Johnson: „Die Wochen vor uns werden die schwierigsten sein“
Großbritannien geht erneut in einen – ultrastrengen – Lockdown
Die Hoffnung auf einen Start in ein gutes neues Jahr verflog bei vielen Briten blitzartig angesichts eines neuen harten Lockdowns bis mindestens Mitte Februar. Frust, Stress und Erschöpfung machen sich breit. So twitterte Amy in Portsmouth: „Mein Mann ist wieder auf Zwangsurlaub und verliert den Gegenwert unserer monatlichen Hypothekenzahlung – und ich wurde entlassen.“Ein bekannter Fitnessguru brach in einem Onlinevideo sogar in Tränen aus.
Premier Boris Johnson twitterte Durchhalteparolen: „Ich weiß, wie schwer das ist und wie frustriert Sie sind. Ich weiß, dass Sie mehr als genug von Anweisungen der Regierung zur Besiegung dieses Virus haben. Aber jetzt müssen wir mehr denn je zusammenhalten“.
Immer neue Rekorde bei Neuinfektionen, ein starker Anstieg bei Todesfällen, überlastete Spitäler. Großbritannien ist von der hier entdeckten Corona-Mutation, die laut Experten bis zu 70 Prozent ansteckender ist, schwer gezeichnet.
Wettlauf gegen die Zeit
„Wir müssen in England einen Lockdown verhängen, um die neue Corona-Variante in den Griff zu bekommen“, erklärte Johnson Montagabend. Die Beschränkungen müssten an diesem „kritischen Moment“bis mindestens Mitte Februar in Kraft bleiben, weil sich die Mutation in „frustrierender und alarmierender Weise“verbreite. „Die Wochen vor uns werden die schwierigsten sein.“Kabinettsminister Michael Gove signalisierte am Dienstag, dass der dritte englische Lockdown sogar bis März andauern könnte und sprach von einem „Wettlauf gegen die Zeit“.
Das Haus verlassen darf man in England jetzt nur für „notwendige“Aktivitäten wie Arztbesuche oder Arbeit, die nicht zu Hause erledigt werden kann. Sogar Schulen, deren Öffnung Johnson noch am Sonntag als Priorität beschrieben hatte, müssen schließen. Das Parlament wurde aus den Ferien zurückbeordert, um die Maßnahmen abzusegnen.
Neue Virusmutation
Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon hatte mit Verweis auf die Mutation noch vor Johnson einen Lockdown für ihren Landesteil angekündigt. „Die neue Variante ist für fast die Hälfte der neuen Corona-Fälle in Schottland verantwortlich.“
Großbritannien verzeichnete zu Wochenbeginn 58.784 Neuinfektionen. In den vergangenen sieben Tage stieg die Zahl gleich um 50 Prozent. Die Siebentagesinzidenz beträgt somit 567 (im Vergleich dazu Österreich: 169). Die Todesfälle erhöhten sich um 20 Prozent auf 4.278. Laut Regierung liegt die Zahl der Corona-Patienten in Kliniken bereits 40 Prozent über dem Höchststand im Frühling. Das landesweite Corona-Alarmsystem wurde auf die höchste Stufe 5 gestellt. Das heißt, das Gesundheitssystem könnte ohne Maßnahmen innerhalb von 21 Tagen überlastet sein. Das King’s College Spital in London hat bereits dringende Krebsoperationen abgesagt.
Milliardenverluste
Auch die britische Wirtschaft fürchtet neuen Schaden. Die Einzelhandelsvertretung warnte vor einem Umsatzverlust von 2 Milliarden Pfund (2,2 Milliarden Euro) pro Woche: „Bereits 178.000 Arbeitsplätze gingen 2020 im Einzelhandel verloren, und mit derzeit mehr als 250.000 Menschen auf Zwangsurlaub könnte diese Zahl im neuen Jahr dramatisch ansteigen.“Finanzminister Rishi Sunak kündigte 4,6 Milliarden Pfund (5,1 Mrd. Euro) Lockdown-Hilfen für Firmen an, damit sie „durch die nächsten Monate kommen“.
Johnson setzt jetzt alles auf das Impfprogramm. „Bisher haben wir mehr Menschen geimpft als der Rest Europas zusammen“, lobte er. Der seit Montag eingesetzte AstraZeneca-Impfstoff soll „das Impftempo beschleunigen“. Das Land mit 68 Millionen Einwohnern hat 40 Millionen Dosen des BioNTech/Pfizer- und 100 Millionen des AstraZenecaVakzins bestellt. Im ersten Monat wurden etwa eine Million Dosen verimpft.
Bis Mitte Februar, „wenn alles gut läuft und guter Wind in unseren Segeln ist“, will Johnson allen Leuten in den vier Gruppen mit höchster Priorität die erste Impfstoffdosis anbieten. Das umfasst Bewohner und Personal von Heimen, über 75-Jährige, medizinisches Personal und Sozialarbeiter sowie klinisch „extrem Gefährdete“. Um dieses Ziel zu erreichen, muss das Impftempo auf zwei Millionen oder mehr pro Woche beschleunigt werden. Experten fragen bereits, ob das von Vakzin-Versorgung und Logistik her überhaupt realistisch ist.