Nahversorger mit viel Kunst
Anders als Museen dürfen Galerien im Lockdown derzeit offen halten – und beweisen einmal mehr ihre wichtige Rolle als kulturelle Nahversorger. Ein Rundgang durch einige Wiener Ausstellungen
Die Museen sind geschlossen. In den Wiener Galerien aber gibt es ein reichhaltiges Angebot.
Dass unser Bewegungsraum eingeschränkt, unser Verhalten durch Regeln konditioniert ist, wird niemand mehr bestreiten. Was aber, wenn sich eine Kunstgalerie, dieser Ort des freien Herumstreifens und Assoziierens, nur noch in einem strikt vorgezeichneten Parcours, entlang von Pollern und leuchtenden Begrenzungen besuchen lässt?
Die Ausstellung der aus Israel stammenden Künstlerin Alona Rodeh (*1979) in der Christine König Galerie in der Wiener Schleifmühlgasse (bis 23. 12.) führt genau das vor – und wirkt damit aktueller, als es vielleicht ursprünglich intendiert wurde.
Doch nicht zuletzt darin liegt die Stärke neuer, noch nicht im Museumskanon abgelegter Kunst: Sie kann Resonanzen zum Tagesgeschehen liefern, aber auch Töne anschlagen, die über die Wirren des Jetzt hinaus klingen. Idealerweise fühlt man sich durch sie wacher, hat ein umfassenderes Bild im Kopf.
Resonanzräume
Weil Kunstgalerien als „Geschäfte“und nicht als „Freizeiteinrichtungen“gelten, bleibt es fürs Erste möglich, diese Resonanzräume weiterhin zu betreten – bei freiem Eintritt und ohne Konsumzwang übrigens. Im aktuellen Wiener Ausstellungsreigen lässt sich dabei ein Parcours spinnen, der zeigt, wie verschiedene Künstlergenerationen auf das Jetzt reagieren und mit Natur und Technik, Überwachung und Macht oder mit Nähe umgehen.
Für Menschen, die ihre Sozialisierung in den 1990erJahren erfahren haben, scheint es dabei fast so, als wären die Pixies wieder auf Tour: Mit Heimo Zobernig, Hans Weigand, Gerwald Rockenschaub und Gunter Damisch sind mehrere Helden, die bereits damals reüssierten, mit Einzelausstellungen präsent.
Zobernig (*1958) zeigt in der Galerie Meyer Kainer (bis 19. 12.) quadratische Gemälde, auf denen der Schriftzug „InfraStrucNature“auszumachen ist (siehe rechts). Die in verschiedenen Farben gestalteten Bilder hängen zu je drei oder vier Exemplaren in eigenen Raumabteilen, was wie eine Abfolge von Akkorden anmutet: Bei Zobernig geht es nie ums Bild allein, sondern auch um die Präsentation, das Theatralische – (Infra-)Struktur eben.
Auch Gerwald Rockenschaub (*1952) nebenan in der Galerie Krobath (bis 19. 11.) versteht es, mit Bildern und Objekten musikalischrhythmische Qualität zu erzeugen; seine neuen Werke arbeiten zudem noch mit feinen Gravuren und belohnen genaues Hinsehen.
Ein höchst interessantes Echo dazu liefert der USKünstler Gaylen Gerber (*1955), auf den der Galerist Emanuel Layr durch Zobernig aufmerksam geworden war: In Layrs Innenstadt-Galerie
präsentiert er Skulpturen des 19. Jahrhunderts und einen ausgestopften Kojoten auf Holzpodesten, dazu drei Bilder, zwei davon sind eigene Frühwerke. Nun aber ist alles weiß oder grau übertüncht, der Fokus rückt vom Bildinhalt zur Frage, wie wir Kunstwerke verwenden und warum: Das unglaublich präzise Arrangement ergibt tatsächlich ein theatrales Erlebnis, bei dem Kunstwerke die Akteure sind (bis 28. 11.).
In anderen Sphären
Die graue Farbe begegnet auch noch in der Ausstellung von Leopold Kessler (*1976) im Projektraum Viktor Bucher in der Praterstraße: Der Künstler zeigt dort, wie er ein Geländer der Floridsdorfer Brücke samt als Liebesbeweis montierten Schlössern in Grau (vom Typ RAL 9006) überpinselte – oder vielleicht doch in die Sphäre der Kunst entrückte? Dass die Schlösser auch Gefangenschaft symbolisieren, ist Kessler gewiss bewusst – baute er für eine andere Aktion doch ein Bild von Michel Foucault, Autor des Werks „Überwachen und Strafen“, derart auf einen Hügel bei Krems, dass Insassen der Justizanstalt Stein dieses sehen konnten.
Das Überwachungsthema findet sich auch bei Hans Weigand (*1954) in der Galerie Gabriele Senn (bis 19.12.) – symbolisiert durch Drohnen in Szenarien zwischen kalifornischer Feelgood-Stimmung und Apokalypse. Ein Flügelaltar, der eine antike Laokoon-Gruppe in eine technoide Umgebung verpflanzt, imponiert hier nachhaltig. Mit seiner virtuosen Handhabung von Malerei, Schnitz- und Drucktechniken unterstreicht Weigand dazu den Wert „klassischer“Techniken in digitaler Zeit.
Bei „Untitled Projects“nebenan zeigt sich dagegen das Potenzial neuer Formate: Das Duo Marie Munk (*1988) und Stine Deja (*1986) hat hier eine an die „Matrix“-Filme, aber auch an
Bruno Gironcoli gemahnende Maschine installiert, bei der amorphe Massen an einer Art Nabelschnur hängen und von automatischen Wiegen geschaukelt werden. Dahinter schmiegen sich computergenerierte, organisch anmutende Formen aneinander und stellen die Frage, was „Nähe“heute eigentlich bedeutet.
In der von amöbenhaften Formen bewohnten Welt von Gunter Damisch (1958– 2016) hatte es eine solche Entfremdung nicht gegeben: Die Schau, die die Galerie Hilger bis 28.11. im (auch von außen gut einsehbaren) Parterre des Hochhauses Herrengasse zeigt, führt eine Einheit und innere Ruhe vor, die heute selten geworden scheint. Und die – konserviert auch in Form eines schönen neuen Künstlerbuchs – etwas Zuversicht zu spenden vermag.