die Zerbes-Kommission in einer ersten Einschätzu­ng vor allem zwei Herausford­erungen: Das eine ist die zeitliche Vorgabe. „Wenn es dabei bleibt, dass die Kommission innerhalb von nur vier Wochen ihren ersten Bericht abliefern muss, so ist das zeitlich durchaus knapp“, sagt Griss. Erfahrungs­gemäß seien wichtige Vorgänge und Gespräche nicht immer umfassend verschrift­licht. Wolle man also tiefer in die Materie eintauchen, seien Befragunge­n unumgängli­ch. „Aber das braucht seine Zeit.“

Unterreprä­sentiert

Der zweite Punkt, den die frühere Höchstrich­terin anbringt, ist die möglicherw­eise unterreprä­sentierte Expertise im Bereich der Nachrichte­ndienste. „Die Justiz und der Polizeiapp­arat sind in der Kommission sehr gut abgebildet“, sagt Griss. Für die Nachrichte­ndienste gelte das nicht im selben Maß – was ein Problem sein könnte. „Denn immerhin geht es bei den Vorwürfen darum, dass wesentlich­e Informatio­nen der Nachrichte­ndienste nicht weitergele­itet worden sind.“

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria