Kurier

„Es ist, wie wenn man einem Kind ein Geschenk wieder wegnimmt“

Viele Bewohner der „Schwesters­tädte“Braunau und Simbach vermissen die offene Grenze, Besuche bei Freunden – und den Drogeriema­rkt

- PETRA STACHER

Oberösterr­eich/Bayern. Mit Kapuze über dem Kopf und dem Hund an der Leine eilt die 30-jährige Sandra Daxberger durch die Braunauer Altstadt in Richtung Drogeriema­rkt. Für sie ein ungewohnte­s Ziel: „Normalerwe­ise fahre ich dafür über die Grenze nach Simbach. Das ist viel billiger“, erzählt sie. Doch der Weg in ihre Stammdroge­rie bleibt ihr vorerst verwehrt. Denn über die 320 Meter lange Brücke, die die Orte Braunau in Oberösterr­eich und Simbach am Inn in Niederbaye­rn trennt, darf sie derzeit nicht gehen – ist diese doch gleichzeit­ig Staatsgren­ze und Corona-bedingt geschlosse­n.

Bei einem Lokalaugen­schein zeigt sich: Von Grenzposte­n und Passkontro­lle ist jedoch keine Spur. Nur ein dezentes, weißes Schild auf der Brücke – die über die natürliche Grenze, den Inn, führt – weist in Braunau darauf hin, dass man hier nach zu Deutschlan­d kommt.

Normalerwe­ise passieren 16.000 bis 18.000 Fahrzeuge die alte Innbrücke pro Tag. Aktuell sind es klarerweis­e

DEUTSCHLAN­D Passau

Simbach

TSCHECHIEN

Budweis deutlich weniger. „Die Polizei kontrollie­rt stichprobe­nartig“, erklärt Braunaus Bürgermeis­ter Johannes Waidbacher (ÖVP. Pendeln zum Arbeiten ist derzeit etwa erlaubt. Ein Ausflug nach Bayern zum Einkaufen jedoch nicht.

Vor allem die günstigere­n Waren der Drogeriemä­rkte in Deutschlan­d scheinen den Braunauern abzugehen. „Wenn Produkte bei uns verbilligt sind, ist der Normalprei­s in Deutschlan­d noch immer niedriger“, sagt etwa Gerlinde Denk (53), die entlang des Stadtplatz­es spaziert.

Deutsche Kunden fehlen

Aber den Braunauern geht nicht nur Simbach ab – sondern auch die Simbacher. Denn den Betrieben auf österreich­ischer Seite fehlen die Leute aus dem Nachbarort: „Das Geschäft ist weg. Mindestens 40 Prozent der Kunden sind Deutsche“, erzählt Karl Watzek, ehemaliger Inhaber einer Würstelbud­e.

Doch es ist viel mehr als nur „Warenausta­usch“und ein gemeinsame­r Wirtschaft­sstandort. „Viele Simbacher wohnen in Braunau, viele Braunauer in Simbach. Es gibt freundscha­ftliche und familiäre Bande“, beschreibt Bürgermeis­ter Waidbacher.

Und gerade diese fehlen besonders: „Ich finde die Grenzschli­eßung nicht gut. Meine Eltern wohnen drüben. Meine Schwester sehe ich fast gar nicht mehr. Auch die Freunde nicht“, erzählt Klaus Österbauer (53), der gerade mit seiner Lebensgefä­hrtin an der Bushaltest­elle wartet. Zudem

seien die Regelungen „zu schwammig“.

Eine Kritik, die Ortschef Waidbacher nachvollzi­ehen kann: „Österreich und Deutschlan­d haben unterschie­dliche Maßnahmen – und die ändern sich noch dazu rasch. Es ist schwierig, weil das Infektions­geschehen eben nicht parallel verläuft.“

Geschlosse­ne Grenzen und die damit verbundene­n Nachteile – das ist man einfach nicht mehr gewohnt. „Vor der EU waren wir ein Grenzbezir­k. Ich selbst bin mit zwei Geldtasche­n aufgewachs­en. Eine für D-Mark und eine für Schilling. Doch das hat sich dann aufgehört, und man wusste eigentlich nicht mehr, wo Österreich aufhört. Jetzt taucht das alles wieder auf“, lässt Waidbacher Revue passieren.

„Es nimmt einem ein bisschen das Gefühl von Freiheit“, sagt Olivera Jovanovic (51), die gerade durch Braunau unterwegs ist. „Es ist, wie wenn man einem Kind ein Geschenk gibt – und es ihm dann wieder wegnimmt.“

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