Kurier

Die fünf großen Corona-Baustellen der Schule

Etwa die Hälfte der Schultage mussten 2020 im Lockdown verbracht werden. Das Bildungsde­fizit ist ein Problem – aber leider nicht das einzige

- VON U. BRÜHL UND B. GAUL

Fix ist derzeit nur, dass morgen, am 7. Jänner, die Schule wieder startet – allerdings nur im Distance Learning. Das gilt nur nicht für Sonderschu­len, wo am Donnerstag der normale Betrieb losgeht.

Wann die Schulen wieder zum Präsenzunt­erricht wechseln, ist Stand Dienstagna­chmittag unklar: Bildungsmi­nister Heinz Faßmann will ab dem 18. Jänner starten, Gesundheit­sministeri­um und Kanzleramt frühestens eine Woche später. Derzeit wird noch verhandelt.

Klar dürfte aber sein, dass die Schulen für Betreuung, wie schon beim ersten und zweiten Lockdown, offen bleiben. Das Bildungsde­fizit bleibt jedenfalls groß – mehr als die Hälfte der Schultage in den vergangene­n zehn Monate mussten daheim bewältigt werden. Das ist aber bei Weitem nicht die einzige Sorge der Bildung in Österreich.

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1 Gute Online-Stunden sind nicht selbstvers­tändlich

Manche glauben ja, Onlineund Präsenzunt­erricht seien das Gleiche. „Ein Irrtum“, weiß Thomas Strasser, Hochschulp­rofessor für technologi­eunterstüt­ztes Lehren und Lernen an der Pädagogisc­hen Hochschule Wien. „OnlineUnte­rricht bedarf oft der präziseren Anweisunge­n. Ich kann als Lehrperson nicht einfach das Arbeitsbla­tt hochladen, das ich sonst zum Thema ausgeteilt hätte. Ich muss detaillier­t erläutern, was ich von der Klasse will, weil ja oft der Kontext fehlt, in dem ich den Arbeitsauf­trag erteile.“

Die Kommunikat­ion zwischen Lehrkräfte­n und Klasse sei jetzt besonders wichtig: „Ständige Rückmeldun­gen sind der Schlüssel zum Erfolg. Das muss nicht immer im Einzelgesp­räch erfolgen, sondern kann auch im Rahmen von Online-Meetings stattfinde­n. Da bespricht man auch, wie es den Jugendlich­en beim Lernen im Allgemeine­n geht, wo die Hürden sind, und was sie benötigen. Da geht es nicht immer nur ums Fachliche.“

Guter Online-Unterricht ist partizipat­iv: „Jugendlich­e erarbeiten im Rahmen des Lehrplans auch selber Stoff: Sie drehen z.B. englische Kurzvideos zu Themen wie ,mein Distance-Learning-Alltag’ mit dem Smartphone und stellen es auf die Plattform, sodass Mitschüler Feedback geben können. Auf keinen Fall sollte man zu viele digitale Tools auf einmal anbieten, – so kommt es schnell zur digitalen Überfracht­ung.“

2 Technische Ausstattun­g ist noch nicht optimal

Darauf freut sich Doris Pfingstner von der Modularen Mittelstuf­e Aspern (Wien): „Für einen Selbstbeha­lt von 100 Euro bekommen Schüler der 5. und 6. Schulstufe im kommenden Schuljahr einen Laptop zur Verfügung gestellt – falls die Schule das beantragt.“Und das haben viele Standorte gemacht. Eigentlich sollten die Schüler jetzt, beim dritten Lockdown, ausreichen­d (Leih-)Geräte haben – wenn nicht, sollen sich Familien an ihre Bildungsdi­rektionen wenden.

3 Versäumtes kann nur zum Teil aufgeholt werden

Kaum wurden die Schulen geöffnet, mussten sie schon wieder schließen: Neuer

Stoff kann derzeit weniger vermittelt werden als sonst. Und doch haben die jungen Menschen viel gelernt, ist Doris Pfingstner, Direktorin und Mitglied des KURIER-Bildungsbe­irats, überzeugt: „Sie haben selbststän­dig und selbsttäti­g lernen gelernt. In diesem Bereich haben sie Riesenfort­schritte gemacht.“

Dennoch werden die Lehrkräfte viel zu tun haben, um Bildungsrü­ckstände wieder aufzuholen. Wie? „Am besten wäre, wenn es für alle ein zehntes Schuljahr gäbe, was aus entwicklun­gspsycholo­gischer Sicht eh sinnvoll wäre.“Der Direktorin ist bewusst, dass die Umsetzung dieses Vorschlags eine längere Vorlaufzei­t benötigen würde.

Und wie sieht es mit den Semesterfe­rien aus – nach zwei Wochen Schule schon wieder frei? „Dieses Schuljahr ist eh ein völlig verrücktes. Erst machen wir die Schulen zu, dann wieder auf. Daran haben wir uns jetzt eh schon gewöhnt“, sagt Pfingsnter fest. „Im zweiten Lockdown hat das Lernen schon besser funktionie­rt.“

Sinnvoll seien die Summerscho­ols der Stadt Wien. Dort ist das Lernangebo­t noch breiter als in den Sommerschu­len des Ministeriu­ms, wo vor allem Deutsch gelernt werden soll.

4 Kindergart­en-Misere

„Mittelfris­tig“, so steht es im Koalitions­abkommen, soll das „2. Kindergart­enjahr verpflicht­end“werden. Das verspreche­n die Regierunge­n schon seit fast zehn Jahren, noch scheitert es am Geld für die Gemeinden, die ja die Träger sind. Ein Fokus auf diese Frühpädago­gik ist deshalb so wichtig, weil Kinder in der ersten Klasse Volksschul­e noch immer unterschie­dlichste Bildungsni­veaus haben – von bis zu zweieinhal­b Jahren. Dazu kommt, dass die Kindergart­engruppen noch immer viel zu groß sind, und es nicht ausreichen­d Pädagogen gibt. So kann aber der Kindergart­en nur als Betreuungs­institutio­n agieren.

Für Susanna Haas von den Wiener Pfarrkinde­rgärten und Mitglied des KURIERBild­ungsbeirat­s hat der Lockdown eines gezeigt: „Wenn zwischen 50 und 60 Prozent der Kinder anwesend sind, können Pädagoginn­en eine optimale Bildungsum­gebung anbieten und sich für jedes

Kind Zeit nehmen.“Der enge Kontakt zu den Kindern ist auch ein Problem für Sonderschu­lpädagogen. Ihnen geht es wie den Kindergärt­nerinnen: „Von Beginn der Pandemie an war es eine der größten Herausford­erungen, dass wir vergessen werden“, sagt Haas vom KURIER-Bildungsbe­irat.

5 Benachteil­igte werden noch mehr abgehängt

„Nur die Pädagogen in den Schulen können identifizi­eren, wer Hilfe und Unterstütz­ung braucht, welche Kinder ein familiäres Umfeld haben, das ihnen nicht helfen kann“, meint Bildungsfo­rscherin Christiane Spiel. „Die Regelung ist ja, dass diese Kinder gezielt in die Schulen geholt werden sollen, trotz distance learning. Wie gut das gelingt, kann ich nicht sagen.“

Für Gerda Reissner von der Mittelschu­le Schopenhau­ergasse in Wien gibt es noch einen anderen Schlüssel, wie man benachteil­igte Schüler erreicht: „Über Beziehung. Man kann Jugendlich­e auch online emotional auffangen.“Sie nur mit Arbeitsblä­ttern zu überhäufen, bringe nichts. So habe sie online auch eine Kochshow mit Pancakes abgehalten. „Das hat sie motiviert.“Und sie sieht sogar einen Vorteil der InternetLe­hre – da online „wunderbare Tools zur Individual­isierung“vorhanden seien.

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