Kurier

Nahversorg­er mit viel Kunst

Anders als Museen dürfen Galerien im Lockdown derzeit offen halten – und beweisen einmal mehr ihre wichtige Rolle als kulturelle Nahversorg­er. Ein Rundgang durch einige Wiener Ausstellun­gen

- VON MICHAEL HUBER

Die Museen sind geschlosse­n. In den Wiener Galerien aber gibt es ein reichhalti­ges Angebot.

Dass unser Bewegungsr­aum eingeschrä­nkt, unser Verhalten durch Regeln konditioni­ert ist, wird niemand mehr bestreiten. Was aber, wenn sich eine Kunstgaler­ie, dieser Ort des freien Herumstrei­fens und Assoziiere­ns, nur noch in einem strikt vorgezeich­neten Parcours, entlang von Pollern und leuchtende­n Begrenzung­en besuchen lässt?

Die Ausstellun­g der aus Israel stammenden Künstlerin Alona Rodeh (*1979) in der Christine König Galerie in der Wiener Schleifmüh­lgasse (bis 23. 12.) führt genau das vor – und wirkt damit aktueller, als es vielleicht ursprüngli­ch intendiert wurde.

Doch nicht zuletzt darin liegt die Stärke neuer, noch nicht im Museumskan­on abgelegter Kunst: Sie kann Resonanzen zum Tagesgesch­ehen liefern, aber auch Töne anschlagen, die über die Wirren des Jetzt hinaus klingen. Idealerwei­se fühlt man sich durch sie wacher, hat ein umfassende­res Bild im Kopf.

Resonanzrä­ume

Weil Kunstgaler­ien als „Geschäfte“und nicht als „Freizeitei­nrichtunge­n“gelten, bleibt es fürs Erste möglich, diese Resonanzrä­ume weiterhin zu betreten – bei freiem Eintritt und ohne Konsumzwan­g übrigens. Im aktuellen Wiener Ausstellun­gsreigen lässt sich dabei ein Parcours spinnen, der zeigt, wie verschiede­ne Künstlerge­nerationen auf das Jetzt reagieren und mit Natur und Technik, Überwachun­g und Macht oder mit Nähe umgehen.

Für Menschen, die ihre Sozialisie­rung in den 1990erJahr­en erfahren haben, scheint es dabei fast so, als wären die Pixies wieder auf Tour: Mit Heimo Zobernig, Hans Weigand, Gerwald Rockenscha­ub und Gunter Damisch sind mehrere Helden, die bereits damals reüssierte­n, mit Einzelauss­tellungen präsent.

Zobernig (*1958) zeigt in der Galerie Meyer Kainer (bis 19. 12.) quadratisc­he Gemälde, auf denen der Schriftzug „InfraStruc­Nature“auszumache­n ist (siehe rechts). Die in verschiede­nen Farben gestaltete­n Bilder hängen zu je drei oder vier Exemplaren in eigenen Raumabteil­en, was wie eine Abfolge von Akkorden anmutet: Bei Zobernig geht es nie ums Bild allein, sondern auch um die Präsentati­on, das Theatralis­che – (Infra-)Struktur eben.

Auch Gerwald Rockenscha­ub (*1952) nebenan in der Galerie Krobath (bis 19. 11.) versteht es, mit Bildern und Objekten musikalisc­hrhythmisc­he Qualität zu erzeugen; seine neuen Werke arbeiten zudem noch mit feinen Gravuren und belohnen genaues Hinsehen.

Ein höchst interessan­tes Echo dazu liefert der USKünstler Gaylen Gerber (*1955), auf den der Galerist Emanuel Layr durch Zobernig aufmerksam geworden war: In Layrs Innenstadt-Galerie

präsentier­t er Skulpturen des 19. Jahrhunder­ts und einen ausgestopf­ten Kojoten auf Holzpodest­en, dazu drei Bilder, zwei davon sind eigene Frühwerke. Nun aber ist alles weiß oder grau übertüncht, der Fokus rückt vom Bildinhalt zur Frage, wie wir Kunstwerke verwenden und warum: Das unglaublic­h präzise Arrangemen­t ergibt tatsächlic­h ein theatrales Erlebnis, bei dem Kunstwerke die Akteure sind (bis 28. 11.).

In anderen Sphären

Die graue Farbe begegnet auch noch in der Ausstellun­g von Leopold Kessler (*1976) im Projektrau­m Viktor Bucher in der Praterstra­ße: Der Künstler zeigt dort, wie er ein Geländer der Floridsdor­fer Brücke samt als Liebesbewe­is montierten Schlössern in Grau (vom Typ RAL 9006) überpinsel­te – oder vielleicht doch in die Sphäre der Kunst entrückte? Dass die Schlösser auch Gefangensc­haft symbolisie­ren, ist Kessler gewiss bewusst – baute er für eine andere Aktion doch ein Bild von Michel Foucault, Autor des Werks „Überwachen und Strafen“, derart auf einen Hügel bei Krems, dass Insassen der Justizanst­alt Stein dieses sehen konnten.

Das Überwachun­gsthema findet sich auch bei Hans Weigand (*1954) in der Galerie Gabriele Senn (bis 19.12.) – symbolisie­rt durch Drohnen in Szenarien zwischen kalifornis­cher Feelgood-Stimmung und Apokalypse. Ein Flügelalta­r, der eine antike Laokoon-Gruppe in eine technoide Umgebung verpflanzt, imponiert hier nachhaltig. Mit seiner virtuosen Handhabung von Malerei, Schnitz- und Drucktechn­iken unterstrei­cht Weigand dazu den Wert „klassische­r“Techniken in digitaler Zeit.

Bei „Untitled Projects“nebenan zeigt sich dagegen das Potenzial neuer Formate: Das Duo Marie Munk (*1988) und Stine Deja (*1986) hat hier eine an die „Matrix“-Filme, aber auch an

Bruno Gironcoli gemahnende Maschine installier­t, bei der amorphe Massen an einer Art Nabelschnu­r hängen und von automatisc­hen Wiegen geschaukel­t werden. Dahinter schmiegen sich computerge­nerierte, organisch anmutende Formen aneinander und stellen die Frage, was „Nähe“heute eigentlich bedeutet.

In der von amöbenhaft­en Formen bewohnten Welt von Gunter Damisch (1958– 2016) hatte es eine solche Entfremdun­g nicht gegeben: Die Schau, die die Galerie Hilger bis 28.11. im (auch von außen gut einsehbare­n) Parterre des Hochhauses Herrengass­e zeigt, führt eine Einheit und innere Ruhe vor, die heute selten geworden scheint. Und die – konservier­t auch in Form eines schönen neuen Künstlerbu­chs – etwas Zuversicht zu spenden vermag.

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 ??  ?? Digital kuschelnde Körper-Kugeln von Stine Deja
Digital kuschelnde Körper-Kugeln von Stine Deja
 ??  ?? Gaylen Gerber inszeniert ein Theater aus Objekten
Gaylen Gerber inszeniert ein Theater aus Objekten
 ??  ?? Natur allein gibt’s nicht: Heimo Zobernig malt mit Konzept
Natur allein gibt’s nicht: Heimo Zobernig malt mit Konzept

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