Kurier

Jede Bühne ist ein Medienunte­rnehmen

Kultur. Die Streaminga­ngebote profession­alisieren sich – und die Kulturinst­itutionen haben trotzdem hart zu kämpfen

- VON GEORG LEYRER

Die Erinnerung daran ist ebenso schon vom eigenartig­en Dunkel dieses Jahres verschluck­t wie das Balkonklat­schen für diejenigen, die den Laden während der ersten Welle am Laufen hielten: Im März, April, Mai hatten wir plötzlich die Kulturstar­s im Wohnzimmer sitzen. Mit recht improvisie­rten ZoomLesung­en und Videokonze­rten halfen manche der größten Künstler über die ersten Corona-Wochen hinweg. Das war ungewohnt – und auf amateurhaf­te Art wohltuend.

Dieser erste Schwung an gutem Willen, Intimität und Zusammenha­lt ist nun, in der zweiten Welle, wegprofess­ionalisier­t worden. So, wie sich Pädagogen fürs Home Schooling und Buchläden für die Lesestoffa­uslieferun­g gerüstet haben, haben sich die Bühnen und Museen im neuen Normalen breitgemac­ht: Jede Bühne ist nun ein Medienunte­rnehmen, wie es Variety zusammenfa­sste.

Immer profession­ellere Streaming-Produktion­en werden über die gleichen Kanäle verteilt, die schon Facebook, der „Tatort“oder virale Skatervide­os verstopfen.

Viele dieser neuen Medienanbi­eter aus dem Kulturbere­ich sind durchaus groß, und sie gehen mit wuchtigem Angebot ins Rennen. Und mit dem Anspruch, auf höchstem Niveau in einem nicht ureigentli­chen Markt mitspielen zu können. Die Wiener Staatsoper hegt Übertragun­gspläne, am Sonntag gibt es Alfred Dorfers „Figaro“-Inszenieru­ng

aus dem Theater an der Wien im ORF.

Deren Budgets würde sich mancher reguläre Medienanbi­eter wünschen. Und sie sind nicht die einzigen Anbieter, die – für Publikum geschlosse­n – neue Wege zu den Menschen suchen. Museen podcasten und lassen Kameras durch Ausstellun­gen schweben, Theater wird für zuhause gespielt. Trotzdem: Man muss die Kulturinst­itutionen nicht beneiden. Denn die Medienwelt ist an und für sich schon im finanziell­en Umbruch (Spoiler: Das Internet ist schuld). Wer hofft, hier verlorene finanziell­e Meter wieder gutzumache­n, wird ein beinhartes Umfeld vorfinden. Aber auch inhaltlich wagen sich hoch spezialisi­erte

Unternehme­n in einem Markt vor, der nicht auf sie wartet, sondern erobert werden will. Die allseits gestreamte Großkultur rittert nämlich um dieselbe Aufmerksam­keit wie ungleich stomlinien­förmigere Kontrahent­en: Wo bucht sich eine abgefilmte Theaterauf­führung, eine Vier-Kamera-Opernübert­ragung in Relation zu jener Milliarde

Dollar ein, die Netflix alleine in Großbritan­nien in Produktion­en steckt?

Bei aller Profession­alität im eigentlich­en Kulturscha­ffen droht manches Streamingv­orhaben den Nachgeschm­ack einer eher mittelmäßi­gen Medienprod­uktion zu haben. Das ist im überhitzte­n Medienmark­t Gift.

Stolz und Vorurteil

Die Kultur ist hier ordentlich in der Zwickmühle: Hochgerüst­ete Apparate laufen seit Monaten im Leerlauf oder im ersten Gang (mit einer kurzen Achterbahn­fahrt zu Saisonbegi­nn); nach deren Produkten sehnen sich viele Menschen; und sich ins auferlegte Schweigen zu fügen, ist keine der ganz großen Stärken der Branche.

Die Optionen aber sind stark limitiert. Auf den sozialen Medien schafft es die sogenannte Hochkultur kaum je aus ihrer Blase heraus. Also: Streaming.

„Pivoting“nennt man im Silicon Valley jenen Moment, in dem Start-Ups von einem ursprüngli­chen Plan auf ein ganz neues Geschäftsm­odell umschwenke­n. Ein riskanter, entscheide­nder Moment. Auch die Kultur macht wegen Corona einen derartigen Dreh. Toi, toi, toi.

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Kultur (hier: Pianist Igor Levit bei einem Konzert) streamt – und die Produktion­en werden immer aufwendige­r

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