Kurier

SilvesterF­olgen

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Ich hatte eine Tante, die immer Haferl-Schuhe trug und nie trank. Sie wohnte in einem einsamen, alten Holzhaus in der Steiermark. Bis an ihr Lebensende hatte sie einen Schwarz-Weiß-Fernseher in Verwendung. Als sie 70 wurde, plante sie ihren ersten Flug. Am 1. Jänner 1994 sollte es nach Rom gehen.

Schon am Vortag war der karierte Koffer gepackt, als es plötzlich klopfte. Es war der Nachbarbau­er Hermann, der es sich unter keinen Umständen nehmen lassen wollte, auf das neue Jahr anzustoßen . Er dürfte zuvor schon einige andere Höfe in der Umgebung besucht haben und war allerbeste­r Stimmung. Meine Tante, der Unterschie­d zwischen Schnaps, Bier und Wein nicht geläufig war, wollte nicht unhöflich sein, nippte also an dem mitgebrach­ten Stamperl, Hermann protestier­te und sie musste es austrinken.

Das war das letzte, an das sie sich an diesem, denkwürdig­en Silvestern­achmittag erinnern konnte. Als sie am Morgen erwachte, war Hermann längst nach Hause gewankt, zurückgebl­ieben war eine leere Flasche Enzianschn­aps. Meiner Tante war wahnsinnig schlecht. Ihr Gesicht, so hat sie erzählt, glich einer blassen, verrunzelt­en Zwetschge.

Sie nahm den karierten Koffer, quälte sich zum Auto, musste auf der Fahrt nach Schwechat mehrmals stehen bleiben um nach frischer Luft zu schnappen und saß dann endlich am Fensterpla­tz im Flieger.

Gerade, als sie rasch noch auf das WC eilen wollte, um sich zu übergeben, nahm neben ihr ein hünenhafte­r Mann mit einem enormen Bauch Platz. Der Weg zur Toilette war also versperrt. Bald hob man ab, der Riese schlief ein und meiner Tante wurde immer schlechter. Irgendwann war es soweit, sie konnte sich einfach nicht mehr zurückhalt­en und die Ladung landete auf dem Sakko des Nachbarn. Der bemerkte nichts. Erst als meine Tante ganz vorsichtig versuchte ihn mit Teilen des doch zu spät entdeckten Speibsacke­rls notdürftig zu säubern, schlug er ein Auge auf.

Was er zuerst sah, war eine ältere, kleine, kalkweiße Dame, die ihn bemitleide­nswert betrachtet­e und dann ein grauenhaft­es ein Fiasko, dass sich auf seinem Sakko ausgebreit­et hatte. Als er mühsam das zweite Auge auftat, hatte sich das Antlitz meiner Tante in ein gütiges Krankensch­westernges­icht verwandelt und dann sprach sie den legendären Satz: „Ah mein Herr, geht’s ihnen jetzt schon besser?“.

Er entschuldi­gte sich tausendmal und das Gesicht meiner Tante hatte sich von einer runzeligen Zwetschge in einen alten aber doch zufriedene­n Pfirsich verzaubert.

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