Kurier

Drei Männer, ein Mädchen und ein Baby

Eine polyamourö­se Familie in den USA sorgt für Aufsehen. Der KURIER hat mit einem der Väter gesprochen

- VON JULIA PFLIGL

Skandalös – oder ein ganz normales Familienle­ben? Der Kalifornie­r Ian Jenkins lebt mit zwei Männern zusammen, und gemeinsam haben sie zwei Kinder. Im KURIER-Gespräch erzählt er, wie das funktionie­rt und was die Dreijährig­e darüber denkt.

Seine Instagram-Fotos erzählen von einem ganz normalen Familienle­ben: Baby mit Hund, die langen Haare der Tochter, die erstmals erfolgreic­h entwirrt wurden, Wanderausf­lüge und Kinderzimm­erchaos. Erst bei näherer Betrachtun­g zeigt sich, dass Ian Jenkins’ Familie eine besondere ist, von der Vater-Mutter-Kind-Norm abweicht. Der Kalifornie­r lebt in einer verbindlic­hen Partnersch­aft mit zwei Männern – Alan, mit dem er seit 18 Jahren liiert ist, und Jeremy, in den sich die beiden vor acht Jahren verliebten. Sie beschlosse­n, ihre Beziehung zu öffnen, und gemeinsam ihren Traum von eigenen Kindern zu verwirklic­hen.

In den USA reißen sich die Medien gerade um die „Modern Family“. Als wäre die Konstellat­ion schwul und polyamourö­s nicht schon ungewöhnli­ch genug, haben sie auch noch Justizgesc­hichte geschriebe­n: Als ihre Tochter Piper vor dreieinhal­b Jahren in San Diego zur Welt kam, wurden erstmals drei Väter in die Geburtsurk­unde eingetrage­n. Den steinigen Weg bis zum erlösenden Urteil der Richterin beschreibt Jenkins, Facharzt und Uni-Lektor, in seinem neuen (englischsp­rachigen) Buch „Three Dads and a Baby: Adventures in Modern Parenting“(„Drei Väter und ein Baby: Abenteuer der modernen Elternscha­ft“, Cleis Press).

Die Rolle der Mutter

Im Gespräch mit dem KURIER erklärt er, warum die Formalität für seine Familie so wichtig war. „Wenn nur zwei Väter anerkannt wären, hätte der dritte keine Mitsprache bei medizinisc­hen Entscheidu­ngen, keine finanziell­en Verpflicht­ungen und keine Rechte im Fall einer Trennung. Er könnte nicht alleine mit den Kindern reisen und sein Vermögen nicht automatisc­h vererben. Wir brauchten diese Absicherun­gen für unsere Kinder – und wir möchten anderen nicht-traditione­llen Familien zeigen, dass es möglich ist.“

Vor einem Jahr bekam Piper einen Bruder, Parker: Die Eizellen stammen wie bei Piper von Meghan, einer langjährig­en Freundin der Familie, die Spermien einmal von Alan und einmal von Jeremy. Ausgetrage­n wurden beide Kinder von einer Leihmutter, was in Österreich verboten ist (siehe re.) . In Interviews betont Jenkins regelmäßig, wie dankbar er den drei Frauen ist. Vor allem Meghan spielt eine wichtige Rolle im Leben der Kinder. „Sie ist keine Mutter im traditione­llen Sinn, aber sie kommt uns oft besuchen und ist wunderbar mit ihnen. Zum Beispiel hat sie einen Youtube-Kanal eingericht­et, über den sie ihnen Bücher vorliest.“Die fast vierjährig­e Piper weiß, dass Meghan und Jeremy sie gezeugt haben und sie in Delilah, der Leihmutter, gewachsen ist. „Ihr ist bewusst, dass andere Kinder zwei Eltern haben, aber Kinder sind anpassungs­fähig. Die Geschichte ihrer Herkunft beschäftig­t sie nicht mehr als die Tatsache, dass manche Babys Mädchen und manche Buben sind.“

Bis auf ein paar Online-Hater reagieren andere Menschen neutral bis positiv auf seine Familie. „Wer uns kennt, weiß, dass an uns nichts Skandalöse­s ist. Wir sind einfach Eltern, die ihre Kinder erziehen. Oft habe ich das Gefühl, die Menschen denken, bei Poly-Beziehunge­n gehe es nur um Sex – doch bei uns ist das nicht anders als bei einem traditione­llen Ehepaar mit kleinen Kindern.“

Vorurteile, die auch hierzuland­e stark präsent sind, berichtet Sozialwiss­enschafter Stefan Ossmann, der an der Uni Wien zu Polyamorie forscht. Laut Studien leben und lieben fünf Prozent der Bevölkerun­g polyamor, in Österreich, schätzt er, sind es quer durch alle Altersklas­sen mehrere tausend, die offen dazu stehen – „so, dass sie zu Weihnachte­n drei Schwiegere­ltern besuchen“. Verglichen mit Schwulen oder Transgende­rn sei die soziale Anerkennun­g von Viellieben­den gering, erläutert Ossmann. Das liege auch daran, dass es keine medialen Ikonen gibt. „Viele fühlen sich dadurch in ihrem eigenen Lebenskonz­ept bedroht. Sie wird als Angriff auf einen der letzten Grundpfeil­er empfunden: die monogame Zweierbezi­ehung.“Anders als diese hat Polyamorie viele Gesichter, nicht immer sind alle Beteiligte­n miteinande­r intim, manchmal lieben zwei Partner außerhalb der Kernbezieh­ung. Oft sind Kinder im Spiel – aus früheren oder Parallelbe­ziehungen. Immer beliebter wird das Modell des Co-Parenting, bei dem etwa schwule Männer und lesbische Frauen oder Singles gemeinsam eine Familie gründen. In jedem Fall gilt: „Die Mitglieder müssen sich entscheide­n, welche zwei Personen rechtlich anerkannte Elternteil­e sein sollen. Die leibliche Mutter und der leibliche Vater oder ein leiblicher Elternteil und sein/seine Partner/in“, erklärt Barbara Schlachter vom Verein Famos, der sich für die Rechte von Regenbogen­familien einsetzt.

Sechs Hände statt vier

Ian Jenkins hält das Konzept der seriellen Monogamie für überholt und plädiert für mehr Toleranz gegenüber alternativ­en Familienfo­rmen wie seine Dreiecksbe­ziehung (von US-Medien „throuple“getauft). Mit Kindern seien drei Vollzeit-Elternteil­e – Alan ist Psychiater, Jeremy arbeitet in einer Tierklinik – gerade in Pandemie-Zeiten sogar von Vorteil, sagt er: „Wir haben ein zusätzlich­es Einkommen, es gibt mehr Hilfe, einer von uns ist immer da. Aber es erfordert auch mehr Kommunikat­ion, denn wir achten sehr darauf, dass wir unseren Kindern einheitlic­he Botschafte­n vermitteln. Es gibt nicht den strengen und den nachsichti­gen Dad. Schlafensz­eit ist zum Beispiel immer um halb acht.“

Sein Buch soll andere, weniger privilegie­rte Regenbogen­familien ermutigen und Skeptikern vor Augen führen, dass glückliche Kinder vor allem eines brauchen: Liebe. „Ja, wir sehen nicht wie jede andere Familie aus. Aber wenn eine Familie ein Kind mit Liebe, Hingabe und reiflicher Überlegung erzieht, dann ist das doch alles, worauf es ankommt.“

„Wer uns kennt, weiß, dass an uns nichts Skandalöse­s ist. Wir sind einfach Eltern, die ihre Kinder erziehen“Ian Jenkins Arzt, Vater, schwul, polyamor

 ?? SWEETMEPHO­TOGRAPHY ?? Wunschkind: Ian Jenkins, Jeremy Hodges und Alan Mayfield mit Baby-Söhnchen Parker. Für ihn und seine Schwester Piper sind sie Papa, Daddy und Dada
SWEETMEPHO­TOGRAPHY Wunschkind: Ian Jenkins, Jeremy Hodges und Alan Mayfield mit Baby-Söhnchen Parker. Für ihn und seine Schwester Piper sind sie Papa, Daddy und Dada

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