Breitbeinig reicht nicht mehr
In der Kategorie „Rock“sind diesmal nur Frauen nominiert
Nach der Bekanntgabe der Nominierungen für die Grammy-Awards artikulierten Männer ihre Unzufriedenheit. Justin Bieber ist zwar vier Mal nominiert, aber nicht in der Kategorie seiner Wahl. Sein Album sei, bitte, nicht Pop, sondern R & B, maulte Bieber: „Es ist seltsam, dass das nicht anerkannt wird.“
Und der Kanadier Abel Makkonen Tesfaye alias The Weeknd, der gar nicht nominiert wurde, nannte die Grammys „korrupt“. Immerhin darf sich Weeknd trösten, den begehrtesten Pausenunterhalter-Job der USA bekommen zu haben: Er bestreitet die Halftime-Show beim Super Bowl.
Rock ohne Hose
Möglicherweise werden noch andere Männer leise oder laut ihren Unmut zu Gehör bringen: Denn die wichtigsten Musikpreise der Welt sind heuer fest in der Hand von Frauen. Beyoncé führt mit acht Nominierungen die Liste an. In der traditionell männlich dominierten Kategorie „Rock“sind diesmal nur Künstlerinnen oder Bands mit Frauen an der Spitze nominiert: Die AlternativeRock-Wegbereiterin Fiona
Apple, die Rockband Big Thief, die Pop-Rock-Gruppe HAIM, die Indie-Musikerin Phoebe Bridgers, die BluesSängerin Brittany Howard (bekannt als Frontfrau der Gruppe Alabama Shakes) und die Singer-Songwriterin Grace Potter. Damit setzt sich der Trend aus dem Vorjahr fort – da gewann das Pop-Wunderkind Billie Eilish (auch heuer wieder mehrmals nominiert) fünf Preise.
Freunde der traditionellen Männer-Domäne der lauten Musik (von Spöttern auch als „Beidl-Rock“bezeichnet) müssen sich damit trösten, dass die australischen Altspatzen von AC/DC mit ihrem neuen Album „Power Up!“gerade weltweit die Hitparaden mit Gleich- und Wechselstrom versorgen.
Die Grammys bilden damit eine Entwicklung ab, die die gesamte Unterhaltungsindustrie (Musik, Film, Fernsehen) umgestaltet: Frauen lassen sich nicht mehr mit den Nebenrollen (Freundin des Helden; Regieassistenz; kreischende Groupies) abspeisen. Nur ein Beispiel: In der momentan weltweit beliebtesten TV-Serie „Das Damengambit“steht eine Frau im Mittelpunkt. Und zwar eine selbstbewusste, die sich nimmt, was sie will – gespielt von der wunderbaren Anya Taylor-Joy. Sowas war früher nur in Ausnahmefällen (sprich: romantischer Notstandsversorgung) denkbar, in Zukunft ist das hoffentlich strengstens erlaubt.
Möglicherweise ist die Rockmusik dabei, sich grundlegend zu verändern. Im Pop geben die Frauen schon länger den Ton an und setzen die interessanten Impulse: Madonna – Lady Gaga – Miley Cyrus – Billie Eilish. Die Vorstandsvorsitzenden des breitbeinigen „Manspreadings“auf der Bühne – also AC/DC, Metallica, Guns ’N Roses – sind längst in Altersteilzeit.
Subtiler?
Vielleicht wird es in Zukunft nicht reichen, die Gitarre als Erweiterung der primären Geschlechtsorgane spazieren zu tragen. Vielleicht wird die Rockmusik künftig subtiler. Wobei das ja auch schon fast eine sexistische Unterstellung ist: Warum sollen Frauen nicht einfach Lärm machen dürfen? Die Band Girlschool – seit den Achtziger-Jahren Wegbereiter des weiblichen Hardrock und x-chromosomen-bewaffnetes Gegenstück zu Motörhead – beweist es.
Die Moderation der Grammys wird heuer übrigens wieder ein Mann übernehmen: Der Comedian Trevor Noah folgt auf Alicia Keys.