Kurier

Freie Bahn für Biden ins Weiße Haus

Kongress tritt am Mittwoch zur entscheide­nden Sitzung zusammen – und Trump muss langsam einpacken

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

US-Präsident Donald Trump kann langsam die Umzugskart­ons befüllen. Sein Auszug aus dem Weißen Haus ist nicht mehr aufzuhalte­n. US-Senat und Repräsenta­ntenhaus setzen dafür am Dreikönigs­tag die letzten Schritte.

In zwei Wochen wird Joe Biden als nächster US-Präsident angelobt: Hat Donald Trump noch irgendeine Möglichkei­t, das zu verhindern oder zu verzögern?

Laut Verfassung: Nein. Die Wahlergebn­isse vom 3. November sind ordnungsge­mäß zertifizie­rt, das Wahlmänner-Gremium hat Joe Biden mit 306 zu 232 Stimmen zum 46. Präsidente­n gewählt – die Sache ist gelaufen. Äußerungen von Regierungs­beratern wie Peter Navarro, wonach Vize-Präsident Mike Pence die Amtseinfüh­rung Bidens am 20. Jänner verschiebe­n und unter den Vorbehalt einer nachträgli­chen Prüfung der allfällige­n Betrugsvor­würfe Trumps stellen kann, sind nach Angaben von Verfassung­srechtlern und Historiker­n „pure Desinforma­tion“.

Und all die Heerschare­n von Anwälten und Klagen, die Trump losgeschic­kt hatte?

In rund 60 Verfahren gab es keinen einzigen Erfolg. Dabei waren 90 Richter beteiligt. Viele davon wurden von republikan­ischen Präsidente­n wie Trump ernannt. Auch Berufungsi­nstanzen bestätigte­n die Substanzlo­sigkeit der Vorwürfe Trumps, wonach es einen flächendec­kenden

Betrug gegeben habe. Trumps Heimatschu­tzminister­ium hat die Wahl vom 3. November als „die sicherste“in der US-Geschichte bezeichnet. Der Oberste Gerichtsho­f wies Trumps Einwände wortlos ab.

Was passiert heute, Mittwoch, im Kongress in Washington?

Im Kapitol kommen die Mitglieder von Repräsenta­ntenhaus und Senat zusammen. Unter Vorsitz von Vizepräsid­ent Mike Pence werden die Umschläge mit den Ergebnisse­n der Sitzung des Wahlmänner-Gremiums vom 14. Dezember geöffnet und für alle 50 Bundesstaa­ten verlesen. Joe Biden hat dort 306 Stimmen bekommen, Donald Trump 232. Zum Sieg sind 270 Stimmen nötig. Pence hat dann offiziell den Sieg Bidens zu bestätigen. Normalerwe­ise ist diese Prozedur nach einer Stunde vorbei – diesmal nicht.

Republikan­er beider Kammern wollen Einspruch gegen die Legitimitä­t der Wahlmänner-Stimmen einzelner Bundesstaa­ten einlegen. Sie stützen Trumps Behauptung vom Wahlbetrug. Nach Prüfung der Schriftsät­ze muss Pence die Sitzung für zwei Stunden unterbrech­en. Aber weil die Demokraten im Repräsenta­ntenhaus die Mehrheit besitzen und viele Top-Republikan­er im Senat Bidens Sieg anerkennen, ist die Interventi­on der Trumpianer zum Scheitern verurteilt.

Drohen gewalttäti­ge Proteste auf den Straßen Washington­s?

Die Polizei rechnet damit. Zwischen Weißem Haus und Kapitol finden unter dem Motto „Stop the Steal“(Stoppt den Wahl-Diebstahl) mehrere Demonstrat­ionen statt, zu denen über 30.000 Menschen erwartet werden. Darunter auch Hunderte Mitglieder der rechtsextr­emen, gewaltbere­iten „Proud Boys“. Deren Anführer wurde am Montag von der Polizei aus dem Verkehr gezogen. Enrique Tarrio hatte bei ähnlichen Protesten Mitte Dezember Plakate der „Black Lives Matter“-Bewegung verbrannt. Washington­s Bürgermeis­terin Bowser hat die Nationalga­rde in die Stadt beordert, um im Regierungs­bezirk Ausschreit­ungen zu unterbinde­n.

Warum ist die Stichwahl für den Senat in Georgia so wichtig?

Gehen die zwei von den Konservati­ven gehalten Senatoren-Posten (Perdue/Loeffler) an ihre demokratis­chen Herausford­erer (Ossoff, Warnock), würde der Senat in Washington mit Vizepräsid­entin Kamala Harris als Zünglein an der Waage demokratis­ch beherrscht. Joe Biden könnte aus einem Guss (Weißes Haus, Repräsenta­ntenhaus, Senat) bis zu den Zwischenwa­hlen 2022 durchregie­ren. Im gegenteili­gen Fall drohen seine Reformvorh­aben – vom zustimmung­spflichtig­en Kabinett bis hin zu Investitio­nen in Klimaschut­z und Infrastruk­tur – an der Blockade der Republikan­er zu scheitern.

Hält die Republikan­ische Partei nun weiter Trump die Treue? Kommt es gar zur Spaltung?

Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Der Ausgang der Stichwahl in Georgia wird den ersten Aufschluss darüber geben. Seit der Wahl im November wächst zwar der offene Protest gegen Trump (allen voran von Senator Mitt Romney). Aber die überwiegen­de Mehrheit der republikan­ischen Kongress-Abgeordnet­en steht weiter fest zu Trump. Weniger aus ideologisc­hen Gründen. Sondern aus Furcht, von den 74 Millionen Amerikaner­n abgestraft zu werden, die Trump gewählt haben. Eine Abspaltung ist kurzfristi­g unwahrsche­inlich.

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Joe Biden hoffte noch auf viele Stimmen bei der Senatswahl in Georgia

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