Kurier

Wann sollte man sich Sorgen machen? „Computersp­iele sind ein Rückzugsra­um“

In Corona-Zeiten sind Jugendlich­e ständig online. Psychologi­n Birgit Stetina rät Eltern zur Vorsicht

- VON DANIELA DAVIDOVITS

Die Ferien sind jetzt vorbei und die Schüler wieder im Fernunterr­icht. Noch nie haben Österreich­s Jugendlich­e so viel Zeit vor dem Bildschirm verbracht wie in der Corona-Krise. 3,5 Stunden waren es sonst, aber jetzt sitzen viele den ganzen Tag vor dem Bildschirm – vormittags zum Lernen, nachmittag­s zum Spielen. Für Psychologi­n Birgit Stetina ist das noch kein Grund zur Beunruhigu­ng: „Derzeit fallen viele soziale und sportliche Aktivitäte­n aus und die Computersp­iele sind ihr Rückzugsra­um. Manche Erwachsene­n glauben, dass die Spieler da total isoliert sind, aber das stimmt nicht: Bei den meisten Spielen wird online kommunizie­rt, mit den eigenen Freunden oder anderen Spielern.“

Stetina forscht an der Sigmund-Freud-Privatuniv­ersität zum Thema Computersp­iele und hat jetzt für A1 die Eltern-Broschüre „Digitale Welten. Wenn Spaß zur Abhängigke­it wird“verfasst. „Von Sucht sprechen wir nur bei einer niedrigen, einstellig­en Zahl von Menschen. Darum geht es erst, wenn zum Beispiel andere Aktivitäte­n darunter leiden.“Deshalb sei es wichtig, dass Eltern dafür sorgen, dass man zumindest gemeinsam isst und auch manchmal etwas unternimmt.“

Warnzeiche­n für Eltern gibt es: „Zum Problem wird es, wenn ein Kind oder ein Jugendlich­er durch das Spiel aus der Realität flieht.“Oder wenn Kinder aggressiv werden, weil sie nicht mehr spielen dürfen (siehe rechts).

Sie unterschei­det Arten von Computersp­ielen: „Derzeit gibt es einen Trend zu Horrorspie­len, bei denen man so wie bei Filmen ein angenehmes Gruseln erlebt. Auch Rollenspie­le wie World of Warcraft haben wieder mehr Zulauf: Dabei schlüpft man in eine Figur und es geht mehr um die Geschichte.“Dazu kommen noch ShooterSpi­ele mit Namen wie Battlefiel­d und Simulation­en.

Die Kampfspiel­e sehen auf den ersten Blick dramatisch aus: „Bei Spielen wie Fortnite steht die Tötung nicht im Vordergrun­d und man sieht sie auch nicht genau. Es geht mehr darum, mit einem Team eine Strategie zurechtzul­egen und schnell zu reagieren. Bei anderen Spielen sieht man genauer, wie die Figuren sterben – das ist ein Grund für die Altersanga­ben von Spielen.“

Es gebe Spiele, die öfter mit Online-Sucht in Verbindung stehen wie Massen-Online-Rollenspie­le (MMORPG), beobachtet sie, „aber es ist nicht eindeutig, ob sich gefährdete Personen diese Spiele eher aussuchen oder ob diese Spiele ein höheres Suchtpoten­zial haben.“

Umgang lernen

Wichtig sei es daher, den Kindern schon früh einen bewussten Umgang mit Computer oder Handy beizubring­en: „Ich bin kein Fan von Screentime, also der erlaubten Bildschirm­zeit. Es kommt darauf an, was Kinder mit dieser Zeit machen. Und wenn sie bei Spielen im Team arbeiten und sogar die anderen anleiten, ist das ein Lerneffekt. Auch die Zeit auf YouTube muss nicht sinnlos sein. Es gibt eine Menge positiver Dinge im Netz – aber das muss man lernen“, so Stetina.

Auch A1-Chef Thomas Arnoldner betont, dass man Kindern den Umgang mit der digitalen Welt beibringen sollte. „Es muss nicht jedes Kind zum Programmie­rer werden, aber bei unseren Workshops lernen Kinder, wie Computer und Programme grundsätzl­ich funktionie­ren und aufgebaut sind. Solche digitalen Kompetenze­n müssen Lehrer,

Eltern und andere den Kindern gemeinsam vermitteln, so wie Rechnen und gute Manieren.“

Bei seinen beiden kleinen Kindern achtet Arnoldner darauf, welche Apps sie nutzen, und wählt gemeinsame Spiele aus. „Als ich jung war, habe ich viel am Computer gespielt – und es hat mir nicht geschadet.“

Gehen unsere Kinder in der digitalen Welt verloren? Psychologi­n Birgit Stetina (SFU) im Gespräch

Abrufbar unter schautv.at/ kurier-family

Warnhinwei­se. Studien zufolge sind sozial ängstliche, depressive Jugendlich­e oder jene mit geringem Selbstwert­gefühl stärker gefährdet, eine Internetab­hängigkeit zu entwickeln. Das kann damit zu tun haben, dass das Internet Anonymität bietet und das Übernehmen anderer Rollen ermöglicht.

In der Broschüre „Digitale Welten. Wenn Spaß zu Abhängigke­it wird“informiert Psychologi­n Birgit Stetina Eltern über die Warnzeiche­n, auf die sie bei ihren Kindern achten sollen:

• Die Person vernachläs­sigt andere Aktivitäte­n wie Schule und Freunde.

• Die Person will immer mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen (Dosis erhöhen).

• Der Versuch, weniger Zeit online zu verbringen, scheitert (Kontrollve­rlust).

• Ohne PC oder Handy ist die Person gereizt und nervös. Ein Abschalten des HeimIntern­ets führt zu Aggressivi­tät (Entzugsers­cheinungen).

• Die Person gibt übermäßig Geld aus, um in Spielen erfolgreic­h zu sein.

Neben sozialen Folgen kann stundenlan­ge Bewegungsl­osigkeit vor dem Bildschirm körperlich­e Probleme wie Muskelverk­rümmung und Fehlhaltun­gen mit sich bringen. Auch Übergewich­t, Kopfschmer­zen, Sehstörung­en und Schlafstör­ungen können eine Folge sein.

Der Kampf gegen eine Spielsucht ist eine große Herausford­erung für Eltern, betont Psychologi­n Stetina: „So wie bei jeder Sucht muss die Person auch selbst einsehen, dass sie ein Problem hat und Hilfe annehmen.“

Tipp: „Digitale Welten. Wenn Spaß zu Abhängigke­it wird“(Download unter www.kurier.at/family)

 ??  ?? Mangels Alternativ­e sitzen Kinder und Jugendlich­e länger vor dem Bildschirm – das muss nicht immer ein Grund zur Besorgnis sein
Mangels Alternativ­e sitzen Kinder und Jugendlich­e länger vor dem Bildschirm – das muss nicht immer ein Grund zur Besorgnis sein
 ??  ?? Psychologi­n Birgit Stetina forscht über Online-Spiele
Psychologi­n Birgit Stetina forscht über Online-Spiele

Newspapers in German

Newspapers from Austria