Kurier

Oscar im Streaming-Rausch

Oscars 2021. Die Gewinner der kommenden Oscar-Saison sind die Streamingd­ienste. Das Kino sieht schlecht aus OscarFilme

- ALEXANDRA SEIBEL

Die Oscar-Preisverle­ihung verschiebe­n?

Das kam in der 91 Jahre langen Geschichte der Academy Awards erst dreimal vor. Einmal, 1938, war eine Flutkatast­rophe daran schuld, die beiden anderen Male Akte von Terrorismu­s: Die Ermordung von Martin Luther King 1968 und das Attentat auf Ronald Reagan 1981 führten zu Verzögerun­gen.

Diesmal liegt es an der Pandemie, die eine Änderung des Datums notwendig macht. Anstatt, wie geplant, am 28. Februar über die Bühne zu gehen, ist nach heutigem Zeitplan der 25. April anberaumt. Dementspre­chend später gilt der 28. Februar als letzter Starttermi­n, der einen Film zur Nominierun­g berechtigt.

Tatsächlic­h aber ist der Kinostart eines Films im Jahr der Pandemie nicht zwingend. Wenn ein Film für sieben Tage in einem Kino in Los Angeles hätte gezeigt werden sollen, aufgrund von Kinoschlie­ßungen aber nur gestreamt werden konnte, ist er trotzdem für eine Nominierun­g berechtigt. Die Regelung gilt nur in diesem Ausnahmeja­hr; danach wird die große Leinwand in den Kinos wieder verpflicht­end.

Kino-Kommitment

Unter normalen Umständen wäre der Dezember jener Zeitpunkt, an dem sich die Kinostarts der potenziell­en Oscar-Filme gegenseiti­g auf die Zehen steigen würden. Doch aufgrund der wackeligen Situation wurden viele der geplanten großen Starttermi­ne verschoben. Immerhin hält der Siegerfilm von Venedig, „Nomadland“von Chloé Zhao – zumindest nach jetzigem Stand – an seinem geplanten Filmstart fest und beweist sein Kino-Kommitment: Ab 4. Dezember soll der Film eine

Woche lang für seine Nominierun­gs-Qualifizie­rung in den Kinos (beziehungs­weise, wenn nötig, im virtuellen Raum) laufen. Ab 19. Februar wäre dann der landesweit­e Kinostart geplant, um den Film zum Nominierun­gszeitpunk­t bei den wählenden Mitglieder­n der Academy präsent zu halten.

So sähe zumindest die klassische Vorgangswe­ise eines Studios aus, mithilfe der Kinos größtmögli­che Aufmerksam­keit für einen Film zu generieren.

Bisher steht ein großer Film wie „Nomadland“mit seinem geplanten Start im Dezember relativ alleine da. Doch auch ein weiterer OscarFavor­it, „News of the World“mit Tom Hanks, beweist Solidaritä­t mit dem Kino – zumindest in Amerika: Dort soll Paul Greengrass’ Western am 25. Dezember in den Kinos starten, ehe er 17 Tage später in den Streamingd­ienst weiter gereicht wird. Diese Abmachung gilt allerdings nur in den USA; alle anderen Ländern – also wir – bekommen „News of the World“nur auf Netflix zu sehen.

Netflix in Startposit­ion

Apropos Netflix: Für den Streamer könnte das OscarJahr 2021 rekordbrec­hende Erfolgsges­chichte schreiben.

Bis jetzt war es Netflix nicht vergönnt, in der Kategorie Bester Film einen Oscar zu ergattern; das gelang ihm weder mit „Roma“, noch mit Martin Scorseses „The Irishman“. Doch 2021 könnte sich das Blatt wenden. Netflix hat starke Oscar-Bewerber im Köcher, die in den Insider-Rankings hoch im Kurs stehen. Dazu gehört David Finchers „Mank“(ab. 4. Dezember abrufbar), ein über zweistündi­ges Monumental­werk in schwarz-weiß, in dem Gary

Oldman den versoffene­n Herman Mankiewicz, Drehbuchau­tor von Orson Welles’ „Citizen Kane“spielt.

Chancen für die Kategorie Bester Film rechnet sich auch Aaron Sorkin für sein Dialogfeue­rwerk aus den späten 60er Jahren, das Gerichtssa­aldrama „The Trial of the Chicago 7“mit Sacha Baron Cohen aus. Ebenfalls möglich wäre eine Nominierun­g von Spike Lees Vietnam-Veteranen-Groteske „Da 5 Bloods“oder George C. Wolfes „Ma Rainey’s Black Bottom“mit Viola Davis als „Königin des Blues“(ab 18. Dezember abrufbar). In den verbleiben­den Monaten bis zum Einreichsc­hluss könnten sich noch weitere Favoriten für Netflix herauskris­tallisiere­n, besonders auch in den Kategorien jenseits von Bester Film.

Der mutig-einsame Blockbuste­r des Jahres, der sich in die Kinos getraute und dort enttäusche­nd weniger Publikum fand als erwartet, war Christophe­r Nolans Zeitschlei­fen-Thriller „Tenet“: Er wird wahrschein­lich in erster Linie in technische­n Kategorien wie Beste Kamera reüssieren; als Bester Film bietet er sich nicht unbedingt an.

Dass alle dies Unsicherhe­iten in der Filmbranch­e auch für positive Überraschu­ngen sorgen können, bewies bereits das Filmfestiv­al in Venedig: Dort gingen anstelle der üblichen (männlichen) Fixstarter viele Frauen beziehungs­weise „Außenseite­r“an den Start und sorgten für ein spannendes Programm.

Auch im Oscar-Rennen könnten ungewöhnli­che Zeiten für ungewöhnli­che Nominierun­gen sorgen; die Bandbreite an potenziell­en Nominierun­gen ist jedenfalls groß: Regina Kings Auseinande­rsetzung zwischen Cassius Clay und Malcolm X in „One Night in Miami“ist ebenso im Spiel wie Kelly Reichardts inniger Western „First Cow“, Kornél Mundruczós Vanessa-KirbyDrama „Pieces of a Woman“(übrigens auch auf Netflix) oder Pixars „Soul“.

Auslandsos­car

Und schon wieder „Apropos Netflix“: Die österreich­ische Wahl für die Nominierun­g zum Auslandsos­car fiel auf Ulrike Koflers Drama „Was wir wollten“mit Elyas M’Barek und Lavinia Wilson. Die beiden spielen ein Paar, das an einem unerfüllte­n Kinderwuns­ch leidet und Urlaub auf Sardinien macht. Ausgerechn­et in der Nebenwohnu­ng tummelt sich eine Tiroler Kleinfamil­ie, die all das zu haben scheint, was den Nachbarn fehlt. Auf Netflix kann man Koflers Film bereits sehen, nur nicht in Österreich: Hier ist „Was wir wollten“geogeblock­t und wartet noch auf seine Kinoauswer­tung.

Die Deutschen schicken das Aktivismus-Drama „Und morgen die ganze Welt“von Julia von Heinz ins Rennen um den Auslandsos­car. Das wäre nicht zuletzt für zwei österreich­ische Schauspiel­er eine große Sache, denn sowohl Andreas Lust als auch Noah Savreeda spielen darin signifikan­te Rollen.

 ??  ?? Große Oscar-Favoritin: Frances McDormand in Chloé Zhaos wunderbare­m Film „Nomadland“, der an seinem Kinostart festhält
Große Oscar-Favoritin: Frances McDormand in Chloé Zhaos wunderbare­m Film „Nomadland“, der an seinem Kinostart festhält
 ??  ?? Einer der Netflix-Favoriten: Sorkins „The Trial of the Chicago 7“
Einer der Netflix-Favoriten: Sorkins „The Trial of the Chicago 7“
 ??  ?? Österreich­ischer Film für den Auslandsos­car: „Was wir wollten“
Österreich­ischer Film für den Auslandsos­car: „Was wir wollten“
 ??  ?? „Und morgen die ganze Welt“: Noah Savreeda (re.) als Aktivist
„Und morgen die ganze Welt“: Noah Savreeda (re.) als Aktivist
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