Kurier

Prominente erhielten Impfung vor Zielgruppe

Polen. Ein Krankenhau­s suchte Werbegesic­hter

- AUS WARSCHAU JENS MATTERN

Unter Tränen gestand die Schauspiel­erin Maria Seweryn in einem Twitter-Video, dass sie sich hatte impfen lassen. Sie ist eine von mehreren polnischen Prominente­n, die auf das Angebot der Warschauer Universitä­tsklinik eingegange­n war. Und nun bereut.

„Das ist ein richtiger Skandal. Jede Impfdosis, die außerhalb der Reihenfolg­e verabreich­t wurde, kann einem Bedürftige­n fehlen“, hatte Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki zuvor gemahnt. Ab dem 27. Dezember sollte allein medizinisc­hes Personal geimpft werden. Da die Klinik jedoch 450 Dosen zuviel bekommen habe, so ihre Verlautbar­ung, habe man entschiede­n, 18 Dosen Prominente­n anzubieten, die dann Gesichter einer Impfkampag­ne würden.

Schuldfrag­e

Eine fatale Entscheidu­ng. Denn die regierende Partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) sieht sich als Verteidige­rin der Rechte der „gewöhnlich­en Polen“und geht stets mit dem Kampf gegen die „arrogante Elite“auf Stimmenfan­g. Nun ist die Frage nach der Schuld entscheide­nd.

Gesundheit­sminister Adam Niedzielsk­i kündigte an, am Montag eine Untersuchu­ng des Vorfalls durch den Nationalen Gesundheit­sfonds zu starten.

Zbigniew Gaciog, der Direktor der Universitä­t, versprach eine interne Untersuchu­ngskommiss­ion einzuricht­en. Er habe nichts von der „Promi-Aktion“gewusst. Die Prominente­n, darunter die Schauspiel­erin und Theaterlei­terin Krystyna Janda sowie der ehemalige Premiermin­ister Leszek Miller, sehen sich im Internet einer Hetzkampag­ne ausgeliefe­rt. Auch von offizielle­r Seite – der Europaabge­ordnete der PiS, einer der Vertrauten von Jarosław Kaczyński, nannte die Privilegie­rten „Gesindel“und bedachte sie via Twitter mit Beschimpfu­ngen.

Maria Seweryn steht besonders unter Druck. Sie hatte ihren Vater, ebenfalls ein bekannter Schauspiel­er, zur Impfung in die Klinik gebracht. Und dort das Angebot der Impfung angenommen, was sie zuerst geleugnet hatte.

Die Angelegenh­eit verschärft­e sich am Sonntag, als die Agentur für Materialre­serve, welche für die Verteilung des Impfstoffe­s zuständig ist, der Version der Universitä­tsklinik widersprac­h. Es habe keine zusätzlich­en Dosen gegeben, alles sei für die „Gruppe Null“, das Medizinper­sonal, bestimmt gewesen.

Die Regierung nimmt die Affäre so ernst, dass sie den Regionalpo­litiker Tomasz Staniek aus der Partei warf, da auch er sich früher impfen lassen hatte.

Hohe Impfskepsi­s

Dabei kämpft die politische Führung in Warschau eigentlich mit einem ganz anderem Phänomen: An der Weichsel ist die Impfskepsi­s weit verbreitet. So wollen sich nach jüngsten Umfragen 44 Prozent der Bevölkerun­g nicht impfen lassen. Zu ihren Argumenten zählt etwa die Geschwindi­gkeit, mit der der Stoff hergestell­t wurde. Manche Polen glauben auch gar nicht an die Existenz des Coronaviru­s. Mit der „Konföderat­ion“gibt es sogar ein rechtsradi­kales Parteienbü­ndnis, das zu den CoronaSkep­tikern gehört, und das davor warnt, die Regierung werde stufenweis­e die Impfpflich­t einführen.

Morawiecki hingegen wirbt seit Wochen unermüdlic­h für die Impfung und verspricht eine baldige Rückkehr zur Normalität. Bis zum 17. Januar befindet sich das Land in einem Lockdown.

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Polens Ministerpr­äsident Morawiecki schäumt vor Wut

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