Die Zukunft und die Großmütter
Manchmal komme ich aus dem Staunen nicht heraus: Auch in diesen Tagen des (hoffentlich!) Jahres Eins des Endes – wenn schon nicht „nach“– der Pandemie haben Astrologen, Wahrsager und Zukunftsforscher Hochkonjunktur.
Verwunderlich – denn im Vorjahr sind alle falsch gelegen. Die Zukunftsforschung will mit „mehr Digitalisierung, auch die Schule wird ganz anders“punkten: Vor einem Jahr wäre diese Voraussage genauso wahr, ihr Eintreffen aber umso überraschender gewesen und wohl deshalb ist sie unterblieben.
Auch „mehr Homeoffice“wird prognostiziert: Was Wunder, die Pandemie lehrte unternehmerisch findige Geister (kühle Rechner?) eben auch, wie man teure Büromieten einsparen kann.
Wir lernen: Auch wissenschaftliche Zukunftsprognosen können nur Althergebrachtes fortschreiben und werden von der Realität überholt – siehe Pandemie-Jahr. (Das Paradigma „Zukunft ist verlängerte Gegenwart“durchbricht nur die Genderforschung: Sie ist wirklich kühn – ihre Gegenwartsdeutung von 62 existierenden Geschlechtern wird auch die Zukunft niemals einholen können.)
Hoch seriös
Die Sterne, deren schwacher Schein zu jeder Jahreswende als Anker der Zukunftshoffnung gilt, die Sterne also sind heuer hoch seriös. Nicht das Auftauchen des Traumprinzen kündigen sie an (schon wieder nicht...), sie deuten vielmehr darauf hin, dass sich die Politik stark verändern müssen wird und „uns nicht mehr sagen kann, was wir zu tun haben“– also kein Lockdown mehr?
Aber so konkret wird’s zwischen dem Sextil mit dem Mond im siebenten Haus und dem Aszendenten Skorpion im Zeichen des Löwen eben auch wieder nicht.
Und nicht zu vergessen: Wir sind dem Erdzeitalter entkommen und ins Luftzeitalter eingetreten und das noch dazu im Age of Aquarius, dem Wassermannzeitalter – für uns geborene Blumenkinder eine schöne Erinnerung an die Zeit, als das Leben nur Zukunft war.
Unvorhersagbar. Alles-versprechend. Voll der Wunder.
Und – ich lass es mir auch mit meinen 70 nicht nehmen: Das ist immer noch so.
Vielleicht verspricht sie nicht mehr alles, aber vieles. So viel, wie ich auch offen bin anzunehmen.
Kleine Wunder
Vielleicht nicht voll der großen, sicher aber der kleinen Wunder. Das reicht von „Oh Wunder, heute bin ich ohne Kreuzschmerzen aufgewacht“über das Wunder, dass die Bäume auch heuer wieder blühen werden, bis zum Wunder eines neuen Enkels, eines neuen Freundes, einer neuen Liebe. Unvorhersagbar eben. Die Seher waren immer schon rar (und oft auch blind wie Teiresias).
Da war Nostradamus, der sah und sprach in Rätseln.
Und bis in die 1990er Jahre gab es die Bulgarin Baba Wanga. Sie war blind und hellsichtig.
Sie sagte für 2021 voraus, dass ein Drache die Welt übernehmen würde. China eben.
Und dass sie Recht hatte, sollte gerade uns nicht wundern.
„Baba“heißt Großmutter. Und Großmütter sind nun mal die besten.
***
Ruth Pauli ist alt (70) und schreibt gerne. Früher war sie innenpolitische Kolumnistin des KURIER altnaund@kurier.at