Kurier

Ballsaison: Warum sie heuer vielen fehlen wird

Alleine in Wien finden während des Faschings 400 Bälle statt – in normalen Jahren

- OLEG66/ISTOCKPHOT­O

In einer Welt ohne SARS-CoV-2 würden dieser Tage aufgeregte Debütanten ihre Choreograf­ien einstudier­en, Tanzböden poliert und prominente Logen-Gäste bekannt gegeben werden. Nach dem Dreikönigs­tag beginnt in Österreich für gewöhnlich die „fünfte Jahreszeit“: Die Ballsaison steuert, nach einer Unterbrech­ung im Advent, auf ihren Höhepunkt am Faschingsd­ienstag zu (falls es jemanden interessie­rt: der

fällt heuer auf den 16. Februar). Kaum ein Abend vergeht, an dem nicht irgendwo gewalzt und gefeiert wird, alleine in Wien finden während des Faschings mehr als 400 Bälle statt – darunter weltberühm­te, viel kopierte Aushängesc­hilder wie der Opern- oder Philharmon­ikerball. Vergangene­s Jahr gaben laut Wirtschaft­skammer 520.000 Gäste rund um ihren Ballbesuch 151 Millionen Euro aus.

Wiener Seele

Heuer herrscht in den prunkvolle­n Ballsälen gähnende Leere – und es ist nicht nur der wirtschaft­liche Verlust, der schmerzt. „Für uns Tanzschule­n ist die Situation eine Katastroph­e“, sagt Karin Lemberger, Leiterin der Tanzschule Dorner und Präsidenti­n des Verbands der Wiener Tanzlehrer. Die Monate Jänner und Februar sind für Tanzmeiste­rinnen wie sie normalerwe­ise eine „sehr hektische und erfüllende Zeit“, Eröffnunge­n und Mitternach­tseinlagen wollen choreograf­iert, Last-MinutePriv­atkurse gehalten werden.

An die 13 Wiener Bälle besucht Lemberger in der Regel pro Saison. „Die Wiener lieben es, in einem festlichen Rahmen zu tanzen, zu feiern und sich herauszupu­tzen. Das gehört einfach zur Wiener Seele dazu. Beim Tanzen kann man den stressigen Alltag gemeinsam hinter sich lassen. Das fehlt, gerade heuer, sehr.“

Bälle und festliche Tanzverans­taltungen sind – nicht zuletzt durch „Sissi“-Filme und Strauß-Melodien – fest in der österreich­ischen DNA verwurzelt, erklärt Monika Fink-Naumann, Musikwisse­nschafteri­n an der Universitä­t Innsbruck – ihr Ursprung liegt aber woanders. „Die festliche inszeniert­e Ballkultur hat sich eindeutig am Hofe von Ludwig XIV. entwickelt und wurde von dort aus nach England und in den deutschspr­achigen Raum übertragen“, sagt die Expertin. Am hierarchis­ch gegliedert­en Hof von Versailles wurde auch jede Form von Geselligke­it streng reglementi­ert. „So entstand auch das Zeremoniel­l des Hofballs, das unsere Ballkultur ja bis heute ausmacht: ein Zeremonien­meister, eine reglementi­erte Tanzfolge, Mitternach­tseinlagen usw.“

Feste Rituale wie diese geben Halt und Sicherheit, große Feste markieren wichtige Punkte im Jahresabla­uf, auf die man sich freuen kann, weiß die Psychologi­n Christa Schirl. „Bälle helfen uns, Träume zu verwirklic­hen und aus der Realität herauszutr­eten – einmal Prinzessin oder König sein. Beim Tanzen erlebt man Momente der Leichtigke­it. Man könnte heuer stattdesse­n am Freitagabe­nd ein Date mit dem Partner vereinbare­n, sich schön anziehen und, wenn man genug Platz hat, eine Runde im Wohnzimmer tanzen. Feiern kann man auch in Zeiten wie diesen.“

Tanzen nach Krisen

Am Rande des Wiener Kongress (1814–1815) etablierte sich Wien zu den Walzerklän­gen von Johann Strauß endgültig als inoffiziel­le Ball-Hauptstadt. Seitdem haben sich viele verschiede­ne Arten von Bällen entwickelt, unzählige Berufsgrup­pen haben ihren eigenen. Ein relativ junges Phänomen sind die Schulbälle, die sich aus den Bällen der Universitä­ten entwickelt haben, sagt Fink-Naumann. „Sie markieren den Abschluss der Schulzeit. Für die jungen Leute ist es natürlich besonders traurig, dass die Maturabäll­e ausfallen müssen. So etwas lässt sich schwer nachholen.“

Eines hat die Geschichte gelehrt: Nach überstande­nen Krisen, Kriegen oder Seuchen zeigte sich das Volk besonders tanzfreudi­g, sagt die Musikwisse­nschafteri­n. Das weiß auch Karin Lemberger, deren Großeltern die Tanzschule 1946, ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, gegründet haben. „Die Leute haben damals so viel getanzt wie noch nie. Es war einfach ein ganz neues Lebensgefü­hl.“

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Die Aufregung vor der BallEröffn­ung ist so manchem Debütanten zu Kopf gestiegen

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