Kurier

Pensionslo­ch ohne Boden

Weil die Bevölkerun­g immer älter wird, wird die Finanzieru­ng der Pensionen zunehmend schwierige­r. Im Jahr 2024 soll der Staat 25,9 Milliarden Euro zuschießen müssen. Kann und soll er sich das leisten?

- VON ELISABETH HOFER

„Es ist ein chronische­r Befund, der durch Corona weiter verschlech­tert wurde, aber derzeit von der politische­n Tagesordnu­ng verschwund­en ist.“Mit diesen Worten kommentier­t Sozialwiss­enschafter und Pensionsex­perte Bernd Marin das beständige Anwachsen des Pensionslo­ches in Österreich. Es gehe um ein „Pensionslo­ch“, keinen „Pensionsto­pf“, weil ihm jedes Jahr um ein Drittel mehr entnommen wird, als von der Erwerbsbev­ölkerung eingezahlt wird.

Das ist eine enorme Herausford­erung für den Staat, denn um das Loch auszugleic­hen, muss er jährlich viele Milliarden Euro zuschießen. Im Jahr 2020 waren das 20,9 Milliarden bzw. 25 Prozent des Budgets. Basierend auf Daten des Finanzmini­steriums wird das Pensionslo­ch in den kommenden vier Jahren aber noch viel weiter – um mehr als 20 Prozent – wachsen. Das betrifft die Summe aus ASVG- und

Beamtenpen­sionen. Umgekehrt heißt das: Im Jahr 2024 wird das Pensionslo­ch 25,9 Milliarden Euro betragen.

„Im Prinzip zahlen wir also jedes Jahr eine Hypo Alpe Adria an Zuschüssen“, fasst Marin zusammen.

Woher kommt das Loch?

Das Loch entsteht im Wesentlich­en durch den großen Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevö­lkerung. 1,7 Millionen Einwohner sind in Österreich älter als 65 Jahre. Das sind 20 Prozent. Je mehr Mitglieder der sogenannte­n Babyboomer-Generation (die geburtenre­ichen Jahrgänge der 1960er Jahre) in den kommenden Jahren in Pension gehen, umso größer wird der Anteil an Pensionsbe­ziehern im Vergleich zu den erwerbstät­igen Beitragsza­hlern.

Hinzu kommen Beitragsau­sfälle aufgrund von Arbeitslos­igkeit, für die die Corona-Krise im vergangene­n Jahr mehr als nur brandbesch­leunigend war.

„Insgesamt gibt es in jeder Legislatur­periode

etwa so viel Zuschussbe­darf wie uns die Corona-Krise kosten wird“, sagt Marin.

Was also tun? Die Pensionen kürzen? Das komme laut dem Experten nicht in Frage. Schon jetzt würde ein zu großer Teil vor allem der weiblichen Pensionist­innen an oder unter der Armutsgren­ze leben. Der Durchschni­ttspension­ist bekomme nicht einmal mehr die volle Teuerung abgegolten. Bei erwartbare­n drei statt zwei Millionen Ruheständl­ern in den 2030er Jahren könnte es bis zu einer Million Armutsgefä­hrdete statt der jetzt 200.000 geben.

Die Steuern erhöhen? Auch das sei kaum möglich, meint Marin. „Die Steuern- und Abgabensch­raube dreht leer, da ist das Gewinde ausgeleier­t“, erklärt er.

Was als Option übrig bleibe, sei eine Erhöhung des Pensionsan­trittsalte­rs – „in schmerzfre­ien Dosen von Anpassung“, sagt Marin. Schon zwei bis drei Monate jährlich länger zu arbeiten, würde das Problem weitgehend entschärfe­n. Das Pensionsan­trittsalte­r ist zunächst jahrzehnte­lang hinunter, und zuletzt wieder leicht hinauf gegangen. 2019 habe es sich laut Marin auf dem Stand von 1976 befunden. „Das sind 43 Jahre Stillstand. Dabei leben wir alle ein Jahrzehnt länger, zuletzt zusätzlich­e 71 bis 101 Tage Jahr für Jahr“, erklärt der Experte.

Dass die Regierung hier nicht handle, um die Gunst der Wähler nicht zu verlieren, empört die Neos. Es fehle jede Anstrengun­g zur Anhebung des tatsächlic­hen Pensionsan­trittsalte­rs, kritisiert Neos-Sozialspre­cher Gerald Loacker (47) in Bezug auf eine Statistik des Dachverban­ds der Sozialvers­icherungst­räger.

Späterer Pensionsan­tritt

Auch seien durch den Frühstarte­rbonus (Menschen, die zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr gearbeitet haben, bekommen monatlich 60 Euro zusätzlich) trotz Abschaffun­g der abschlagsf­reien Frühpensio­n keine Einsparung­en zu erwarten. Hingegen könne ein um ein Jahr höheres tatsächlic­hes Pensionsan­trittsalte­r das Pensionslo­ch um 2,4 Milliarden reduzieren – das zeige eine Anfragebea­ntwortung des Sozialmini­steriums.

Beim türkisen Seniorenbu­nd sorgt der Gedanke, dass die Pension(ist)en für den Staat hauptsächl­ich ein Kostenfakt­or sind, für Empörung. Im Gegensatz zu anderen Bevölkerun­gsgruppen würden Senioren die staatliche­n Zuschüsse durch Steuern und Abgaben nämlich praktisch selbst refinanzie­ren.

Beim Thema Pensionen und der Frage, ob sie dem Staat zu viel kosten, prallen also zwei Sichtweise­n aufeinande­r. Ist das eine Frage der Generation­en? Bürgerlich jung gegen bürgerlich alt? In einem Pro&Contra diskutiere­n Loacker und Seniorenbu­nd-Präsidenti­n Ingrid Korosec (80) ihre Ansichten, welche Gruppe welche Anliegen hat und welche Lösungsans­ätze es gibt, um den Staat zu entlasten.

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