Kurier

„Moralisch bequeme Haltung“

- VON BETTINA RAUSCH

Die Tragödien in griechisch­en Flüchtling­slagern lassen niemanden kalt. Schon gar nicht in der Weihnachts­zeit. Unsere Herzen zerreißt es, unser Bauch verlangt nach Hilfe. Umso schwierige­r ist es, kühlen Kopf zu bewahren, sachlich abzuwägen. Auch für mich. Denn die polihitzig. tischen Diskussion­en sind Kein Wunder, sind wir doch emotional betroffen, und sollten das auch sein. Darüber hinaus wird auch polemisier­t und moralisier­t, Gefühle werden adressiert.

Die große Frage dahinter ist nicht neu – es geht um die ethische Grundlage für politische­s Handeln. Von Cicero über Kant bis Weber wurde darüber philosophi­ert, Letzterer brachte es auf den Punkt mit der Unterschei­dung zwischen Gesinnungs­und Verantwort­ungsethik. Gesinnungs­ethik stellt die reine Absicht einer Handlung und das Eintreten für Werte und Prinzipien ins Zentrum. Verantwort­ungsethik hingegen richtet den Blick auch auf die zu erwartende­n Folgen einer Handlung, deren Verantwort­barkeit determinie­rt die Einordnung. Der Soziologe Max Weber hat die beiden Maximen als „voneinande­r grundversc­hieden, unaustragb­ar gegensätzl­ich“bezeichnet. Dennoch sei möglichst eine Balance zu finden, jedenfalls sei keinem der beiden Zugänge die Legitimitä­t abzusprech­en.

Eine Partei, deren Wurzeln in der christlich-sozialen Tradition und in der Philosophi­e der europäisch­en Aufklärung liegen, neigt naturgemäß einer verantwort­ungsethisc­hen Politik zu. Diesen legitimen Standpunkt moralisier­end und polemisier­end zu verurteile­n, anstatt ihn sachlich zu diskutiere­n, ist intellektu­ell unredlich. Manche, die in der Migrations­frage insgesamt einen verantwort­ungsethisc­hen Zugang haben, lösen das persönlich­e moralische Dilemma dadurch, im Einzelfall gesinnungs­ethisch zu handeln. Eine Teilzeit-Verantwort­ungsethik sozusagen. Motto: „Wir können eh nicht jeden nehmen, aber einige Kinder sollten wir schon zu uns holen.“Wobei sich der Verdacht aufdrängt, dass manche – europäisch­e Regierungs­vertreter – eher einer moralisch bequemen Haltung frönen, als durch konkrete Handlung zu überzeugen. Die Statistik der Aufnahme von Migranten seit 2015 sprechen nicht immer für jene, die jetzt besonders laut sind. Jedenfalls scheint weithin Einigkeit zu herrschen, dass es um ein „Signal der Menschlich­keit“gehe, auch wenn sich dieses Signal nur selbst genügt. Gut fürs Gewissen ist es allemal. Man kann es auch für zynisch halten: Nehmen wir 50 Kinder auf, dann muss sich unser Gewissen nicht weiter mit den Tausenden anderen in Griechenla­nd oder gar den Millionen weltweit beschäftig­en ...

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Die Autorin ist Präsidenti­n der Politische­n Akademie der ÖVP

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