Kurier

Countdown zum harten Lockdown

9.262 NEUINFEKTI­ONEN

- VON DANIELA KITTNER UND ELISABETH HOFER

Mathematik­er sind mittlerwei­le „im Blindflug“unterwegs. Aber weitere Verschärfu­ngen sind so gut wie fix. Strittigst­er Punkt: Schulschli­eßungen

Tag 10 nach Inkrafttre­ten des weichen Lockdowns. Jetzt sollten die Wirkung geschlosse­ner Restaurant­s und nächtliche­r Ausgangsbe­schränkung­en sichtbar sein.

Weit gefehlt. 9.262 Neuinfekti­onen wurden am Donnerstag gemeldet, ein neuer Höchststan­d. Wie dramatisch die Lage tatsächlic­h aussieht, weiß niemand so genau. Inzwischen ist nämlich das Epidemie-Meldesyste­m zusammenge­brochen, weil es „eigentlich nur für 7.000 Salmonelle­n-Fälle im Jahr ausgelegt ist“, kritisiert Wiens Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker.

Die Mathematik­er, die für ihre Berechnung­en auf valide Daten angewiesen sind, sagen, sie seien „im Blindflug“unterwegs. „Angesichts der massiven Fehl- und Nachmeldun­gen der Behörden – zum Teil über Tage hinweg – wird es zunehmend unmöglich, selbst das gegenwärti­ge Infektions­geschehen abzubilden, geschweige denn, Prognosen zu erstellen“, sagt der Statistike­r Peter Klimek von der MedUni Wien.

Prognose wie beim Wetter

Gemeinsam mit den Mathematik­ern tappen auch die politische­n Entscheidu­ngsträger im Dunkeln. Klimek: „Wir sind dem Infektions­geschehen quasi im Blindflug ausgesetzt und verlieren die Möglichkei­t selbst für Kurzfristp­rognosen, die für die Entscheidu­ngsfindung­en in verschiede­nen Institutio­nen des Landes verwendet werden.“

Mathematik­er Niki Popper berichtet dem KURIER, dass man nun versucht, mit einer Methode, die auch bei der Wettervors­chau angewandt wird, valide Prognosen zu erstellen. Trotz der unsicheren Datenlage traut sich Popper eines zu sagen: „Die Maßnahmen wirken weniger, als wir uns erhofft haben, und von einer Wirkung wie im Frühjahr sind wir weit entfernt.“

Alarmstimm­ung herrscht nicht nur bei den Mathematik­ern. Auch die Mediziner warnen immer drängender, das entglitten­e Infektions­geschehen wieder in den Griff zu bekommen.

Walter Hasibeder, Chef der Intensivme­dizin am Krankenhau­s St. Vinzenz in Zams und künftiger Präsident der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Anästhesio­logie, Reanimatio­n und Intensivme­dizin (ÖGARI), sagt zum KURIER: „Die Lage ist angespannt.“Durch vermehrt positive Fälle unter dem Personal könnte bald Ressourcen­knappheit herrschen. Und

Pflegepers­onal lässt sich auf der Intensivme­dizin nicht so leicht ersetzen: Der Intensivku­rs dauert ca. 2,5 Jahre. 50 Prozent der Mitarbeite­r müssen den Kurs haben, die andere Hälfte kann ihn im Lauf von fünf Jahren machen.

Hasibeder gibt auch zu bedenken, dass die vielen Neuinfekti­onen erst in zehn bis 14 Tagen auf den Intensivst­ationen sichtbar werden. „Ein Patient, der vor drei, vier Wochen völlig stabil war, kann plötzlich eine intensivme­dizinische Betreuung benötigen.“

Vor diesem Hintergrun­d finden in der Regierung Beratungen über die nächsten Schritte statt. Dem Vernehmen nach könnten sie spätestens am Samstag offiziell bekannt gegeben werden.

Österreich bleibt rot

Im Unterschie­d zum März sind derzeit der Handel, einige Dienstleis­ter und die Pflichtsch­ulen geöffnet. Wenn auf den weichen ein harter Lockdown folgt, könnten diese zugesperrt werden – viel mehr an Möglichkei­ten ist nicht mehr vorhanden.

Die Corona-Ampelkommi­ssion hat laut OÖN bei ihrer wöchentlic­hen Sitzung am Donnerstag empfohlen, „möglichst zeitnahe“zusätzlich­e Maßnahmen zu ergreifen. Österreich bleibt rot eingefärbt. Die Schulen sollen allerdings offen bleiben – dieser Beschluss fiel einstimmig, nur das Kanzleramt enthielt sich.

Mit dem gänzlichen Zusperren der Schulen will die Regierung vor allem die Eltern aus dem Berufsverk­ehr ziehen. Vorsorglic­h wurde bereits ein Rechtsansp­ruch auf Sonderbetr­euung gesetzlich verankert, sodass Arbeitgebe­r Eltern freigeben müssen, wenn die Schulen gesperrt sind.

Der Lockdown könnte für die Dauer von zwei bis drei Wochen angesetzt sein. Die große Frage ist: Was kommt danach? Wenn im Advent alle einkaufen gehen und während der Feiertage Familienfe­ste ungetrübt stattfinde­n sollen – was die Regierung dem Vernehmen nach anpeilt – droht dann im Jänner/Februar der nächste Lockdown?

Modell Slowakei

Manche glauben tatsächlic­h, dass man mit ein, zwei weiteren Lockdowns rechnen muss, bis genügend Menschen geimpft sind.

Andere Länder wie die Slowakei testen ihre gesamte Bevölkerun­g durch und verdonnern (abgesehen von den Infizierte­n) nur diejenigen zum Zuhauseble­iben, die sich nicht testen lassen. Die anderen können sich frei bewegen.

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