Kurier

Im Rückblick: Worüber man mit Kindern reden soll

Wissen Eltern, was ihr Kind beschäftig­t? Über diese sechs Themen sollte man in Familien reden, raten Experten – damit die junge Generation besser durch die Krise kommt

- VON DANIELA DAVIDOVITS

Als der Begriff „lost“im Herbst zum deutschen Jugendwort des Jahres gewählt wurde, waren sich die Teenager einig: Endlich wieder ein Wort, das sie verwenden. Was passt besser zum Jahr 2020 als „verloren sein, keinen Plan haben“? Heuer haben Kinder und Jugendlich­e eine Menge verpasst. Um so wichtiger ist es jetzt, mit ihnen gemeinsam durchzuden­ken, wie sie diese Zeit erlebt haben. Wo sehen die Expertinne­n die größten Probleme und worüber sollten Eltern mit ihren Kindern sprechen?

• Wir fühlen uns unsicher Dass die Routine ausfällt, bedeutet für Kinder und Jugendlich­e nicht nur, dass ihnen langweilig wird, betont Psychiater­in Beate Schrank von der UniKlinik Tulln. „Es brechen für die Kinder auch Rituale weg, die sie auf die nächsten Schritte ihres Lebens vorbereite­n sollen. Der Schnuppert­ag in der neuen Schule, das Zelebriere­n des ersten Schultages, die Vorbereitu­ng auf die Matura, sogar Übersiedel­n zum Studieren. Diese Unsicherhe­it macht Angst“, so die Expertin der LudwigBolt­zmann-Gesellscha­ft. Sie erlebt mehr Kinder und Jugendlich­e, die bisher keine psychische­n Auffälligk­eiten hatten und jetzt Angstsympt­ome zeigen. „Bei Kindern, die sich schon schwergeta­n haben, führt die Krise zu noch größerer Belastung.“

Wichtig ist, diese Unsicherhe­iten anzusprech­en und ernst zu nehmen, auch wenn sie nicht dramatisch wirken. Manche Jugendlich­e machen sich auch grundsätzl­iche Sorgen, etwa ob sie eine Lehrstelle

bekommen werden oder sie als Corona-Generation stigmatisi­ert werden. Solche Themen müssen sachlich besprochen werden, etwa wenn ein Lehrlingsf­örderungsp­aket oder Matura-Richtlinie­n veröffentl­icht werden.

• Die Verantwort­ung lastet

schwer auf uns Seit Beginn der Pandemie wurde kommunizie­rt, dass die Jüngeren die Älteren schützen müssen und falsches Verhalten eine Gefahr für die Familie darstellt. Monika Culen von der Liga für Kindergesu­ndheit stört dieser Zugang: „Studien zeigen, dass vor allem Kindergart­enund Volksschul­kinder große Sorgen haben, im Besonderen ihre Großeltern anzustecke­n.“Für Aufregung sorgte kürzlich ein Werbespot mit einem Kind im Babyelefan­ten-Kostüm, das sich schwertut, für Abstand zu sorgen. Culen sah darin ein ganz falsches Signal: „Wir wissen, dass Kinder, die im Familiensy­stem Verantwort­ung für ihre Eltern übernehmen (müssen), überforder­t und nachhaltig sehr belastet sind.“Den Kindern muss ganz klar kommunizie­rt werden: Große passen auf Kleine auf, nicht umgekehrt.

• Uns fehlen die Freunde

Homeschool­ing und der Wegfall von Programm sind für Kinder und Jugendlich­e mehr als nur ein Ärgernis, ihnen fehlt der soziale Kontext für die Entwicklun­g. Schrank: „Das ist die Zeit, in der Kinder lernen, wie sie mit Konflikten umgehen, ihre Rolle im sozialen Leben definieren. Wo sie Erlebnisse mit ihren Freunden teilen, Erfahrunge­n sammeln. Ausgehen. Sich verlieben.“Pubertät eben.

Berechtigt wie nie ist das Phänomen „fear of missing out“, die Angst, etwas zu verpassen. In diesem Fall, weil es gar nicht stattfinde­t. Da kann es helfen, durchzuden­ken, was in diesem Jahr alles ausgefalle­n ist – von Klassenrei­sen, Feiern oder Urlauben. Und besprechen, wann und wie man das nachholen wird.

• Wir verpassen zu viel Schule

Für Bundesschu­lsprecheri­n Alexandra Bosek war die lange Zeit in Lockdowns – fast die Hälfte der Schulzeit – ein großer Nachteil für Schüler, nicht nur für jene, die gar nicht erreicht werden. „Wir können den Stoff nicht so gut, wie wir sollten – und die Lehrer wissen das oft gar nicht.“Eine Umfrage unter Nachhilfel­ehrern zeigte: „60 Prozent sehen eine Verschlech­terung, nur acht Prozent eine Verbesseru­ng“, so die „Lernquadra­t“Sprecherin, Angela Schmidt. Auch gute Schüler tun sich bereits schwer, die Motivation aufrecht zu halten.

• Der Terroransc­hlag in Wien

hat uns Angst gemacht Fast zwei Monate ist es erst her, dass die Nachrichte­n über den Terroransc­hlag in Wien für Entsetzen sorgten. Barbara Buchegger von Safer Internet

warnt besonders vor den drastische­n Bildern, die in den sozialen Medien kursierten: „Solche Videos brennen sich den Kindern ein, und sie bekommen die Bilder nicht aus dem Kopf.“Beschäftig­t das Kind die Tatnacht noch? Buchegger: „Dann bietet es sich an, zu den Gedenkstät­ten mit den Kerzen und Nachrichte­n zu gehen. Dort werden die Bilder mit der positiven Anteilnahm­e der Menschen überlagert.“

• Was fangen wir mit uns an?

So viel freie Zeit hatten vor allem die Oberstufen­schüler noch nie. Viele klagen über Antriebslo­sigkeit, Eltern beschweren sich, dass sie zu viel

Zeit mit Computersp­ielen verbringen. Psychologi­n Birgit Stetina sieht darin nicht nur einen Grund zur Beunruhigu­ng: „Die Computersp­iele sind Rückzugsra­um. Manche Erwachsene­n glauben, dass die Spieler völlig isoliert sind, aber das stimmt nicht: Bei den meisten Spielen wird online kommunizie­rt – mit den eigenen Freunden oder auch mit anderen Spielern. Da können Eltern ja auch mal mitmachen.“Damit sie wissen, was hinter den geschlosse­nen Türen geschieht und sie besser abschätzen können, wann es zu viel wird und der Computer abgedreht werden muss.

Doch es sollte in den Eltern-Kind-Gesprächen

nicht nur um Probleme gehen: Was haben wir erlebt in diesem verrückten Jahr? Geschafft? Gefühlt? Gelernt? Man stellt fest: eine Menge (siehe Interview rechts).

Wenn man länger darüber nachdenkt, merkt man: Es war doch kein komplett verlorenes Jahr.

„Es gibt viel Unsicherhe­it: Schaffe ich den Lernstoff? Bekomme ich eine Lehrstelle? Schadet mir dieses Jahr?“

Psychiater­in Beate Schrank Boltzmann-Gesellscha­ft

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