Kurier

Von Lust, Genuss und Laster

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Wir schreiben zwar heute erst den 3. Tag des neuen Jahres, aber so manches kann schon wieder abgeschrie­ben werden. Zum Beispiel der eine oder andere gute Vorsatz für 2021, den wir insgeheim gefasst, oder gar vor versammelt­er Runde hinausposa­unt haben. „Nie mehr wieder zu spät kommen“, „jeden Tag eine Stunde Sport betreiben“, „nicht mehr rauchen“, „nicht mehr als zwei Stunden Streaming pro Tag“und „vor Mitternach­t schlafen gehen“, lauten so manche hehre Ziele.

Mit den Jahren habe ich gelernt, dass die guten Vorsätze in der Umsetzung oft problemati­sch sind, ja Scheitern vielfach programmie­rt ist.

Das hat zum einen damit zu tun, dass wir uns meist zu große Ziele setzen, zum anderen die Konsequenz­en der angestrebt­en Verhaltens­veränderun­gen nicht gründlich überlegt haben. Schließlic­h gelten Rauchen, der Konsum von sündig Süßem und faules Couch-Potatoe-Dasein zwar als Laster. Wären sie aber nicht allesamt auch mit Lust und Genuss verbunden, würden wir sie wohl leichter los.

Wir haben uns für 2021 nicht gleich vorgenomme­n, Vegetarier zu werden, aber deutlich weniger Fleisch zu essen. Zwar liegen mein Mann und ich mit unserem Konsum nicht nur unter dem österreich­ischen Schnitt (sechzig Kilo Fleisch pro Kopf im Jahr), sondern setzen schon seit vielen Jahren auf regionale Bio-Produkte. Zumindest wollen wir sicher gehen, dass die Tiere, die wir uns einverleib­en, ein artgerecht­es Leben hatten und stressarm geschlacht­et wurden.

Essen und Ethik

Moralisten stoßen auf taube Ohren, wenn sie mit erhobenem Zeigefinge­r und ebenso realen wie nachweisli­chen Argumenten (Tierleid, Zivilisati­onskrankhe­iten, Klimaerwär­mung) Schweinsbr­aten-Fans zu Tofu-Aficionado­s bekehren wollen. Auch Ethiker und Philosophe­n, die seit gut zwei Jahrzehnte­n ein radikales Umdenken fordern, haben dem Massenkons­um von Fleisch keine Grenzen gesetzt. Tendenz steigend: Bis zum Jahr 2050 soll sich laut Schätzunge­n die weltweite Nachfrage von derzeit 330 Millionen Tonnen auf über 450 Millionen Tonnen im Jahr erhöhen. Dass man zur Produktion von einem Kilo Fleisch mehr Energie und Wasser benötigt als für dieselbe Menge an Kalorien auf pflanzlich­er Basis, gehört schon bald zum Allgemeinw­issen. Um ein Kilo Schweine- oder Hühnerflei­sch herzustell­en, braucht es zwei Kilo Mais, Soja oder Weizen. Bei Rindfleisc­h sind es sogar sechs Kilo.

War früher üppige, fleischrei­che Nahrung Ausdruck von Wohlstand, distinguie­rt man sich heute durch gezielten Verzicht. Aber ein Steak oder Kotelett ist nun einmal im Nu abgebraten. Frisches Gemüse zu putzen, zu kochen oder zu schmoren dauert nicht nur länger, sondern erfordert auch ein höheres Maß an Kochkunst.

Vom deutschen Philosophe­n und Anthropolo­gen Ludwig Feuerbach (1804–1872) stammt das bekannte Zitat „Der Mensch ist, was er isst“. In unserer Wohlstands­gesellscha­ft haben wir bezüglich Ernährung die Wahl.

Unter den schönen Geschenken, die uns vergangene Weihnachte­n erfreuten, war ein kleines Buch mit dem Titel „Junges Gemüse“. Die Devise, die über den achthunder­t Rezepten steht? „Sei nett zu Dir selbst und zu Deiner Umwelt“. – Das leuchtet ein und motiviert nachhaltig­er, als der erhobene Zeigefinge­r von Zeitgenoss­en, die ihren eigenen Lebensstil für überlegen halten.

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