Corona-Rätsel um die Kinder
Ein Spezialist erklärt, was man bis jetzt weiß und warum es noch viele offene Fragen gibt
Was ist über die Infektiosität von Kindern wirklich bekannt? Zsolt Szepfalusi leitet die Abteilung für Pulmologie und Allergologie an der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien.
KURIER: Gibt es zuverlässige Erkenntnisse, warum Kinder seltener und milder auf eine Corona-Infektion reagieren? Zsolt Szepfalusi: Es gibt breite Untersuchungen und Beobachtungen, die nahelegen, dass Kinder meist nach einer Corona-Infektion einen milderen Verlauf erleben oder auch gar keine Symptome entwickeln. Je jünger die Kinder sind, desto eher scheint das die Regel zu sein. Schlüssige Belege dazu, warum das so ist, gibt es noch nicht. Erste Diskussionen gibt es darüber, dass die ACE-2-Rezeptoren, die SARSCoV-2
als entscheidende Kontaktstellen nutzt, um in die menschlichen Zellen zur Vermehrung einzudringen, bei Kindern weniger ausgeprägt oder je nach Alter in anderer Dichte als bei Erwachsenen auf diversen Körperzellen vorhanden sind oder überhaupt erst später im Laufe des Heranwachsens heranreifen könnten. Das sind derzeit noch Hypothesen.
Warum ist es so schwierig, zu validen Daten zu kommen?
Wir beschäftigen uns erst seit etwas über einem halben Jahr mit diesem Phänomen. In einem ersten Schritt mussten zunächst die Belege erbracht werden, dass Kinder weniger betroffen sind. Erst nach eingehenden Analysen zu dieser Beobachtung kann man zur Ursachenforschung übergehen, die eben noch nicht sehr weit gediehen ist.
Was sagen Sie zu Theorien, dass die kindliche Immunantwort durch breiter wirksame Antikörper effektiver sein könnte und Kinder deshalb seltener schwer erkranken?
Das sind Spekulationen. Ähnlich könnte man vermuten, dass Kinder deutlich weniger gesundheitlich grundbelastet sind von anderen Erkrankungen und deswegen besser mit dem Erreger umgehen. Kinder lernen im Laufe der Zeit, mit vielen verschiedenen Erregern umzugehen. Indem sich der Organismus daran abarbeitet, wächst er auch daran.
Kindergartenkinder hüpfen quasi von einem Infekt zum nächsten, durchlaufen dabei aber keine schwerwiegenden Erkrankungen, sondern Lernprozesse im Umgang mit viralen Erregern. Im Fall von SARS-CoV-2 könnte das ein Vorteil sein. Evolutionär ist das Immunsystem in jungen Jahren darauf ausgerichtet, dass Kinder überleben, damit der kindliche Organismus auf Erreger reagieren kann, mit denen sein Immunsystem vorher noch nie konfrontiert war. Je länger man lebt, umso mehr verändert sich diese Immunantwort
hin zu einer sehr erregerspezifischen Reaktion.
Eine Studie legt nahe, dass Kinder eine schwächere Antikörper-Reaktion auf SARSCoV-2 haben. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass ihre Körper das Virus schneller neutralisieren, deshalb milder erkranken und das Virus auch nicht so sehr ausscheiden.
Diese Argumentation würde ich so nicht stehen lassen wollen. Kinder haben per se keine schwächere Antikörperreaktion. Im Gegenteil: Die Kindheit ist das Alter, wo wir Schutzimpfungen erfolgreich verabreichen, um teilweise einen nachhaltigen Schutz durch Abwehrstoffe für das Leben zu erreichen. Unsere Covid-19-Antikörperstudie hat gezeigt – und deckt sich auch mit anderen Studien hierzu –, dass Kinder im schulpflichtigen Alter sehr wohl eine gute Antikörperproduktion aufweisen, die mit jener von Erwachsenen vergleichbar ist. Da aber die Schwere der Erkrankung wohl mit der Höhe der gebildeten Antikörper korreliert – je schwerer die Erkrankung, desto höhere Werte – haben Kinder auch niedrigere Werte.
Was sind die Hauptgründe, dass Kinder das Virus eventuell seltener weitergeben?
Spekuliert wird, dass sie selten Symptome haben und daher weniger Viruslast über die Atemluft ausscheiden und auch ein geringeres Lungenvolumen haben. Ich glaube, dass das Setting bei der Infektiosität eher eine Rolle spielt als die Merkmale von Kindern. Ich sehe diese vermuteten Faktoren als nicht vorrangig relevant.
Viel wesentlicher könnte sein, dass SARS-CoV-2 engen Kontakt braucht, um vom infizierten Wirt zum gesunden Gegenüber zu gelangen. Hier unterscheidet sich SARS-CoV2 von anderen Erregern, bei Feuchtblattern (Varicellen) oder Masern reicht etwa schon ganz wenig Virus in einem Raum aus, schon ist man angesteckt. Bei der Grippe und eben auch bei SARS-CoV-2 braucht es mehr Nähe zwischen den Menschen. In unserer Studie zu schulpflichtigen Kindern hat sich gezeigt, dass bei infizierten Kindern so gut wie keine Geschwister miterkrankt sind. Obwohl man davon ausgehen kann, dass sie eventuell gemeinsam im Zimmer schlafen, zusammen spielen und so weiter.
Aber hier fehlt trotzdem wahrscheinlich dieser intensive Kontakt, der für eine Ansteckung nötig wäre. Ansteckungen bei den Geschwistern gab es eher dann, wenn Elternteile auch betroffen waren. Und infizierte Kinder haben das Virus am ehesten dann weitergegeben, wenn sie in der Schule Kontakt mit externen Erwachsenen hatten, zum Beispiel mit Skilehrern auf Skiwoche. Oder dort auch mit Gleichaltrigen in ganz engem Kontakt waren.
Wird das Infektionsgeschehen unter Kindern unterschätzt?
In Bayern haben serologische Studien gezeigt, dass dort viel mehr Kinder infiziert waren als ursprünglich gedacht. Politisch wurde meiner Meinung nach bislang den Daten entsprechend agiert. Und die besagen eben, dass weniger Gefahr von Kindern ausgeht. Verzerrungseffekte aufgrund von weniger Testungen halte ich nicht für das schlagende Argument. Allerdings sind breite und regelmäßige Screenings in Schulen sinnvoll, um asymptomatisch erkrankte Kinder herauszufiltern. Langfassung: kurier.at/wissen