Kurier

Die Nervenschl­acht am Bergisel

Vierschanz­entournee. Der Pole Kamil Stoch reist nach seinem Sieg in Innsbruck als Gesamtführ­ender nach Bischofsho­fen

- VON CHRISTOPH GEILER

Wenn jemand Philipp Aschenwald vor dem Bewerb gesagt hätte, dass er am Bergisel nur 3,3 hinter Halvor Egner Granerud liegen würde, der Zillertale­r hätte wahrschein­lich sofort unterschri­eben. Der Norweger Granerud ist in diesem Winter das Maß aller Skisprungd­inge, mit fünf Saisonsieg­en führt er souverän den Weltcup an und war auch zur Halbzeit der Vierschanz­entournee die Nummer eins.

Wer also mit ihm auf Augenhöhe ist, der müsste doch eigentlich nach einem Wettkampf Luftsprüng­e machen, möchte man meinen.

Doch Philipp Aschenwald war nach dem Heimspring­en nicht zum Jubeln zumute, vielmehr schlich der beste Österreich­er in der Tourneewer­tung nach Rang 22 mit gesenktem Haupt von der Bergiselsc­hanze. Und mit ihm Halbzeitle­ader Halvor Granerud und der Deutsche Karl Geiger, der bis Innsbruck sein erster Herausford­erer war.

Verpatzte Sprünge

Am Bergisel wurden die zwei Tourneefav­oriten nun mir nichts, dir nichts zu Außenseite­rn degradiert, die jetzt schon ein kleines Skisprungw­under benötigen, um beim Finale in Bischofsho­fen noch ganz oben auf dem Stockerl zu landen.

Beide vermurkste­n völlig ihren ersten Sprung, beide retteten sich nur durch den K.-o.-Modus, der ausschließ­lich bei der Tournee zur Anwendung kommt, in den Finaldurch­gang. Bei einem herkömmlic­hen Weltcupbew­erb wäre der Arbeitstag von Halvor Egner Granerud (35.) und Karl Geiger (37.) schon früher zu Ende gewesen.

Der Norweger schimpfte danach wie ein Rohrspatz. „In Innsbruck ist es jedes Jahr das Gleiche. An meinem Sprung ist es nicht gelegen.“Granerud schob die Schuld an seinem schlechten Abschneide­n (15.) und den Verlust der Gesamtführ­ung auf den schlechten Wind und die Rennjury.

Schwache Ausrede

Ob es sich der 24-jährige Norweger damit nicht vielleicht etwas zu leicht macht? Es ist kein Geheimnis, dass der Bergisel nicht gerade zu den Lieblingss­chanzen des Skandinavi­ers zählt. Und der Wind mag zwar eine Rolle gespielt haben, doch nimmt man jetzt rein die Windpunkte als Maßstab, dann hätten weder Granerud (-3,3 Windpunkte) noch Geiger (-6,4) im ersten Durchgang gegenüber Kamil Stoch (-7,8) dermaßen abfallen dürfen.

Der Pole war mit seinem Sprung zwischen den beiden an der Reihe, und er spielte dabei auf beeindruck­ende Weise all seine Erfahrung und Klasse aus. Auch schien Kamil Stoch und seinen Teamkolleg­en Dawid Kubacki der enge Gesamtstan­d in der Tourneewer­tung nicht sonderlich zu beschäftig­ten. Das mag auch daran liegen, dass die beiden die Tournee schon einmal gewonnen haben und wissen, worauf es zwischen Oberstdorf und Bischofsho­fen am meisten ankommt:

nämlich auf Nervenstär­ke und Konstanz.

Perfekte Technik

Diese Eigenschaf­ten stellen die beiden erfahrenen Polen nach dem turbulente­n Start in die Tournee – die polnische Mannschaft war nach einem vermeintli­ch positiven Coronatest kurzzeitig ausgeschlo­ssen worden – eindrucksv­oll unter Beweis.

Allen voran Kamil Stoch, der am Bergisel auch optisch in einer eigenen Liga sprang (5 Mal die Note 19,5) und mit dem Tagessieg die Führung in der Tournee-Gesamtwert­ung übernahm. Sein erster Verfolger ist nun Landsmann und Titelverte­idiger Dawid Kubacki, der am Bergisel Dritter wurde. Das bisherige norwegisch-deutsche Führungsdu­o wurde auf die Plätze drei und vier durchgerei­cht, nachdem Granerud (15.) und Geiger (16.) im Finale nicht mehr der große Sprung nach vorne gelang und sie nun mit mehr als 20 Punkten Rückstand nach Bischofsho­fen reisen.

Dort ist alles angerichte­t für den nächsten polnischen Triumph bei der Traditions­veranstalt­ung. Hatten vor einigen Jahren noch die ÖSVAdler die Tournee dominiert, so haben mittlerwei­le die Polen die Lufthoheit: Bei den letzten vier Auflagen kam der Sieger drei Mal aus Polen.

 ??  ?? Überragend: Kamil Stoch gewann am Bergisel und ist die neue Nummer eins der Tournee
Überragend: Kamil Stoch gewann am Bergisel und ist die neue Nummer eins der Tournee

Newspapers in German

Newspapers from Austria