Der Vater des Impfstoffes kommt aus Österreich
Der Forscher Christoph Huber ist Mitbegründer von BioNTech – das große Interview
Wie viele Ankündigungen von Wissenschaftern gab es nicht schon in den vergangenen Monaten, dass man bald vor dem Durchbruch bei der Entwicklung einer CoronaImpfung stehe. Viele gaben leere Versprechungen ab. Andere, wie das Mainzer Unternehmen BioNTech forschte still, dafür aber mit Erfolg. Vor einigen Tagen gab es die Meldung, auf die die Welt gewartet hatte: Der erste Corona-Impfstoff steht vor der Zulassung – mit österreichischer Beteiligung. Der Innsbrucker Christoph Huber gehört zum Gründer-Trio von BioNTech.
KURIER: Herr Huber, Sie haben den Wettlauf um die erste Impfung gegen das Coronavirus gewonnen. Konnten Sie es überhaupt glauben, als Sie die Mitteilung bekamen, dass diese Impfung wirksam ist? Christoph Huber: Wenn ich ehrlich bin: Das Ergebnis war aufgrund der Daten zur Induktion massiver Immunantworten gegen das Covid-19Virus in unseren beiden Phasen, I und II, nicht unerwartet. Aber natürlich waren wir überglücklich, und das Herz wird leichter.
Was hat Sie, als die Forschungsarbeiten für den Covid-19-Impfstoff starteten, von der Methode der RNAbasierten Impfung (auf Ribonukleinsäure basierend, Anm.) überzeugt?
Wir sind seit zwei Jahrzehnten in der Impftherapie im Krebsbereich tätig. Dabei haben wir gelernt, dass diese Methode vor allem schneller ist als die der konventionellen Eiweiß-Impfstoffe. Denn die Herstellung eines RNA-Impfstoffes erfolgt enzymbasiert in der Retorte. So hergestellte Impfstoffe sind auch wirksamer und effizienter.
Warum wurden bisher RNAImpfungen vor allem in der Krebstherapie eingesetzt?
Wir haben vor rund sieben Jahren RNA-basierte Krebsimpfungen in die klinische Prüfung gebracht. Diese Impfungen sind gegen die Krebsmutationen gerichtet, die den Krebs verursachen. Es gibt rund 100 Mutationen pro Krankheit, und fast alle diese Mutationen sind individuell. Die Komplexität ist gewaltig, und es gibt nicht zwei KrebsPatienten, die die gleichen Mutationen tragen. Man musste daher Technologien entwickeln, die so schnell sind, dass man den Patienten mit Impfstoff innerhalb eines Monats versorgen kann. Wenn man dafür sehr lange braucht, würde dies in der Krebstherapie keinen Sinn machen – wir müssen ja schneller als der Krebs sein. Zur Herstellung der RNAVakzinen haben wir komplett digitalisierte und weitgehend auf Robotik umgestellte Fabriken etabliert.
Aber zugelassen als Standardtherapie sind die RNAImpfungen noch nicht ...
Diese Impfungen sind noch im Stadium der experimentellen Erprobung. In Zusammenarbeit
mit Genetech/Roche sind bereits Hunderte von Krebspatienten in Studien behandelt worden. Auf der Basis dieser Technologie war es natürlich naheliegend, auch die Impfung gegen das Covid-19-Virus in Angriff zu nehmen.
Der von BioNTech entwickelte Impfstoff schützt vor einer Erkrankung. Wann rechnen Sie mit einer Zulassung?
Bis zum endgültigen Abschluss der laufenden PhaseIII-Prüfung
und der Einreichung bei den Zulassungsbehörden ist noch ein Stück zu gehen. Eine sogenannte „rolling submission“ist bei der Europäischen Zulassungsbehörde EMA auf den Weg gebracht. Und die Einreichung der Daten bei der amerikanischen Zulassungsbehörde ist im November geplant.
Wird man das Virus trotz der Impfung übertragen?
Dies ist unwahrscheinlich, dazu können wir jedoch noch nicht endgültig Stellung nehmen. Aber: Eine vom Gesetz vorgeschriebene, unabhängige Kommission hat unsere Doppelblindstudie, an der fast 44.000 Menschen teilnehmen, geprüft, in welcher Gruppe bewiesene CoronaNeuinfektionen lokalisiert sind. Dabei kam heraus, dass die Impfgruppe zu mehr als 90 Prozent geschützt ist. Dieses Faktum gibt Mut und Hoffnung.
Die Hälfte der Österreicher würde sich gegen Covid-19 impfen lassen. Die andere
Hälfte ist skeptisch. Warum ist die Impfskepsis in den vergangenen Jahrzehnten konstant gewachsen?
Mehrheitlich basiert die Skepsis nicht auf Fakten, sondern auf der Furcht vor hypothetischen Bedrohungen. Wenn man den Beitrag und die Nebenwirkungen des Impfschutzes innerhalb der medizinischen Fortschrittslandschaft bewertet, kommt man zu einem eindeutigen Ergebnis: Von allen medizinischen Interventionen der letzten 120 Jahren ist Impfung die beste. Unzählige Menschen wurden gerettet und etwa Kinder vor Verstümmelung durch Kinderlähmung bewahrt. Die Zahl schwerer Nebenwirkungen ist wirklich sehr gering, und muss abgewogen werden gegen die Bedrohung durch die Krankheit. Schwierig wird es, wenn man, in dieser emotional sehr belasteten Frage, mit Verordnungen eingreift. Das hat die Politik inzwischen erkannt. Man setzt vielmehr auf einen breiten gesellschaftlichen Aufklärungsprozess.
Das Impfprojekt von BioNTech/Pfizer heißt Lichtgeschwindigkeit. Ist nicht das Tempo das stärkste Argument der Impfskeptiker ...
Es gab von Start an einen Pakt, dass die PatientenSicherheit trotz der Geschwindigkeit oberste Priorität ist. Sämtliche an der Entwicklung beteiligten Unternehmen, Zulieferfirmen, Prüfzentren und Behörden haben sich für das Allgemeinwohl in einer Weise engagiert, wie ich es in meiner 50-jährigen Tätigkeit noch nie erlebt habe.
Sie haben das Wissenschafterehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin quasi „entdeckt“, Was macht die beiden aus?
Unsere enge Zusammenarbeit geht nun schon über zwei Jahrzehnte. Ich habe in der Universitätsmedizin Mainz Anfang der 90er-Jahre eine forschungsgetriebene Klinik für Hämatologie-Onkologie und Stammzell-Transplantation aufgebaut. Was wir damals vermisst haben, waren Wissenschafter, die Ergebnisse der Grundlagenforschung in Produkte für den Menschen übersetzen können. Auf meiner Suche nach solchen Wissenschaftern bin ich auf Özlem Türeci und Ugur Sahin gestoßen. Die beiden haben damals an der Entschlüsselung von Tumor-Antigenen als Zielstrukturen für Krebsimmuntherapie geforscht. Dies waren wissenschaftlich herausragende Ergebnisse, die versprachen einen Grundstein zur Umsetzung von Krebs-Immuntherapien in der Klinik zu legen. Ugur und Özlem sind geniale Strategen und Forscher mit Vorbildcharakter und Umsetzungskraft. Die beiden sind inzwischen weltberühmt geworden und sind in jeder Hinsicht Juwelen.
Sie waren viele Jahre in Innsbruck tätig, sind dann nach Deutschland übersiedelt. War der Grund, dass man als Österreicher erst ins Ausland gehen muss, um anerkannt sein zu können?
Meine Frau und ich hatten die Abmachung, dass unsere Kinder in Ihrem Familien-Clan in Innsbruck aufwachsen sollten. Als Forschungsprofessor an der UniMedizin hatte ich aber nur sehr begrenzten Zugriff auf Personal-, Budget und infrastrukturelle Ressourcen. So war ich gezwungen, immer mehr im Ausland Forschungsgelder aufzutreiben. Es war mir zwar möglich, die Dachböden der Universitätsklinik für Innere Medizin um einen Euro zu kaufen und mit Drittmitteln zu einer Forschungsabteilung mit Labors auszubauen. Insgesamt war dies aber zur Umsetzung ambitiöser Forschungsprogramme nicht ausreichend. In Absprache mit meiner Frau ging ich dann nach Mainz, wo ich dort eine neue, forschungsgetriebene Klinik mit einem Sonderforschungsprogramm „Tumorabwehr und ihre therapeutische Nutzung“aufbauen konnte.