Kurier

Plus-Minus: Ein Jahr Türkis-Grün

Wie es der Koalition in den vergangene­n zwölf Monaten ergangen ist

- VON RAFFAELA LINDORFER UND DANIELA KITTNER

Bilanz. Am 7. Jänner 2020 wurde die türkis-grüne Koalition angelobt. Das Regieren haben sich die Parteien zu diesem Zeitpunkt wohl anders vorgestell­t. Denn schon ein paar Wochen nach der Angelobung stand der Kampf gegen die Pandemie im Mittelpunk­t der Arbeit: Am 25. Februar wurden die ersten Fälle in Österreich publik. Viele der präsentier­ten Pläne fielen Corona zum Opfer. Wie haben sich die Regierungs­mitglieder – auch abseits der Virus-Bekämpfung – seither geschlagen? Der KURIER zieht Bilanz.

Deutschlan­d

Auch die Grünen in Deutschlan­d schauten auf die Regierung in Österreich. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Wahlen im eigenen Land: Am 26. September wird der Deutsche Bundestag neu gewählt. Macht ist für die Grünen kein „Igitt“-Begriff mehr. Sie wollen mitregiere­n. Allerdings anders als in Österreich. Sie gehen auf Distanz zu Türkis-Grün. Rein rechnerisc­h stünde Schwarz-Grün in Deutschlan­d bereits jetzt nichts im Weg.

Grund Nummer 1: „Es macht einen Unterschie­d, ob Türkis mit Grün regiert oder mit Blau.“

Grund Nummer 2: „Was wir verhandelt haben, hat Hand und Fuß, Herz und Hirn.“

Was Parteichef Werner Kogler da vor einem Jahr am Bundeskong­ress von der Bühne brüllte, überzeugte 246 von 272 Delegierte­n. Ein beachtlich­es Ergebnis, gilt doch die grüne Basis als schwierig und die ÖVP war kein Wunschpart­ner.

Wie erging es nun den Grünen in ihrem ersten Jahr in der Bundesregi­erung? Wie hat sich die ÖVP in der neuen Konstellat­ion bewährt? Obwohl Corona das türkis-grüne Premierenj­ahr überschatt­ete – eine Bilanz, auch abseits der Pandemie. Bei der ÖVP ist klar: Alles ist auf

Sebastian Kurz zugeschnit­ten – eine mitunter übertriebe­ne Inszenieru­ng inklusive. Aber Kurz ist der Kanzler und Stimmenbri­nger. Seine Partei liegt am Ende dieses Corona-Jahres bei 40 Prozent, und er selbst in der Kanzler-Direktwahl­frage von OGM noch um zehn Prozentpun­kte darüber. Die Bevölkerun­g ist laut OGM sowohl mit dem Corona-Management als auch mit der Regierungs­performanc­e überwiegen­d zufrieden – trotz einiger Flops des ÖVPRegieru­ngsteams.

Vergleichs­weise läppische Formalfehl­er der Finanz reihten sich da an ernsthafte Fehlleistu­ngen im Verfassung­sschutz. Die Bewährungs­proben für Finanzmini­ster Gernot

Blümel beim Budget und für Innenminis­ter Karl Nehammer bei einer BVT-Reform stehen noch aus. Wirtschaft­sministeri­n Margarete

Schramböck (und WKO-Boss Harald Mahrer) haben sich mit dem „Kaufhaus Österreich“als Protagonis­ten einer Digitalisi­erungsoffe­nsive schwer beschädigt. Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher hat nach anfänglich­en Werbeflops

Fuß gefasst. Sie bindet die Sozialpart­ner ein, und diese Unterstütz­ung wird sie auch 2021 dringend benötigen, denn Arbeitslos­igkeit wird das zentrale Problem sein.

Bildungsmi­nister Heinz Faßmann hatte keinen leichten Job, es wird noch einiger Anstrengun­gen bedürfen, die entstanden­en Bildungsde­fizite der Kinder aufzuholen. Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia

Tanner profitiert von der positiven Rolle, die das Bundesheer in der Krise spielt. Frauenmini­sterin Susanne

Raab hingegen könnte bei ihrer Parteifreu­ndin Ingrid Korosec in die Nachschulu­ng gehen – die 80-jährige ÖVP-Seniorench­efin ist Raab in Sachen Feminismus weit voraus. Die Ministerin­nen Elisabeth Köstinger und Karoline Edtstadler sind vor allem Zuarbeiter­innen des Kanzlers.

Im grünen Team spielte Gesundheit­sminister Rudolf Anschober logischerw­eise die zentrale Rolle in der Pandemie. Auch ihm sind Fehler passiert, auch er neigt zur Überinszen­ierung, aber durch seine Besonnenhe­it hat er die Grünen als regierungs­fähige Partei etabliert.

Justizmini­sterin Alma Zadic verhandelt­e jüngst das kontrovers­e Anti-Terror-Paket. Zwar schaffte sie es, die ÖVP-Idee einer „Sicherungs­haft“für Gefährder zu vertagen, das ebenfalls von Türkis gewünschte Gesetz gegen „religiös motivierte extremisti­sche Verbindung­en“brachte ihr dennoch viel Kritik ein, zielt es doch – trotz neutraler Formulieru­ng – klar auf den Islam ab. Demgegenüb­er hängt ein Herzenspro­jekt der Grünen, das Transparen­zpaket, in der Warteschle­ife.

Coronabedi­ngt in den Hintergrun­d gerückt ist die Arbeit von Klimaminis­terin Leonore Gewessler, zuständig für die grünen Leuchtturm­projekte. Sie wird 2021 zeigen müssen, was sie kann. Das Budget für Klimaschut­z-Maßnahmen kann sich jedenfalls sehen lassen.

Und Werner Kogler, Vizekanzle­r? Er ist Motivator und Streitschl­ichter, wenn seine Grünen wieder einmal von den Türkisen in Bedrängnis gebracht wurden. Dann zeigt er intern die grüne Handschrif­t auf, dann ordnet er die Maßnahmen der Regierung im Sinne der Grünen ein – im Prinzip also dasselbe, was er vor einem Jahr auf der Bühne des Bundeskong­resses tat.

Besonders unangenehm für die Grünen war das sture Aussperren von Flüchtling­skindern aus Moria durch die ÖVP (auch Außenminis­ter

Alexander Schallenbe­rg beschädigt­e sich in der Frage). Die Grünen mussten im Nationalra­t entgegen ihrer Überzeugun­g mit der ÖVP und der FPÖ gegen eine Aufnahme stimmen. Koalitions­räson tat hier besonders weh, die Grünen haben in diesem Jahr sehr viel an Pakttreue geleistet.

Die Grünen verschiebe­n ihren für Jahresbegi­nn geplanten Bundeskong­ress. Der offizielle Grund ist Corona. Im Sommer, wenn Menschenan­sammlungen wieder möglich sind, wollen die Delegierte­n zusammenko­mmen. Bis dahin will die Parteiführ­ung den Delegierte­n, die vor einem Jahr mit hochgehalt­enem grünen Kärtchen für die Koalition mit der ÖVP stimmten, etwas vorweisen können. Und sich Debatten darüber, wie sehr sich die Grünen in der Koalition haben unterbutte­rn lassen, ersparen.

Doch da hat Kogler auch ein gutes Argument: Die ÖVP lässt den Grünen im Bund zwar oft wenig Raum. Aber in Wien warf die SPÖ die Grünen gleich ganz aus der Regierung – weil sich einige rote Bezirkskai­ser über ein paar läppische Radwege echauffier­ten.

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Die türkis-grüne Regierung mit den Angelobung­surkunden in der Hofburg: Das erste Jahr haben sich die Minister/innen am 7. Jänner 2020 wohl anders vorgestell­t. Viele Pläne fielen Corona zum Opfer
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