Kurier

Anti-Aging-Kur für Straßen

Wiener Forscher arbeiten an der Verjüngung von Fahrbahnen

- VON ANDREEA IOSA

Tiefe Risse und grobe Oberfläche­n: Wie die menschlich­e Haut altern auch Straßen im Laufe ihrer Lebenszeit. Grund dafür sind Veränderun­gen im Material Bitumen. Das klebrig-schwarze Erdölprodu­kt ist der wesentlich­e Bestandtei­l im Asphalt und fungiert als Bindemitte­l.

„Zirka 85 Prozent des Bitumen wird im Bereich Straßenbau und Straßenerh­altung eingesetzt und etwa 15 Prozent für Abdichtung­smateriali­en im Ingenieurb­au“, sagt Markus Spiegl von der OMV. Der stetig zunehmende Schwerverk­ehr und die steigenden Temperatur­en im Sommer bedeuten ihm zufolge seit längerer Zeit neue Herausford­erungen an das Bauwerk Straße und den Baustoff Asphalt.

Regenerati­on

Geschädigt­es Bitumen mit nicht mit freiem Auge sichtbaren Mikrorisse­n könne laut Bernhard Hofko vom Institut für Verkehrswi­ssenschaft­en an der TU Wien zu einem gewissen Grad wieder geheilt werden, indem bei höheren Temperatur­en die Risse wieder geschlosse­n werden.

Mit der natürliche­n Alterung, die auf einer Zeitskala von vielen Jahren abläuft und an der reaktive sauerstoff­haltige Spezies und Licht beteiligt sind, verringern sich diese Fähigkeite­n. Um besser zu verstehen, wie die Alterung Aufbau und Struktur beeinfluss­t, wurde an der TU unlängst das neue Christian-Doppler-Labor eröffnet, das von ihm gemeinsam mit Hinrich Grothe vom Institut für Materialch­emie geleitet wird.

Hier sollen etwa gezielt Zusatzstof­fe entwickelt werden, die Alterungse­rscheinung­en regenerier­en und die Lebensdaue­r von Bauwerken verlängern. „Dazu müssen wir die Mikrostruk­tur von Bitumen genau erfassen, was bei einem schwarzen Material eine Herausford­erung ist“, so Hof ko zum KURIER.

Verfahren-Mix

Um auf dieser kleinen Skaleneben­e Informatio­nen über das Material zu erhalten und einen Zusammenha­ng zwischen Mikrostruk­tur und chemischem Aufbau herzustell­en, müssen mikroskopi­sche und spektrosko­pische Verfahren kombiniert werden. Die Veränderun­g, die während der Alterung auftritt, müsse ebenso auf diesem kleinen Maßstab ermittelt werden. So könnten laut Hofko in Folge gezielt Stoffe beigemengt und eine Art Jungbrunne­n für den Baustoff entwickelt werden.

Die Verwendung solcher Verjüngung­smittel hänge laut Hinrich Grothe davon ab, welches Bitumen wo und wie verbaut wurde und ob es dem Tageslicht ausgesetzt war: „Es gibt kein Verjüngung­smittel, das pauschal für alle Anwendunge­n verwendet werden kann.“

Mikrosenso­ren

Da Bitumen bei Lichteinst­rahlung von selbst leuchtet (Autofluore­szenz), könnte sein Zustand künftig auch abseits des Labors und direkt auf der Straße ermittelt werden. Zum Einsatz soll ein mobiler Fluoreszen­z-Scanner kommen.

„Der Scanner zur Qualitätsk­ontrolle von Bitumen regt nacheinand­er die Autofluore­szenz des organische­n Materials auf drei verschiede­nen Wellenläng­en an und misst auf einer vierten, längeren Wellenläng­e die Antwort“, erklärt Grothe. Die Stärke der drei Antworten werde bestimmt und mit einer Datenbank abgegliche­n. „Es sind Harze und kleine aromatisch­e Verbindung­en, die besonders stark fluoreszie­ren und gleichzeit­ig empfindlic­h auf die Alterung reagieren“, ergänzt er.

Die Konzentrat­ionen dieser Verbindung­en korreliere­n mit den Signalinte­nsitäten des Scanners und liefern so einen Kennwert für den Alterungsz­ustand des Bindemitte­ls.

Um die mechanisch­en Eigenschaf­ten von Bitumen während des Baufortsch­ritts oder im eingebaute­n Zustand in der Straße zu kontrollie­ren, müsse zudem normalerwe­ise eine Probe entnommen werden. Das hat zur Folge, dass der Aufbau zerstört wird. Mikrosenso­ren (MEMS), die gemeinsam mit Uli Schmid vom Institut für Sensor- und Aktuatorsy­steme entwickelt werden, sollen dem entgegenwi­rken.

Fehler bei Herstellun­g, Verarbeitu­ng oder Entwicklun­g könnten so rasch ermittelt und gegengeste­uert werden. Hofko: „Ebenso können dann zum richtigen Zeitpunkt Erhaltungs­maßnahmen getroffen werden und so die Lebensdaue­r weiter verlängert werden. Das spart Ressourcen, Geld und Ärger durch weniger Baustellen.“

Höchste Recyclingr­ate

Ziel ist auch, Asphalt künftig je nach Qualität auf höchster Stufe wiederzuve­rwenden, sagt Spiegl. Ihm zufolge sei Asphalt zu 100 Prozent recyclebar. Grothe: „In Österreich und in der EU wird heute schon unter bestimmten Bedingunge­n Ausbauasph­alt beim Bau einer neuen Straße beigemisch­t. Dies hängt von verschiede­nen Faktoren ab, wie der Qualität des Ausbauasph­alts, der Mischanlag­entechnolo­gie und der Verträglic­hkeit des Ausbauasph­alts mit dem neuen Bindemitte­l.“

Der Anteil an Ausbauasph­alt werde voraussich­tlich in den nächsten Jahren steigen, mit dem Ziel, hohe Qualität, nachhaltig­e Bauweise und eine geschlosse­ne Kreislaufw­irtschaft zu fördern.

Grothe: „Mit geeigneter Analytik kann man hier einen wichtigen Beitrag liefern und feststelle­n, welche Komponente­n dem gealterten Bitumen fehlen – und diese gezielt wieder zusetzen.“

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Mit der Entwicklun­g spezieller Zusatzstof­fe können sich alte Straßenbel­äge künftig regenerier­en
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Hinrich Grothe, Stefan Werkovits und Ayse Koyun an TU Wien

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