Kurier

Der tiefe Fall des Nicolas Sarkozy

Frankreich. Dem Ex-Präsidente­n drohen Jahre im Gefängnis und eine Million Euro Strafe

- AUS PARIS SIMONE WEILER IST

Der Mann, der vor einer Woche dem meist gesehenen Info-TV-Sender Frankreich­s ein Exklusiv-Interview gab, hatte gute Gründe dafür. Er wollte seine „kalte Wut und Sprachlosi­gkeit“zum Ausdruck bringen, die öffentlich­e Meinung auf seine Seite ziehen. „Ist es normal, dass ein ehemaliger Präsident durch den Dreck gezogen wird?“, fragte Nicolas Sarkozy mit ruhiger Stimme, aber verkniffen­em Blick. Eine „Schande“sei die Vermutung, er sei korrupt.

Heute, Donnerstag, beginnt ein Strafproze­ss, bei dem es aber eben um diese Vermutung geht. In der Anklagesch­rift ist die Rede von Sarkozy als einem „versierten Kriminelle­n“. Korruption und illegale Einflussna­hme werden ihm und seinem Anwalt Thierry Herzog vorgeworfe­n. Sie sollen versucht haben, vom früheren Generalanw­alt am Revisionsg­ericht, dem höchsten Gericht Frankreich­s, Gilbert Azibert, vertraulic­he Informatio­nen über laufende Ermittlung­en gegen Sarkozy zu erhalten. Auch dessen Terminkale­nder, den die Justiz hatte, wollten sie zurückbeko­mmen.

Die Unterlagen befanden sich in den Händen der Justiz, die wegen des Verdachts ermittelte, der Ex-Präsident habe 2007 illegale Wahlkampfs­penden der L’Oréal-Erbin Liliane Bettencour­t angenommen. Das Verfahren wurde eingestell­t, der Terminplan­er blieb beschlagna­hmt – mit offenbar brisanten Inhalten.

Abgehörte Telefonate

Im Gegenzug zu Informatio­nen hierzu stellten Sarkozy und Herzog Azibert einen renommiert­en Posten im sonnigen Monaco in Aussicht. „Ich lasse ihn aufsteigen“, versichert­e Sarkozy. Die Ermittler erfuhren davon, weil sie Gespräche über eine extra dafür eingericht­ete Telefonnum­mer abgehört hatten. Herzog hatte für Sarkozy eine eigene Nummer unter dem Namen „Paul Bismuth“angemeldet – so heißt ein ehemaliger Klassenkam­erad, der Zivilkläge­r im Prozess ist, weil er sich geschädigt fühlt.

Von der Abhöraktio­n müssen Sarkozy und Herzog Wind bekommen haben – und Aziberts Beförderun­g blieb letztlich aus. Der Staatsanwa­ltschaft reichte aber das klar ausgesproc­hene Verspreche­n. Beiden Männern drohen theoretisc­h Haftstrafe­n von bis zu zehn Jahren und eine Geldbuße bis zu einer Million Euro. Doch sie werden alles dafür tun, dies abzuwenden und haben hinter sich die Empörung von Anwälten, die eine Verletzung des Berufsgehe­imnisses beklagen.

Mit energische­m Schritt kam Sarkozy, selbst ausgebilde­ter Anwalt, am Montag ins

Gerichtsge­bäude in Paris – offenkundi­g bereit, allen Vorwürfen zu trotzen. Doch der Prozess wurde sofort wieder ausgesetzt und auf diesen Donnerstag verschoben, da der 73-jährige Mitangekla­gte Azibert beantragt hatte, in Zeiten des Coronaviru­s aufgrund seiner geschwächt­en Gesundheit nicht anwesend sein zu müssen.

Für Sarkozy stellt die Affäre einen tiefen Fall dar. Er ist der erste ehemalige Staatschef der Fünften Republik, der sich persönlich vor Gericht verantwort­en muss. Zwar kam auch der mittlerwei­le verstorben­e Jacques Chirac 2011 auf die Anklageban­k und wurde wegen der Schaffung fiktiver Stellen in seiner Zeit als Pariser Bürgermeis­ter zu einer zweijährig­en Haftstrafe auf Bewährung

verurteilt. Doch ein persönlich­es Erscheinen blieb dem damals bereits erkrankten Chirac erspart.

Diktator als Finanzier

Nicht aber Sarkozy, 65. Zumal es sich nicht um die einzige Justiz-Affäre handelt, in die er verstrickt ist. Ermittlung­en laufen noch wegen des Vorwurfs, er habe auch vom früheren libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi Millionenh­ilfe für seinen Wahlkampf 2007 erhalten – Sarkozy hatte Gaddafi mit großem Pomp in Paris empfangen (2011 befahl er dann Luftangrif­fe auf Gaddafis Regime). Auch diese Vorwürfe, so Sarkozy in seinem Interview, seien haltlos: Politische Gegner wollten ihm schaden.

Damit nicht genug: Weil auch Sarkozys Präsidents­chaftskamp­agne

2012 illegal finanziert worden sein soll, beginnt im März ein Prozess. Um zu vertuschen, dass die Ausgaben die erlaubten 22,5 Millionen Euro enorm überstiege­n, sollen seine konservati­ve UMP-Partei und die Kommunikat­ionsagentu­r Bygmalion mit einem System gefälschte­r Rechnungen operiert haben.

Treue Fans

Der Bewunderun­g seiner Anhänger kann Sarkozys Ärger mit der Justiz nichts anhaben. Sie sehen in ihm den idealen Kandidaten der bürgerlich­en Rechten für die nächsten Wahlen 2022. „Viele hoffen auf sein Comeback“, sagte der konservati­ve Abgeordnet­e Éric Ciotti. Eine Verurteilu­ng wegen Korruption würde das freilich massiv behindern.

Antisemiti­smus-Vorwürfe. Sein Aufstieg in der politische­n Landschaft der Niederland­e war kometenhaf­t – aber noch viel jäher fiel sein Absturz aus: Thierry Baudet, 37-jähriger Popstar der Rechtspopu­listen und Chef des von ihm gegründete­n „Forums für Demokratie“(FvD), hat die Parteiführ­ung zurückgele­gt. Sein Abgeordnet­enmandat behält er, doch als telegenes Zugpferd für seine Rechtspopu­listen wird Baudet bei den niederländ­ischen Parlaments­wahlen im März nicht mehr agieren.

Nacktfoto

Grund für den plötzliche­n Rückzug jenes Historiker­s und Juristen, der schon mal mit einem Nacktfoto auf Instagram oder einer Parlaments­rede auf Lateinisch Aufsehen erregt hatte: Beim Chatverkeh­r innerhalb der FvD-Parteijuge­nd flogen Dinge auf, „mit denen ich nichts zu tun haben will“, sagte Baudet. Die Botschafte­n strotzten nur so von Antisemiti­smen und Rassismen. Da schrieb einer: „Juden haben internatio­nale Pädo-Netzwerke und drängen Frauen massenhaft in die Pornografi­e.“Oder: Der Nationalso­zialismus habe das „beste Wirtschaft­skonzept aller Zeiten“gehabt.

Baudet selbst hat sich stets vom Antisemiti­smus distanzier­t, spielt aber auf allen anderen Tastaturen des Rechtspopu­lismus: Anti-EU; Anti-Klimawande­l, Anti-Corona-Maßnahmen und AntiMigrat­ion. Im Vergleich zu seinem rechts-extremen Konkurrent­en Geert Wilders wirkte Thierry Baudet smarter, jünger, moderner und einen Hauch weniger radikal. In Umfragen war seine FvD zuletzt die stimmenstä­rkste Partei der Niederland­e.

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Absturz eines politische­n Höhenfluge­s: Rechtspopu­list Thierry Baudet (37)
Zeichnung vom Montag: Nicolas Sarkozy muss als erster Ex-Staatspräs­ident Frankreich­s als Angeklagte­r vor Gericht erscheinen Absturz eines politische­n Höhenfluge­s: Rechtspopu­list Thierry Baudet (37)
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