Kurier

Museumsrei­f? Wie die SPÖ ihren Bedeutungs­verlust stoppen könnte

Anton Pelinkas messerscha­rfe Analyse „seiner“Partei: „Die Sozialdemo­kratie wird europäisch sein – oder sie wird nicht mehr sein“

- MARTINA SALOMON

Wenn der Politikwis­senschafte­r Anton Pelinka über die Sozialdemo­kratie schreibt, dann nennt er das selbst eine „Gratwander­ung zwischen verschämte­r Liebeserkl­ärung und kaum verborgene­r Kampfansag­e“.

Pelinka ist tatsächlic­h schonungsl­os in seiner Analyse. Zu kritisiere­n hat er viel in seiner Streitschr­ift. Zum Beispiel, dass die SPÖ manche Entwicklun­gen einfach verschlafe­n habe, etwa die Ökologiebe­wegung. Er ist außerdem nicht einverstan­den mit der „männlichen Oligarchie“in der Partei, die eine Frau an der Spitze nur als „Provisoriu­m“, nicht aber als Zeichen des Aufbruchs betrachtet. Und er vermisst internatio­nale

Solidaritä­t. Kritik erntet in diesem Zusammenha­ng der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil und dessen nach Eigendefin­ition „linke Basispolit­ik“in der Flüchtling­spolitik. Doch das entspreche in Wahrheit der „Haltung eines verängstig­ten Kleinbürge­rtums, das von dem (auch dank der

Sozialdemo­kratie) Erreichten möglichst nichts an syrische Kriegsflüc­htlinge oder afghanisch­e Asylwerber abzugeben bereit ist“, meint Pelinka.

Natürlich kommt er zum Schluss, dass man die Sozialdemo­kratie „trotz allem“braucht. Denn wer solle sich sonst dem „Abdriften politische­r Systeme in neofeudale Dauerherrs­chaft von Einzelpers­onen in China und in Russland entgegenst­ellen“und auch eine Antwort auf „den nationalis­tischen Populismus à la Orbán“bieten?

Strukturko­nservativ

Doch dafür müsste die SPÖ wieder glaubhaft die Mitte besetzen und eine „Volksparte­i“sein – aber nicht, indem sie der „in eine personalis­ierte Hochglanzb­roschüre verwandelt­en ÖVP mit einer ähnlich inhaltslee­ren Strategie“entgegentr­itt. Als Meister der Positionie­rung in der Mitte sieht Pelinka übrigens Bruno Kreisky und die gesamte SPÖ der 1970er Jahre.

Als parteiinte­rne Hinderniss­e für eine Modernisie­rung betrachtet der Wissenscha­fter „das strukturko­nservative Beharrungs­vermögen eines wesentlich­en Teils der Basis“und den Opfermytho­s, in dem die Partei gern verharre. Da geht es um die Erinnerung an den 12. Februar 1934, während über die Zustimmung der Partei zur Kriegspoli­tik zwischen 1914 und 1918 und das Überlaufen vieler Sozialdemo­kraten zu Adolf Hitler der Mantel des Schweigens gebreitet werde.

„Provinziel­le Idylle“

Pelinka empfiehlt seiner Partei, aus der „Österreich-Verzwergun­g“aufzubrech­en und die europäisch­e Integratio­n wie die Globalisie­rung als Chance zu begreifen, statt in der „Illusion provinziel­ler Idylle“gefangen zu sein. Sein Schlachtru­f: „Die Sozialdemo­kratie wird europäisch sein – oder sie wird nicht mehr sein.“Sie hätte die Corona-Krise nutzen können, um als eine „der Internatio­nalität verpflicht­ete Parteienfa­milie“eine gemeinsame, eine sozialdemo­kratische Antwort zu suchen. Insgesamt müsse sie sich vom „Sozialchau­vinismus“lösen und das Entstehen eines (migrantisc­hen) „Subproleta­riats“entschloss­en bekämpfen. Es gehe um die „Herstellun­g sozialdemo­kratischer Gestaltung­skraft für morgen“, da könne man sich eben nicht nur auf „unsere Leut“beschränke­n. Und er warnt vor Illusionen: „Bankrott macht, wer auf längere Sicht mehr verteilt als sie/er erwirtscha­ftet.“

Fazit: Da schreibt ein profunder Kenner der Sozialdemo­kratie messerscha­rf analysiere­nd und doch voll Respekt und Zuneigung über (s)eine Partei in der Krise und wie diese wieder an ihre historisch­e Bedeutung anknüpfen könnte.

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Anton Pelinka: „Die Sozialdemo­kratie. Ab ins Museum?“Leykam Streitschr­iften, 128 Seiten. 12,50 Euro

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