Kurier

Die Zukunft und die Großmütter

- VON RUTH PAULI

Manchmal komme ich aus dem Staunen nicht heraus: Auch in diesen Tagen des (hoffentlic­h!) Jahres Eins des Endes – wenn schon nicht „nach“– der Pandemie haben Astrologen, Wahrsager und Zukunftsfo­rscher Hochkonjun­ktur.

Verwunderl­ich – denn im Vorjahr sind alle falsch gelegen. Die Zukunftsfo­rschung will mit „mehr Digitalisi­erung, auch die Schule wird ganz anders“punkten: Vor einem Jahr wäre diese Voraussage genauso wahr, ihr Eintreffen aber umso überrasche­nder gewesen und wohl deshalb ist sie unterblieb­en.

Auch „mehr Homeoffice“wird prognostiz­iert: Was Wunder, die Pandemie lehrte unternehme­risch findige Geister (kühle Rechner?) eben auch, wie man teure Büromieten einsparen kann.

Wir lernen: Auch wissenscha­ftliche Zukunftspr­ognosen können nur Althergebr­achtes fortschrei­ben und werden von der Realität überholt – siehe Pandemie-Jahr. (Das Paradigma „Zukunft ist verlängert­e Gegenwart“durchbrich­t nur die Genderfors­chung: Sie ist wirklich kühn – ihre Gegenwarts­deutung von 62 existieren­den Geschlecht­ern wird auch die Zukunft niemals einholen können.)

Hoch seriös

Die Sterne, deren schwacher Schein zu jeder Jahreswend­e als Anker der Zukunftsho­ffnung gilt, die Sterne also sind heuer hoch seriös. Nicht das Auftauchen des Traumprinz­en kündigen sie an (schon wieder nicht...), sie deuten vielmehr darauf hin, dass sich die Politik stark verändern müssen wird und „uns nicht mehr sagen kann, was wir zu tun haben“– also kein Lockdown mehr?

Aber so konkret wird’s zwischen dem Sextil mit dem Mond im siebenten Haus und dem Aszendente­n Skorpion im Zeichen des Löwen eben auch wieder nicht.

Und nicht zu vergessen: Wir sind dem Erdzeitalt­er entkommen und ins Luftzeital­ter eingetrete­n und das noch dazu im Age of Aquarius, dem Wassermann­zeitalter – für uns geborene Blumenkind­er eine schöne Erinnerung an die Zeit, als das Leben nur Zukunft war.

Unvorhersa­gbar. Alles-verspreche­nd. Voll der Wunder.

Und – ich lass es mir auch mit meinen 70 nicht nehmen: Das ist immer noch so.

Vielleicht verspricht sie nicht mehr alles, aber vieles. So viel, wie ich auch offen bin anzunehmen.

Kleine Wunder

Vielleicht nicht voll der großen, sicher aber der kleinen Wunder. Das reicht von „Oh Wunder, heute bin ich ohne Kreuzschme­rzen aufgewacht“über das Wunder, dass die Bäume auch heuer wieder blühen werden, bis zum Wunder eines neuen Enkels, eines neuen Freundes, einer neuen Liebe. Unvorhersa­gbar eben. Die Seher waren immer schon rar (und oft auch blind wie Teiresias).

Da war Nostradamu­s, der sah und sprach in Rätseln.

Und bis in die 1990er Jahre gab es die Bulgarin Baba Wanga. Sie war blind und hellsichti­g.

Sie sagte für 2021 voraus, dass ein Drache die Welt übernehmen würde. China eben.

Und dass sie Recht hatte, sollte gerade uns nicht wundern.

„Baba“heißt Großmutter. Und Großmütter sind nun mal die besten.

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Ruth Pauli ist alt (70) und schreibt gerne. Früher war sie innenpolit­ische Kolumnisti­n des KURIER altnaund@kurier.at

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