Pensionsloch ohne Boden
Weil die Bevölkerung immer älter wird, wird die Finanzierung der Pensionen zunehmend schwieriger. Im Jahr 2024 soll der Staat 25,9 Milliarden Euro zuschießen müssen. Kann und soll er sich das leisten?
„Es ist ein chronischer Befund, der durch Corona weiter verschlechtert wurde, aber derzeit von der politischen Tagesordnung verschwunden ist.“Mit diesen Worten kommentiert Sozialwissenschafter und Pensionsexperte Bernd Marin das beständige Anwachsen des Pensionsloches in Österreich. Es gehe um ein „Pensionsloch“, keinen „Pensionstopf“, weil ihm jedes Jahr um ein Drittel mehr entnommen wird, als von der Erwerbsbevölkerung eingezahlt wird.
Das ist eine enorme Herausforderung für den Staat, denn um das Loch auszugleichen, muss er jährlich viele Milliarden Euro zuschießen. Im Jahr 2020 waren das 20,9 Milliarden bzw. 25 Prozent des Budgets. Basierend auf Daten des Finanzministeriums wird das Pensionsloch in den kommenden vier Jahren aber noch viel weiter – um mehr als 20 Prozent – wachsen. Das betrifft die Summe aus ASVG- und
Beamtenpensionen. Umgekehrt heißt das: Im Jahr 2024 wird das Pensionsloch 25,9 Milliarden Euro betragen.
„Im Prinzip zahlen wir also jedes Jahr eine Hypo Alpe Adria an Zuschüssen“, fasst Marin zusammen.
Woher kommt das Loch?
Das Loch entsteht im Wesentlichen durch den großen Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung. 1,7 Millionen Einwohner sind in Österreich älter als 65 Jahre. Das sind 20 Prozent. Je mehr Mitglieder der sogenannten Babyboomer-Generation (die geburtenreichen Jahrgänge der 1960er Jahre) in den kommenden Jahren in Pension gehen, umso größer wird der Anteil an Pensionsbeziehern im Vergleich zu den erwerbstätigen Beitragszahlern.
Hinzu kommen Beitragsausfälle aufgrund von Arbeitslosigkeit, für die die Corona-Krise im vergangenen Jahr mehr als nur brandbeschleunigend war.
„Insgesamt gibt es in jeder Legislaturperiode
etwa so viel Zuschussbedarf wie uns die Corona-Krise kosten wird“, sagt Marin.
Was also tun? Die Pensionen kürzen? Das komme laut dem Experten nicht in Frage. Schon jetzt würde ein zu großer Teil vor allem der weiblichen Pensionistinnen an oder unter der Armutsgrenze leben. Der Durchschnittspensionist bekomme nicht einmal mehr die volle Teuerung abgegolten. Bei erwartbaren drei statt zwei Millionen Ruheständlern in den 2030er Jahren könnte es bis zu einer Million Armutsgefährdete statt der jetzt 200.000 geben.
Die Steuern erhöhen? Auch das sei kaum möglich, meint Marin. „Die Steuern- und Abgabenschraube dreht leer, da ist das Gewinde ausgeleiert“, erklärt er.
Was als Option übrig bleibe, sei eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters – „in schmerzfreien Dosen von Anpassung“, sagt Marin. Schon zwei bis drei Monate jährlich länger zu arbeiten, würde das Problem weitgehend entschärfen. Das Pensionsantrittsalter ist zunächst jahrzehntelang hinunter, und zuletzt wieder leicht hinauf gegangen. 2019 habe es sich laut Marin auf dem Stand von 1976 befunden. „Das sind 43 Jahre Stillstand. Dabei leben wir alle ein Jahrzehnt länger, zuletzt zusätzliche 71 bis 101 Tage Jahr für Jahr“, erklärt der Experte.
Dass die Regierung hier nicht handle, um die Gunst der Wähler nicht zu verlieren, empört die Neos. Es fehle jede Anstrengung zur Anhebung des tatsächlichen Pensionsantrittsalters, kritisiert Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker (47) in Bezug auf eine Statistik des Dachverbands der Sozialversicherungsträger.
Späterer Pensionsantritt
Auch seien durch den Frühstarterbonus (Menschen, die zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr gearbeitet haben, bekommen monatlich 60 Euro zusätzlich) trotz Abschaffung der abschlagsfreien Frühpension keine Einsparungen zu erwarten. Hingegen könne ein um ein Jahr höheres tatsächliches Pensionsantrittsalter das Pensionsloch um 2,4 Milliarden reduzieren – das zeige eine Anfragebeantwortung des Sozialministeriums.
Beim türkisen Seniorenbund sorgt der Gedanke, dass die Pension(ist)en für den Staat hauptsächlich ein Kostenfaktor sind, für Empörung. Im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsgruppen würden Senioren die staatlichen Zuschüsse durch Steuern und Abgaben nämlich praktisch selbst refinanzieren.
Beim Thema Pensionen und der Frage, ob sie dem Staat zu viel kosten, prallen also zwei Sichtweisen aufeinander. Ist das eine Frage der Generationen? Bürgerlich jung gegen bürgerlich alt? In einem Pro&Contra diskutieren Loacker und Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec (80) ihre Ansichten, welche Gruppe welche Anliegen hat und welche Lösungsansätze es gibt, um den Staat zu entlasten.