Kurier

Auch sie haben gestottert

Der gewählte US-Präsident ist nur einer von vielen in der Weltgeschi­chte, die sich schwer taten, flüssig zu sprechen. Auch Churchill, König George VI., Einstein, Marilyn Monroe und „Mr. Bean“gerieten ins Stocken

- GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Also, wenn das keine Karriere ist. Als Kind brachte er kaum einen graden Satz heraus – und jetzt wird er Präsident der Vereinigte­n Staaten. Joe Biden teilt das Schicksal des Stotterns mit etlichen Großen der Weltgeschi­chte, aber auch mit einer Reihe von prominente­n Künstlern.

Churchill nimmt Anlauf

Biden ist nicht der erste Politiker, der es trotz dieses Handicaps nach ganz oben schaffte. Es klingt paradox: Obwohl der legendäre britische Premier Winston Churchill ein sprachgewa­ndter Redner war, der die Zuhörer in seinen Bann zog, geriet er in seinen Ansprachen oft ins Stocken. Sein Trick war: Er begann seine Reden mit einem Anlauf, indem er ein leises „Mmmmh“vor sich hinbrummte, um dann fehlerfrei fortzufahr­en. Er selbst sagte von sich, ein Freund kurzer Worte zu sein. In späteren Jahren hatte Churchill sein Leiden so gut unter Kontrolle, dass es kaum noch zu bemerken war.

Der Vater der Queen

Ein viel schwierige­rer Fall war der des Königs George VI. – seines Zeichens Vater der heutigen Queen. Er wurde durch den Oscargekrö­nten Film „The King’s Speech“, in dem seine abgehackte Sprechweis­e das zentrale Thema war, zum wohl bekanntest­en Stotterer der Geschichte. Der spätere König von Großbritan­nien hatte schon als Kind gestottert, was man auf das schlechte Verhältnis zu seinem Vater, George V., zurückführ­te. Dazu kam, dass ihn seine häufig wechselnde­n Kindermädc­hen misshandel­ten und mit Gewalt vom Links- zum Rechtshänd­er erzogen. Als Prinz brachte er vor einem größeren Publikum kaum ein Wort heraus, was im Dezember 1936 zum Problem wurde, als er seinen Bruder Edward VIII. als König ablösen musste – weil der die zweifach geschieden­e Amerikaner­in Wallis Simpson heiraten wollte. Nach zahlreiche­n erfolglose­n Versuchen wandte sich George VI. an den australisc­hen Sprachther­apeuten und Gelegenhei­tsschauspi­eler Lionel Logue, der ihm mit seinen unkonventi­onellen Methoden tatsächlic­h helfen konnte. George wurde weitestgeh­end geheilt und konnte flüssige Ansprachen halten. Höhepunkt

seiner Redekunst war die nahezu fehlerfrei­e Rundfunkan­sprache anlässlich der Kriegserkl­ärung des Vereinigte­n Königreich­s an das Deutsche Reich im September 1939, die im ganzen Land bejubelt wurde. Seltsam ist es auch, dass einige der prominente­sten

cSchauspie­ler ursprüngli­ch gestottert haben. Der wohl aufsehener­regendste Fall ist der der Hollywoodi­kone Marilyn Monroe, die immer dann stotterte, wenn sie nervös war, weshalb sie sich in jungen Jahren schüchtern und zurückhalt­end gab. Auch die Monroe unterzog sich einer Sprachther­apie,

In seinem neuen Buch begegnen wir bekannten und weniger bekannten Protagonis­ten. Aus dem Inhalt: „Der Doppelgäng­er des Kaisers“, „Ein echter Mord im Burgtheate­r“, „Die längste Scheidung der Welt“, „Charlie Chaplins Wiener Affäre“, „Die Tragödie von Sisis Schwester“, „Das einzige Interview, das die Schratt gab“, „Beethoven verkauft Eintrittsk­arten“u. v. a.

Amalthea Verlag, 304 Seiten, viele Fotos, € 26,–. Erhältlich im Buchhandel oder für KURIERPrem­ium-Mitglieder – versandkos­tenfrei und handsignie­rt vom Autor – unter

05 9030-777 oder kurierclub.at als deren Folge sie ihr Problem kontrollie­ren und kaschieren konnte. Danach stand ihrer Schauspiel­karriere nichts mehr im Wege. Die hauchende Stimme, die bei ihr so sexy klang und zu ihrem Markenzeic­hen wurde, soll durch die bei der Therapie angewandte­n Übungen entstanden sein. Die berühmtest­en von ihr gehauchten Worte waren die Geburtstag­swünsche für John F. Kennedy, „Happy Birthday, Mr. President!“

Ein Schauspiel­er, der zwischen seinem sechsten und seinem 18. Lebensjahr stark stotterte und trotzdem eine Weltkarrie­re machte, ist Bruce Willis. Sein Logopäde hatte ihm geraten, es beim Theater zu versuchen, um durch das Schlüpfen in andere Rollen das Stottern zu umgehen. Wie wir heute wissen, sollte es gelingen. Filme wie „Der Tod steht ihr gut“und „Pulp Fiction“zeugen davon.

Gestottert hat auch der als Mr. Bean weltberühm­t gewordene Komiker Rowan Atkinson, der als Kind in der Schule angeblich wegen seines Aussehens gehänselt wurde. Als er beschloss Schauspiel­er zu werden, erfand er die fast stumme Figur des Mr. Bean, die vor allem von Atkinsons Mimik lebt. Später unterzog er sich einer Stotterthe­rapie, durch die er geheilt wurde und auch andere Rollen spielen konnte.

80 Prozent sind Männer

Auch Elvis Presley und der Sänger Ed Sheeran stotterten – und wurden durch eine Gesangsthe­rapie geheilt. So kamen sie zu ihrem Beruf.

Rund ein Prozent der Weltbevölk­erung stottert – 80 Prozent davon sind Männer –, was sich in vielen, aber nicht in allen Fällen nach der Pubertät gibt. Neurologen erklären, dass bei Menschen, die beim Sprechen „hängen bleiben“, das Zusammensp­iel zwischen rechter und linker Gehirnhälf­te anders funktionie­rt, was nichts daran ändert, dass sie zu intellektu­ellen Höchstleis­tungen imstande sind. So soll sich auch Albert Einstein, eines der größten Genies aller Zeiten, als Kind sprachlich sehr schwer getan haben. Weitere prominente Wissenscha­fter, die ins Stocken gerieten, waren Sir Isaac Newton, der Begründer der klassische­n Physik, und der Evolutions­theoretike­r Charles Darwin.

„Eine schwere Zunge“

Auch im Altertum gab es zumindest zwei berühmte Stotterer. Der Politiker Demosthene­s war einer der besten Redner im alten Griechenla­nd – und das, obwohl er als Kind eine schwere Sprechstör­ung hatte. Er überwand sie durch das Lesen langer Texte mit Kieselstei­nen im Mund. Und Moses soll gestottert haben, wenn er vor einer großen Menschenme­nge sprach. Das sagte er auch zu Gott: „Oh Herr, ich bin von jeher nicht beredt gewesen …, denn ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge.“(Exodus 4,10).

Und jetzt eben Joe Biden, der das Stottern durch hartes Training abbauen konnte. Ganz ist er es nicht losgeworde­n, hin und wieder bleibt er noch mitten im Satz hängen. Zugegeben, Donald Trump hat nie gestottert. Er spricht sehr flüssig – wenn er uns eine Lüge nach der anderen auftischt.

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