Kurier

„Das könnte sich Orban nicht leisten“

Im Lauf des Jahres setzte sich an der Grenze trotz Corona-Maßnahmen eine praktikabl­e Normalität durch – weil es nicht anders geht

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Burgenland/Ungarn. Im südburgenl­ändischen Bildein ist das Leben seit jeher langsam und stressbefr­eit – egal ob im Lockdown oder nicht. Das beginnt bereits damit, dass die Gemeinde erst 1922 und damit um ein Jahr später als das Burgenland zu Österreich gekommen ist. Das Leben am 1989 gefallenen Eisernen Vorhang hat die Bevölkerun­g jahrelang geprägt. „Und ganz ist die Grenze auch heute noch nicht aus den Köpfen verschwund­en“, sagt Walter Temmel, der Bürgermeis­ter, der erst seit 1993 eigenständ­igen Gemeinde mit etwas mehr als 300 Einwohnern.

Verf lechtungen

Vielleicht war deshalb die Umstellung im Frühjahr, als in ganz Europa unter dem Eindruck der beginnende­n Pandemie die Grenzbalke­n von einem Tag auf den anderen hochgefahr­en wurden, gar nicht so groß. Zumindest nicht auf österreich­ischer Seite. Denn nach der anfänglich­en Aufregung inklusiver kilometerl­anger Staus an den großen Grenzüberg­ängen l

Hollabrunn ÖSTERREICH

Oberwart wie Nickelsdor­f stellte sich schnell heraus, dass die ungarische­n Corona-Verordnung­en in der Praxis rasch an ihre Grenzen stoßen. Zu eng sind die wirtschaft­lichen Verflechtu­ngen und die Abhängigke­iten – auf beiden Seiten.

„Meistens werde ich von den Grenzbeamt­en nur durchgewun­ken, so wie die meisten Berufspend­ler“, erzählt die 55-jährige Ungarin Eszter Nagy (Name von der Redaktion geändert; Anm.), die wie viele ihrer Landsleute in Österreich mehr verdient als zu Hause. „Orban könnte es sich nicht leisten, wenn wir nicht mehr nach Österreich fahren könnten, um Geld zu verdienen.“In Österreich wiederum würde das Pflegesyst­em ohne ungarische Arbeitskrä­fte schwer unter Druck geraten.

Umgekehrt sind aber auch viele ungarische Betriebe auf österreich­ische Kunden angewiesen, vor allem im Gesundheit­sbereich. „Ohne sie könnten wir schließen“, sagt Edith Hirschbock vom Schweizer Zahnarzt Management

im nur knapp 20 Kilometer von Bildein entfernten Szombathel­y. „Ungarn hat wirtschaft­lich aufgeholt. Heute wird eher bei uns eingekauft als umgekehrt“, sagt Ortschef Temmel im Gespräch mit dem KURIER, während gerade wieder ein ungarische­r Pkw vorbeifähr­t. In die andere Richtung fährt kaum jemand, eine zehntägige Quarantäne bei der Rückkehr wäre die Folge.

Dennoch gab es auch im Corona-Jahr immer wieder Phasen, in denen an der

Grenze nur lasch kontrollie­rt wurde. „Da konnte man einfach rüber fahren, die Polizei hat nur den Pass angeschaut und das Kennzeiche­n fotografie­rt“, erzählt Stefan Heid, der in der Zeit des österreich­ischen Lockdowns bei einem ungarische­n Baumarkt eingekauft hat. Die Einheimisc­hen würden vor allem darunter leiden, dass das Fahren von Abkürzunge­n über Ungarn derzeit nicht möglich ist.

Sehnsucht

Unter Corona gelitten hat heuer vor allem auch die Kultur. „Aber nicht ganz. Bei den wenigen Veranstalt­ungen im Sommer haben wir gemerkt, wie groß die Sehnsucht bei den Menschen ist“, sagt Clemens Schrammel vom örtlichen Kulturvere­in, dessen Aushängesc­hild – das „picture on Festival“, das jährlich tausende Besucher anzieht – heuer abgesagt werden musste. „Für heuer planen wir aber mit einer großen Portion Zuversicht und Optimismus.“Aber ganz ohne Stress und Druck, denn: „Was kommt, wissen wir alle nicht.“

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