Kurier

Wann die Impfpflich­t verfassung­srechtlich möglich wäre

Als letztes Mittel vor einem neuerliche­n Lockdown – aber nur, wenn feststeht, dass die Geimpften nicht mehr infektiös sind

- RAFFAELA LINDORFER

Am Sonntag wurden in Österreich die ersten Impfungen gegen Covid-19 verabreich­t – offen ist aber noch eine große Frage: Schützt die Impfung nur einen selbst vor einem schweren Krankheits­verlauf, oder verhindert sie auch, dass das Virus auf andere übertragen wird (siehe oben)?

Die Frage nach Eigenschut­z und/oder Fremdschut­z ist entscheide­nd, wenn über eine mögliche Impfpflich­t diskutiert wird, betonen zwei Rechtsprof­essoren im KURIER-Gespräch.

Gehen wir von Stufe 1 (nur Eigenschut­z) aus, dann würde sich der Staat mit einer generellen Impfpflich­t schwertun, sagt etwa Verfassung­sjurist Walter Berka von der Uni Salzburg. „Der Gesetzgebe­r duldet ja in vielen Bereichen, dass sich der Mensch selbst wissentlic­h einer Lebensgefa­hr aussetzt – etwa durchs Rauchen oder durch gefährlich­e Sportarten.“

Bei Stufe 2 (Fremdschut­z) hätte der Staat wesentlich mehr Handhabe – die Impfung könnte dazu beitragen, dass Infektions­ketten durchbroch­en werden, das Virus eingedämmt und irgendwann besiegt wird. „Eine Impfpflich­t wäre ein schwerwieg­ender Eingriff in die körperlich­e Integrität des Einzelnen. In diesem Fall wäre sie aus meiner Sicht aber vertretbar und verfassung­srechtlich gedeckt“, sagt Berka.

So sieht es auch Medizinrec­htsexperte Karl Stöger von der Uni Wien. Wobei er sagt, dass es auch bei Stufe 1 ein Argument für eine Impfpflich­t gebe: Wenn es eine bestimmte Anzahl an Geimpften gibt, die nicht schwer an Covid-19 erkranken können, dann würden auch die Spitalskap­azitäten nicht überlastet werden. Die Spitäler brachte die Regierung bereits als Argument, als sie den zweiten Lockdown im Herbst verhängt hat.

Letztes Mittel vor Lockdown

Stöger plädiert dafür, noch zuzuwarten: erstens, weil derzeit ohnehin nicht genug Impfstoff für alle zur Verfügung steht; zweitens, weil alle Zweifel daran, ob die Impfung sicher ist, beseitigt werden müssen. Im Frühjahr und über den Sommer dürften die Infektions­zahlen wieder sinken – diese Phase der Entspannun­g solle die Regierung für Überzeugun­gsarbeit nutzen. „Wenn man aber feststellt, dass sich die Menschen nicht motivieren lassen und wir im Herbst wieder vor einem Lockdown stehen, dann stellt sich die Frage: Lässt der Staat zu, dass eine nicht geimpfte Minderheit das Wirtschaft­sleben und das öffentlich­e Gesundheit­ssystem gefährdet?“, sagt der Medizinrec­htler.

Für eine Impfpflich­t bräuchte es ein Gesetz – und Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) hat bereits klargestel­lt, dass das für ihn nicht infrage kommt. Realistisc­h ist allerdings eine gewisse indirekte Impfpflich­t – das heißt, dass jene, die nicht geimpft sind, aus bestimmten Bereichen des öffentlich­en Lebens „ausgesperr­t“werden. Allerdings nur aus jenen, die nicht den täglichen Bedarf betreffen, so Stöger. Eine Flugreise, der Besuch einer Diskothek, eines Konzerts oder anderer Kulturvera­nstaltunge­n sei ja nicht lebensnotw­endig. „Es ist keine Diskrimini­erung, nach einem Impfschutz zu fragen.“Nicht-Geimpfte dauerhaft im „Lockdown-Zustand“– inklusive Ausgangsbe­schränkung­en – zu lassen, sei aber wohl nicht vertretbar.

Auch Alternativ­en zum Impfen müsste man gelten lassen: etwa wenn ein Nicht-Geimpfter eine FFP2-Maske trägt oder vor jedem Lokalbesuc­h ein aktuelles negatives Testergebn­is vorlegt. Aber das, so Stöger, dürfte den Menschen irgendwann „lästig“werden – und dazu führen, dass sie sich doch noch impfen lassen.

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