2021 wird ein Jahr des Staunens
Es war ein mit überraschend spitzer Feder geschriebener Eintrag, den Riccardo Muti in den ersten Stunden des Jahres in die Stammbücher der Weltpolitik geschrieben hat. „Ich appelliere an alle Staatschefs und Präsidenten dieser Welt, die Kultur endlich wichtig zu nehmen“, sagte der Dirigent während des Neujahrskonzerts.
Und dass selbst dieses versöhnlichste, dieses gutmütigste aller Kulturevents plötzlich eine scharfe Note bekam, war ein perfekter Auftakt für 2021: Es wird das Jahr sein, in dem die Kultur ihren Platz behaupten wird, mit ungewohnt spitzen Zähnen und scharfen Klauen. Man wird sich nicht noch einmal so beiseite wischen lassen, und man wird es wieder mehr würdigen, dieses zivilisatorische Wunder der Kultur.
Dass jeden Abend Hunderte Menschen eine Oper auf die Bühne bringen, und anderswo ein Autor allein um jedes Wort ringt; dass in den Werken aus Vergangenheit und Gegenwart derart zu den Menschen gesprochen wird, dass diese sich und ihren Ort in der Welt besser verstehen; dass jede Generation junger Menschen einen Gutteil ihres Geldes für Livemusik ausgibt und sich in dieser wiederfindet; dass der Drang, sich mit Kultur auseinanderzusetzen, so groß ist, dass er die Notwendigkeiten des Alltags überstrahlen kann.
Also, auf in ein reichhaltiges Kulturjahr, in dem sich an den Bühnen die Premieren stauen werden, in dem man mit Freude die Festivalschuhe vom Schlamm reinigen wird, in dem man einem neuen Jedermann und einer neuen Buhlschaft mit weniger Abgeklärtheit begegnen wird, in dem die Kulturkritik mehr und Dringlicheres zu beschreiben haben wird als „gut gespielt, schlecht gespielt“.
In dem man Blockbusterkino und Sommertheater wieder lieb haben kann und abseitigen Theaterexperimenten mit wohlwollendem Interesse begegnen kann. In dem man den Gedanken mittragen wird, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Es wird ein Jahr des Staunens.