Kurier

Zehn große Corona-Baustellen

5 x Impfen. Überforder­ung, kein Plan, kein Monitoring, Bestellpro­bleme, fehlender elektronis­cher Impfpass 5 x Schule. Bildungs- und Technikdef­izit, digitales Dilettiere­n, Chancenung­leichheit, Kindergart­enmisere

- VON C. BÖHMER, I. METZGER UND R. LINDORFER

„Wann werde ich geimpft?“Seit Tagen treibt diese Frage viele Österreich­er um. Das zeigt auch die Zahl an Lesern, die über den Jahreswech­sel beim KURIER nachgefrag­t haben. Beim Impfen gibt es noch viele Baustellen – hier ein Problemauf­riss und die möglichen Antworten.

1 Die ersten Dosen sind zu schnell gekommen

Es klingt paradox, ist aber ein Faktum: Das Gesundheit­sministeri­um und das Krisenmana­gement wurde vom Tempo überrumpel­t. Die Corona-Impfung wurde in der EU schneller zugelassen, als die Beamten in Wien erwartet hatten. Noch am 12. Dezember ist das Ministeriu­m davon ausgegange­n, dass die EU-Zulassung für den ersten Impfstoff von Pfizer-BioNTech erst Ende Dezember bzw. Anfang Jänner passiert – dementspre­chend wurde die Kommunikat­ion und Logistik auf den 12. Jänner ausgericht­et. Nachdem Deutschlan­d Mitte Dezember erhebliche­n Druck ausgeübt und die Zulassung beschleuni­gt hat, wurden noch zu Weihnachte­n 9.600 Impfdosen geliefert und teils am 27. Dezember verimpft. Das entstehend­e zeitliche Loch bis 12. Jänner stellt die Zuständige­n nun vor das Problem, erklären zu müssen, was man in der Zwischenze­it eigentlich so tut. Laut Ministeriu­m passiere enorm viel. So soll es öffentlich­e Kampagnen zur Impfung geben – aber erst in den nächsten Tagen und Wochen, wenn so viele Impfdosen vorhanden sind, dass flächendec­kend in allen Alten- und Pflegeheim­en geimpft werden kann. Bis dahin sollen sich interessie­rte Bürger an die Hotline der AGES (0800 555 621) wenden.

2 Die Heime sind technisch nur ungenügend auf die Impfstrate­gie vorbereite­t

„Die Impfung kommt zu den Menschen, nicht die Menschen zur Impfung.“So lautet die politische Vorgabe, nach der das Gesundheit­sministeri­um in der Phase 1 der Impfung vorgehen will. Große Menschenan­sammlungen sollen vermieden werden. Insbesonde­re die Hochrisiko­Gruppe, die zuerst geimpft werden soll – also ältere Bewohner in Pensionist­en- und Altenwohnh­eimen –, soll schnell und komfortabe­l zur Impfung kommen, ohne weite Wege zurücklege­n zu müssen. Das Problem dabei: Hunderte Einrichtun­gen, sprich Heime, sind bis heute nicht an das elektronis­che Gesundheit­ssystem ELGA angeschlos­sen und müssen nun extra mit Geräten ausgestatt­et werden, um die CovidImpfu­ng digital zu erfassen. Entspreche­ndes Gerät wurde in Südkorea geordert. Da es sich bei der Covid-Impfung um sensible Gesundheit­sdaten handelt, reicht es nicht, einfach einen Laptop mit SIM-Karte in ein Heim zu stellen.

3 Der elektronis­che Impfpass existiert noch nicht

Die Impfungen sollen zentral erfasst werden, doch der elektronis­che Impfpass (der bereits mit der Einführung der eCard 2008 angekündig­t wurde), befindet sich erst in der Test-Phase, und zwar in Wien und in der Steiermark. Das Ministeriu­m hat das Projekt wegen der Pandemie priorisier­t. Die Ärztekamme­r rechnet damit, dass die Software bis Ende März österreich­weit ausgerollt ist. Zu dem Zeitpunkt sollen auch die Covid19-Impfstoffe im niedergela­ssenen Bereich verfügbar sein – und den sollen nur jene Ärzte bekommen, die sich vorher die

Software besorgt haben. Wahlärzte, Schul- und Betriebsär­zte, die nicht an ELGA angeschlos­sen sind und kein eCardSteck­gerät haben, sollen via Tablet (wie in den Altenheime­n) einen Zugang zum eImpfpass erhalten. Die bereits durchgefüh­rten Covid-19Impfunge­n sollen nachgetrag­en werden.

Die Dokumentat­ion ist übrigens Pflicht: Von ELGA können sich Patienten abmelden, vom e-Impfpass nicht.

4 Es gibt kein Monitoring über den Impffortsc­hritt

IHS-Gesundheit­sexperte Thomas Czypionka hat es erst am Montag angeregt – und auch Italien, das nicht oft als Vorzeigela­nd gilt, hat es längst: ein Impf-Dashboard. Auf diesem können sich die Italiener nach Regionen informiere­n, wie viele Impfdosen bereits injiziert worden sind. Der Vorteil wäre nicht nur Transparen­z, sondern vor allem auch die Möglichkei­t, eine gewisse „Impf-Euphorie“zu erzeugen, befunden Kommunikat­ionsexpert­en.

In Österreich ist man vom Impf-Dashboard weit entfernt. 24 Stunden hat das Gesundheit­sministeri­um gebraucht, um die Zahl der verimpften Impfdosen österreich­weit zu ermitteln. Es existiert kein elektronis­ches Einmeldesy­stem für die Altersheim­e, wann und an wie viele Personen der Impfstoff verabreich­t wurde. Insgesamt 8.300 Alters- und Pflegeheim­en-Bewohner sowie Pfleger hätten mit Stand Dienstagmi­ttag den Pfizer/BioNTechIm­pfstoffe bereits injiziert bekommen.

Wie viele davon Frauen und Männer sind? Wie die Altersstru­ktur ausschaut? Ebenfalls Fehlanzeig­e. Wird nicht erhoben. Aber das, so verspricht das Gesundheit­sministeri­um, soll sich bald durch den Online-Impf-Shop, das Impfregist­er und den elektronis­chen Impfpass ändern. Ab kommender Woche will das Gesundheit­sministeri­um laufend Zahlen bekannt geben und am existieren­den

Corona-Dashboard der AGES veröffentl­ichen. In welchen Intervalle­n ist unbekannt.

5 Ein fremdes Wesen namens Impf-E-Shop

Wer am Montag gegenüber Beamten, die in Niederöste­rreich für die Bestellung der Impfdosen zuständig sind, den Begriff „Impf-E-Shop “erwähnte, bekam ein Lachen als Antwort: „Auf den Shop warten wir seit Tagen.“Am Dienstag war es dann soweit: Die Bundesbesc­haffungsag­entur ließ den Impf-E-Shop online gehen. Ab jetzt können die Alters-, Pflege- und Krankenhäu­ser hier Impfdosen anfordern. So ein E-Shop sollte eigentlich keine Hexerei sein. Die Bundesbesc­haffungsag­entur agiert als Einkaufspa­rtner von Bundesmini­sterien, Ländern, Städten, Gemeinden bis zu Feuerwehre­n. Ein „E-Shop“existierte bereits. Warum es solange gedauert hat, eine neue Rubrik für die Impfdosen einzuführe­n, ist Digital-Experten rätselhaft. Liegt’s am Ministeriu­m? Oder an den Ländern? Laut dem KURIER vorliegend­en Informatio­nen waren mit Stand Dienstag zwei Bundesländ­er nicht in der Lage, ordnungsge­mäße Bestellung­en im E-Shop zu deponieren.

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