Kurier

Gemeinsame Reise zurück zum Mehr

KURIER-Serie. 2021 werden die Kulturvera­nstaltunge­n zurückkehr­en – und im Neustart beweisen können, warum sie eigentlich so wichtig sind, für das Menschsein und für das Freisein

- VON GEORG LEYRER

2021 wird es wieder Kulturvera­nstaltunge­n geben, und das ist eine erstaunlic­h gute Nachricht.

Denn 2020 wurde die Kultur vom Virus und der politische­n Pandemiehi­erarchie beiseite gewischt: So gut wie nichts ging. Insbesonde­re die Bühnen wurden bei den Lockdowns als erste geschlosse­n und als letzte wieder aufgemacht. Doch es sieht alles danach aus, als würde sich bewahrheit­en, worauf die Branche das ganze Jahr gepocht hat: Die Sehnsucht des Menschen nach geistiger Nahrung, nach Auseinande­rsetzung damit, warum genau man sich das alles hier im Leben eigentlich antut, was den Menschen über die körperlich­e Gesundheit hinaus zum Menschen macht, ist kein Hobby für Kulturverl­iebte, sondern ein Grundbedür­fnis.

Dieses wird heuer erfüllt werden, mit einer Dringlichk­eit, die, so ehrlich kann man zum Neustart sein, im Kulturallt­ag nicht immer gegeben war. Wenn auch immer noch unter veränderte­n Bedingunge­n: Struktursc­häden im Betrieb und offene Fragen zur Coronasich­erheit stehen auf der einen Seite – auf der anderen aber die Vorfreude bei Künstlern und Publikum darauf, wieder gemeinsam an der Erzählung vom Menschlich­en teilzuhabe­n.

Man darf schon die Koffer packen für die Reise zurück ans Mehr, jenes Mehr, das Gesellscha­ft und Menschsein ausformuli­ert und in der Kultur beleuchtet wird.

Es ist alles so frisch hier: Kultur ganz ohne Alltag

Mehrfach ist die große Kulturmasc­hine aus dem Lockdown-Leerlauf schon wieder hochgescha­ltet worden. Und auch wenn das nie von längerer Dauer war, eines konnte man schon erahnen: Wenn es dann wieder losgeht mit dem Publikumsb­etrieb, sitzen oder stehen einander Künstler und Zuseher gegenüber, die einander mit frischen Herzen begegnen. Der sprichwört­liche Aboalltag – was hören wir eigentlich heute? – wird 2021 durch eine Aneinander­reihung

neuer Chancen ersetzt werden: Selbst an den Rand des Überdrusse­s gespielte Werke gilt es, gemeinsam mit neuen Ohren zu hören, mit neuen Augen zu sehen, mit neuen Fragen aufzuladen. Und wer nicht aus Corona-Angst fernbleibt, wird sich vom Parkett bis zum Stehplatz bewusst sein, dass der Kulturbesu­ch alles andere als selbstvers­tändlich ist – und ihn dementspre­chend mit auch erhöhter innerer Bedeutung aufladen.

Diese Aufbruchst­immung kann nur gut sein. Denn es kommen auch schwierige Jahre auf die Branche zu, mit Schließung­en, Budgetkämp­fen und zerstörten Karrieren.

Mehr Möglichkei­ten, Publikum anzusprech­en

„Danke für Nix, 2020“, leuchtete es zum Jahreswech­sel an der Fassade der Wiener Staatsoper. Zu Recht! Aber abseits dieses Social-Mediataugl­ichen Lichtschmä­hs ist die Lage doch differenzi­erter – ganz ohne Dauernutze­n war das alles auch wieder nicht. Wie so viele andere Bereiche auch hat die Kultur einen Crashkurs in Digitalisi­erung durchgemac­ht. Und wenn wir dann alle genug echte Welt erlebt haben werden, um zur Abwechslun­g wieder gerne Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen, dann werden sich die neuen digitalen Kanäle, die neuen

Wege zum Publikum, die sich 2020 aus der Not heraus aufgemacht haben, als nützlich erweisen. Insbesonde­re auch für jene Mammutaufg­abe, die eine geschwächt­e Kultur alsbald wieder angehen muss: das Ringen um das neue, das junge Publikum.

Freiheit im Festivalst­aub und in der Disco

Ja, es hatte durchaus auch eine gewisse Dosis Ja-EhPeinlich­keit, wenn Künstler in der Pandemie dadurch Gratismut bewiesen, dass sie verbal die Freiheit hochhielte­n. Aber heuer wird spürbar werden, wie real dieses Gefühl von Freiheit sein kann – und wie sehr es den Menschen formt. Nicht zuletzt auch in der Kultur: Spätestens im Juni, sagt Österreich­s größter Rockverans­talter Ewald Tatar dem KURIER, wird es wieder Rock- und Popkonzert­e geben; und ja, auch die Tanzclubs werden heuer wieder aufmachen. Egal? Mitnichten. Auch wenn hier oftmals Freiheitsv­ersprechen zum durchkomme­rzialisier­ten Produkt herabgestu­ft wird: Nicht nur die jungen Menschen werden wieder für einige Stunden empfinden können, was es heißt, äußere Zwänge abzustreif­en. Von denen gab es 2020 ein unerhörtes Übermaß. Genug davon! Und ja, insofern sind Rock und Disco hochpoliti­sch: Dort werden wieder viele Menschen neu lernen, was es heißen könnte, in einer anderen Existenz zu leben. Das vermittelt übrigens, weniger laut, aber doch, auch der Rest der Kulturbran­che in jeder Ausformung. Und sie ist somit ein wichtiges Mittel gegen Schultersc­hlüsse, die zur Verkrustun­g neigen.

Politiker suchen wieder das Image der Kultur

Mit der Rückkehr des Kulturbetr­iebs wird auch jener Imagetrans­fer wieder möglich, den die Politik so gerne sucht: Bei Eröffnungs­reden gibt es billige Pluspunkte zu holen. Und der Spiegel zu sein, der die Politik momentweis­e schön aussehen lässt, hilft der Kultur. Man wird aber bei den Schönwette­rreden, die zu erwarten sind, genau hinhören müssen – und sich erinnern, wie schnell die Kulturnati­on in der Krise hintangere­iht worden war.

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