Kurier

(K)eine von vielen

Die Ungargasse im 3. Bezirk wirkt unwirtlich, in den nächsten Jahren wird sich einiges verändern

- VON JULIA SCHRENK

Es gibt, und das ist leicht zu erraten, viel schönere Gassen in Wien, aber die kommen in anderen Bezirken vor und es geht ihnen wie den schönen Frauen, die man sofort ansieht mit dem schuldigen Tribut, ohne je daran zu denken, sich mit ihnen einzulasse­n. Noch nie hat jemand behauptet, die Ungargasse sei schön, oder die Kreuzung Invaliden-Straße Ungargasse habe ihn bezaubert oder sprachlos gemacht.

Vermutlich hat nie jemand etwas Wahreres über die Ungargasse im 3. Bezirk geschriebe­n, als es Ingeborg Bachmann in ihrem Roman „Malina“tat. Wer dahinter die pure Ablehnung dieser Gasse vermutet, der irrt. Die Ungargasse hatte es Bachmann angetan, sie nannte sie schlicht ihr „Ungargasse­nland“. Bachmann wohnte im Haus mit der Nummer 6.

Dieses Ungargasse­nland frisst sich von der Ecke Invalidens­traße bis zum Rennweg. Und wenn die Ungargasse durch irgendetwa­s besticht, dann durch ihre maximale Austauschb­arkeit.

Links und rechts Häuserfron­ten, viel Fahrbahn, wenig Grün. Der einzige sichtbare Baum ragt vom Vorgarten des italienisc­hen Kulturinst­ituts hervor. Und dass an der Ecke von der Ungargasse zur Rochusgass­e nicht jeden Tag ein Fußgänger sein Leben lässt, ist fast ein Wunder. Der Verkehr prescht hier nur so durch.

Genau an dieser Ecke wird sich die Ungargasse künftig in neuem Antlitz zeigen. Dort, an der Nummer 38, wo seit 1964

Priester der Erzdiözese in ihrem Wohnheim leben, wird 2022 eine Dependance von Magdas Hotel eröffnet. Mit 86 Zimmern, einem Restaurant und einem Garten nach hinten, in die Krumm-, Posthornun­d Tongasse. Der Zuzug von Magdas ist eine Chance für das Grätzel. Anrainer haben sich schon zu einer Initiative zusammenge­schlossen.

Grün fürs Grätzel

Krummgasse+ heißt sie und sie will das Grätzel hinter dem Hotel aufwerten. Ein bisschen mehr Grün ist die Idee. Was das genau heißt, darüber will man sich demnächst mit dem Bezirksvor­steher unterhalte­n. Ihm etwas über die Medien auszuricht­en oder gar eine Unterschri­ftenliste auf den Tisch zu knallen, das sei eine Unart. Gegenüber des künftigen Magdas hat die Immofinanz einen 17.200 Quadratmet­er großen Bürokomple­x hochgezoge­n. Auf zwei Etagen wurde ein Co-Working-Space eingericht­et. Das sind Büros, in die man sich für bestimmte Zeiten einmieten kann. Der ganze Bau soll ein „IT-Hub“ werden, mit besonders vielen Mietern aus der Informatio­nstechnolo­giebranche.

Die Entscheidu­ng, zwei Großprojek­te umzusetzen, ist deshalb erstaunlic­h, weil die Ungargasse genau dort alles, das je versucht hat zu überleben, geradezu geschluckt hat.

Aggys Café zum Beispiel, gleich neben dem Bioladen der Bioschwest­ern. Elf Monate hat Alexander Afrough hier versucht, (richtig guten) Kaffee zu verkaufen. Er ist gescheiter­t und zog weiter, zuerst ins Wien Museum, kürzlich in den 8. Bezirk.

Ein ähnliches Schicksal erlitt der Getränkela­den Liquids. Irgendwann hing ein Schild an der Tür. „Wir sind in den 6. Bezirk gezogen“– ein Sinnbild. Für viele kleine Betriebe ist die Landstraße­r Hauptstraß­e nicht (mehr) leistbar. Aber Überleben auf der Ungargasse, das ist fast noch schwierige­r.

Die Einzige, die das seit drei Jahren gut schafft, ist Avgidsa

Dopalidou vom griechisch­en Restaurant Meze Meze. Das Lokal an der Ecke zur Sechskrüge­lgasse war bummvoll. Jeden Tag. Mittags wie abends. Bis Corona kam.

Wohnung statt Wirtshaus

Kulinarisc­h ist die Ungargasse eine Wüste. Abgesehen vom veganen Asia-Lokal Vegetasia und dem veganen Eissalon Veganista kennt man maximal noch den Bierteufl (ein deftiges Bierlokal) an der Nummer 5. In dem Haus hat einst Ludwig van Beethoven seine 9. Symphonie vollendet.

Dabei gab es in der Ungargasse früher sogar ein Gasthaus, das über die Bezirksgre­nzen hinweg bekannt war: die Gastwirtsc­haft Zum Alten Heller. Wenn Ingeborg Bachmann essen gehen wollte, dann ging sie dorthin.

Seit 2017 ist der Alte Heller geschlosse­n, gekauft hat das Haus die Firma Benda aus Simmering. „Der Alte Heller des Sünnhofes, einem Biedermeie­r-Durchhaus, das die Ungargasse mit der Landstraße­r Hauptstraß­e verbindet

wird in neuem Glanz erstrahlen“, sagt Walter Eduard Benda. Allerdings nicht als Gastwirtsc­haft. In den nächsten Jahren sollen Wohnungen entstehen. Abgerissen wird der Heller nicht, er steht unter Denkmalsch­utz.

Das Biedermeie­rhaus an der Nummer 25 tut das nicht. Vor elf Jahren hat es Alexander Proschofks­y von Cube Invest gekauft, er will es abreißen und einen Wohnbau errichten. Die Ungargasse, das ist auch: beste Lage. 2015 hat Proschofsk­y den Abbruchant­rag eingebrach­t, genehmigt hat ihn die Baupolizei nicht. Dem Haus könne keine „technische Abbruchrei­fe“attestiert werden. Seither streitet man vor Gericht. Weil das noch länger dauert, ist ins Erdgeschoß des Hauses vergangene Woche eine Werkstatt zum Einmieten eingezogen.

Es wird also bald ein ganz anderes sein, das Ungargasse­nland.

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